Freundschaft mit Champagner

In „Die Kunst, Champagner zu trinken“ erzählt Amélie Nothomb von edlem Alkohol und zwei ungleichen Freundinnen

Von Christof RudekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christof Rudek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich hatte ihn mit größter Ehrerbietung empfangen und in mir aufgenommen wie einen hohen Gast, dafür überhäufte er mich mit seinen Wohltaten.“ – Wovon ist die Rede? Vom Alkohol natürlich, genauer gesagt von Champagner. Und was für Wohltaten sind es, die er so reichlich spendet? „Visionen“ von „Gold, Silber und Edelsteinen“ zum Beispiel: „das Gold seines Kleids war in die Armreife gegossen, die Bläschen in die Diamanten. Und der Kühle des Silbers entsprach die Kälte des Schlucks.“ Und dann: „Eine Phase des Denkens, sofern man das Fließende, das sich meines Geistes bemächtigt hatte, so bezeichnen kann. Im Gegensatz zum Grübeln, das ihn manchmal verkleistert, begann er zu wirbeln, zu sprudeln, von leichten Dingen überzuschäumen.“ Kurz und gut: „Champagner macht liebenswürdig und selbstlos, verleiht Leichtigkeit und Tiefe, steigert die Liebe und verleiht deren Verlust Eleganz.“

In vino veritas, heißt es ja bekanntlich. Das Lob des Alkohols ist ein etabliertes literarisches Genre und Amélie Nothomb, die ihr Buch auf diese Weise beginnen lässt, reiht sich ein in die Riege so illustrer Namen wie Platon, Goethe oder Rabelais. Nur dumm, dass die Begebenheiten, von denen das Buch berichtet, das Versprechen dieses champagnerseligen Auftakts nicht so recht einlösen wollen. Denn – man muss kein Abstinenzler sein, um das zu erkennen – die Wirkungen des teuren Tranks sind dann doch eher prosaischer Natur: Heiterkeitsanfälle, gelöste Zungen, unflätiges Schimpfen und Schnapsideen wie Skifahren mit geschlossenen Augen und Schampusflasche in der Hand.

Worum geht’s? Amélie sucht eine Freundin – eine Saufkumpanin, wie sie sich ausdrückt – und findet sie in der jungen Pétronille, die ihr, der bekannten Schriftstellerin, Briefe schreibt und sie nach einer ihrer Lesungen anspricht. Es ist eine ungleiche Freundschaft. Hier die gefragte, in besseren Kreisen verkehrende Autorin, da die raue, impulsive, im Umgang schwierige Pétronille, die ihre proletarischen Wurzeln nicht zu verbergen versucht. Pétronille will selbst Schriftstellerin werden und wird es auch, was im Buch allerdings keine allzu große Rolle spielt. Stattdessen wird von allerlei Unternehmungen berichtet: Die beiden Freundinnen streifen durch die Straßen von Paris, gehen zu einem Empfang im Ritz, wo Pétronille mit ihrer Kleidung und ihrem Verhalten aneckt, treffen sich in London, machen Skiurlaub in den Bergen und verbringen Silvester mit der kommunistischen Ortsgruppe bei Pétronilles Eltern in der Pariser Banlieue. Und wo immer sie Station machen, die eine oder andere Flasche Champagner lässt sich überall auftreiben.

Irgendwann verschwindet Pétronille, taucht erst nach Monaten wieder auf und schwärmt von den Wüsten Afrikas. Aber dann wird es ernst: Pétronille nimmt an Medikamententests teil, die ihre Gesundheit schwer beeinträchtigen, und gibt in einer zwielichtigen Kneipe Vorführungen in Russischem Roulette. Vom Schreiben kann man bekanntlich nicht leben, und Pétronille reizt das Risiko. Das Buch endet unerwartet mit einem Schuss mörderischer Fantastik.

Das alles wird knapp und ausschnitthaft erzählt und – abgesehen vom mühevolleren Stil des Beginns – meist in leichtem Ton. Im Gegensatz zum Alkoholkonsum sind die Witze eher mäßig und ein wenig nervt die Selbstgefälligkeit, die die Erzählerin an manchen Stellen an den Tag legt. Aber das Buch enthält eine Reihe süffiger Szenen und so folgt man der Geschichte dieser Freundschaft mit einigem Interesse.

Hinter Amélie ist natürlich unschwer die Verfasserin selbst zu erkennen, die 1967 in Japan geborene belgische Vielschreiberin und Erfolgsautorin Amélie Nothomb. Aber auch für Pétronille, nach der die 2014 in Frankreich erschienene Originalausgabe benannt ist, gibt es (wie Nothomb selbst bereitwillig bekannt hat) ein Vorbild in der Realität: die französische Schriftstellerin Stéphanie Hochet. Kenner von Nothombs Leben und Werk dürfen nun rätseln, was in dem Buch der Wirklichkeit entstammt – und was den Visionen des Champagners.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Amelie Nothomb: Die Kunst, Champagner zu trinken. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Brigitte Große.
Diogenes Verlag, Zürich 2016.
144 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783257069617

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