Elend in großen Dosen

Sabine Scholl verwebt in ihrem Roman „Die Füchsin spricht“ Schicksale verschiedener Menschen vor dem Hintergrund der Katastrophe von Fukushima

Von Barbara GeschwindeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Geschwinde

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Antonia Mayringer, genannt „Toni“, die Protagonistin in Sabine Scholls Roman „Die Füchsin spricht“, ist eigentlich eine starke Frau: nachdem ihr Mann sie betrogen und verlassen hat, ist sie mit der gemeinsamen Tochter Kiki aus Japan nach Berlin zurückgekehrt und hat sich dort eine Stelle an der Uni gesucht. Beim genaueren Hinschauen jedoch werden die Sollbruchstellen dieses vermeintlich stabilen Lebens sichtbar: Tonis Anstellung ist befristet, die Tochter bereitet der Mutter Sorgen, da sie sich nach dem Abitur ziellos treiben lässt, und ihr Liebhaber Fritz, der Hausmeister der Uni, ist distanziert und unverbindlich. Er bestellt sie gelegentlich per SMS zu einem kurzen Stelldichein in ein verborgenes Zimmer der Universität ein. Warum Toni dem folgt, bleibt offen. Als wäre das nicht bereits genug, plagen sie permanent Rückenschmerzen, die sie aufs Älterwerden zurückführt. Grund genug für eine richtige Krise.

Tonis Ex-Mann Georg lebt währenddessen in Japan in zweiter Ehe mit seiner japanischen Frau Ryo und einem gemeinsamen Sohn. Von Georgs persönlicher Lage erfahren wir aus E-Mails, die er an seinen Freund Bela schreibt. Bela und seine Frau Anniko sind gleichzeitig mit Toni und Kiki befreundet und somit ein Bindeglied zwischen den geschiedenen Ehepartnern. Außerdem bieten sie zugleich einen Zufluchtsort für Kiki, die nach dem Ende ihrer Schulzeit Orientierung sucht. Das befreundete Paar lebt in der Uckermark auf einem Selbstversorgerhof mit angeschlossener Hundezucht. Für Georg ein Traum, da er selbst nach der Katastrophe von Fukushima seinen Job an der Uni in Japan aufgegeben hat und im heimischen Garten Gemüse anbaut. Er steckt in einer tiefen Lebenskrise, wie er Bela schreibt, denn seine Frau und er bewerten die Gefahren der atomaren Strahlung ganz unterschiedlich:

Ryo glaubt weiterhin an einen guten Ausgang. Davon, dass Grenzwerte für radioaktive Belastung hinaufgesetzt und Messungen gefälscht werden, will sie nichts hören. Obwohl wir weit vom Zentrum des Atom-GAUs wohnen, entschloss ich mich, auf eine künftige Krise lieber vorbereitet zu sein.

Dieser zweite Handlungsstrang gibt interessante Einblicke in die Erschütterung eines Grundvertrauens, die das atomare Unglück von Fukushima ausgelöst hat. Die vermeintliche und ehemals gefühlte Sicherheit, in einer Demokratie zu leben mit einer hochentwickelten und modernen Technologie, ist zerstört. Angst und Verunsicherung stehen Verdrängung und Ignoranz gegenüber. Georg trennt sich nur deshalb nicht von seiner Frau, weil er nicht zum zweiten Mal ein Kind im Stich lassen möchte. Die Faszination, die am Anfang ihrer Liebesgeschichte von der anderen Kultur und Mentalität ausging, hat sich ins Gegenteil verkehrt. Die Unterschiede scheinen plötzlich unüberbrückbar. „Ruhe bewahren, weiterleben“ ist keine Option für Georg, der versucht, Daten und Fakten zusammenzutragen, um die atomare Katastrophe analytisch zu durchdringen.

Die Briefe von Georg aus Japan sind stark und überzeugend. Die darin enthaltenen Schilderungen der Veränderungen des Lebens und einer sich wandelnden Gesellschaft liefern Informationen über den Alltag in einem Land, das zum zweiten Mal in seiner jüngeren Vergangenheit mit den Folgen einer atomaren Katastrophe fertig werden muss. Sie zeigen auf, wie jeder Einzelne in Japan mit den physischen, vor allem aber den psychischen Auswirkungen kämpft. Der Riss durch die Gesellschaft und in den zwischenmenschlichen Beziehungen wird am Beispiel von Ryo und Georg deutlich. Durch Georgs Mails an Bela erhält der Leser wichtige Informationen, zum Beispiel, dass die japanische Regierung mit einem neuen Gesetz die Pressefreiheit einschränkt. Oder auch, dass es freiwillige, ehrenamtliche Helfer gibt, die beim Wiederaufbau in der Sperrzone helfen, da die offizielle Hilfe von staatlicher Seite versagt.

Die Protagonistin des Romans, Toni, ist leider eine larmoyante Nervensäge. Alle ihre Probleme sind real und nachvollziehbar, aber sie versinkt in Frust und Selbstmitleid. Es wird zu viel geweint in „Die Füchsin spricht“ – und das von Beginn des Romans an.

Sabine Scholl verzettelt sich außerdem in Randgeschichten: Sie liefert zu viele Details zu Themen wie beispielsweise der Hundezucht oder der mythologischen Figur der titelgebenden Füchsin, die die Handlung nicht voranbringen. So wirkt diese lediglich wie ein Zitat, das einen Exotismus bedient, der veraltet ist und einen eurozentrischen Blick entlarvt. Die Protagonistin Toni bleibt als Figur schwach.

Die Autorin hatte mehrmals in Nagoya, Westjapan, eine Gastprofessur für Intercultural Studies inne. In ihrem Roman verwebt sie Schicksale von Menschen, deren Leben sich aufzulösen scheinen; in einer Zeit großer gesellschaftlicher Umbrüche, die überall Verunsicherung schaffen. Fünf Jahre nach der Tragödie von Fukushima lag das Thema sozusagen auf der Hand. Doch leider bleibt man als Leser am Ende enttäuscht zurück, weil Sabine Scholl die Chance, einen großen Roman über die Katastrophe von Fukushima zu schreiben, verpasst hat.

Titelbild

Sabine Scholl: Die Füchsin spricht.
Secession Verlag für Literatur, Zürich 2016.
320 Seiten, 25,80 EUR.
ISBN-13: 9783905951813

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