Eine Suche zwischen den Welten

Katarina Poladjan folgt der Einladung Meike Feßmanns nach Klagenfurt

Von Halyna PasichnykRSS-Newsfeed neuer Artikel von Halyna Pasichnyk

Mit einem Aufbruch ins Ungewisse beginnt die Reise von Maria. Sie weiß nur eines: Dort soll es kalt sein.

„Der Flug hat drei Stunden Verspätung und ich rechne nicht mehr damit, noch zu fliegen. Ich soll kommen, schnell kommen. […] Das Haus ausräumen. Ich soll das Haus ausräumen und verkaufen, denke ich. Wie soll das gehen? Ich habe keine Ahnung, wie man ein Haus verkauft. Ich lebe in einer kleinen Wohnung. Ich zahle jeden Monat meine Miete und habe sonst keine Verpflichtungen. Jetzt soll ich ein Haus ausräumen, in dem zwei Familien Platz hätten, wenn sie zusammenrücken würden. Das Haus, in dem ich meine Kindheit verbracht habe.“

Katerina Poladjan erschafft in ihrem Debütroman In einer Nacht, woanders (Rowohlt Verlag, 2011) eine Ich-Erzählerin namens Maria, mit deren Hilfe es ihr gelingt, den Leser in die Weiten der russischen Provinz einzuführen. Es ist eine Reise, die den Leser an einen lang vergessenen Ort führt, an einen Ort in der Vergangenheit. Das in der Ferne liegende Bykovo ist der Schlüssel auf der Suche nach sich selbst und nach dem kulturellen Gedächtnis ihrer Familie. Der Erinnerungsroman gewährt uns einen Einblick in das tragische Leben der Ich-Erzählerin, da Poladjan die Weite der Landschaften, die Tiefe der menschlichen Seele und die Reise in die Vergangenheit malerisch zu gestalten weiß. Unter den Händen der Autorin wird die Sprache biegsam. Die Autorin selbst berichtet, dass sie sich beim Schreiben schwerelos und frei fühlt. Dennoch ist ein schweres, ein gewichtiges Thema in ihren Werken präsent: Es ist die Erfahrung des Kulturaustausches, wenn nicht gar eines Kulturwechsels. Katarina Poladjan arbeitete nach ihrem Schauspielstudium in zahlreichen Theatern in München, Hamburg und in Berlin. Neben ihrer Arbeit als Schauspielerin schloss sie ein Studium der Angewandten Kulturwissenschaften mit den Schwerpunkt Philosophie und zeitgenössische Kunst in Lüneburg ab. Ihr schriftstellerisches Talent wurde vielfach mit Auszeichnungen und Stipendien honoriert. Unter anderem erhielt sie 2003 ein Stipendium der Neuen Gesellschaft für Literatur (Berlin) für die Arbeit an ihrem Roman Die Bergsteigerin. 2008 gewann sie mit dem Text Dann laufen wir im Literaturhaus Hamburg den ersten Preis in der Reihe Perlen vor die Säue. Gefördert durch das Lektorenprogramm der Robert-Bosch-Stiftung und den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) engagiert sich Katarina Poladjan in der Arbeit mit  Germanistikstudierenden in Russland. Unter dem Stichwort „Vom Pazifik zum Baikal“ unternahm sie am Anfang des Jahres eine Fernost-Reise. Während der Reise besuchte sie sechs Städte in fern gelegenen Arealen Russlands: Wladiwostok, Chabarowsk, Blagoweschtschensk, Jakutsk, Tschita und Ulan-Ude. Während ihrer Aufenthalte hielt sie Seminare und leitete eine Übersetzungswerkstatt für Studierende. Ihr Ziel: der Austausch interkultureller Erfahrungen. Katerina Poladjan ist seit ihrer Kindheit auf der Suche. Ihre Eltern immigrierten Ende der 70er Jahre nach Deutschland und wechselten häufig ihren Wohnungsort. Katarina war überall damit konfrontiert, die Neue oder die Fremde zu sein – bis sie in Berlin ihre neue Heimat fand. Die Überwindung der Sprachlosigkeit schaffte sie durch das Schreiben.

Kürzlich begab sich Katarina Poladjan auf eine neuerliche Reise – genauer: auf eine Recherchereise. Nachdem ihre Großmutter in New York gestorben war, bekam sie unerwartet von ihrem Cousin einige Tonbänder mit der leisen Stimme von Großmutter Lilja Poladjan. Die Großmutter erzählt kurz vor ihrem Tod die Geschichte ihres Lebens, mithin die Familiengeschichte der Poladjans. So erfuhr die Autorin, dass viele Familienmitglieder beim Völkermord am armenischen Volk 1914 umkamen; von ihrem Vater erhielt sie daraufhin alte vergilbte Familienbilder und blickte in unbekannte Gesichter. In Armenien leben immer noch Verwandte, Nachfahren der damals überlebenden Geschwister des Großvaters. Katarina folgte dieser Spur, um ihre Familiengeschichte zu ergründen, „zwischen Aragaz und Ararat“. Es liegt nahe, dass die Aufzeichnungen von der Reise beim Wettlesen im Rahmen der 39. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt als Leseprobe von Katarina Paladjan präsentiert werden.

Poladjan folgt der Einladung Meike Feßmanns nach Klagenfurt, und wir können gespannt sein, mit welchen Themen sie die Leser und Zuhörer diesmal berührt. In nur ein paar Tagen wird sich zeigen, wie sie das Publikum – und nicht zuletzt die Jury – mit ihrem Können überzeugt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen