Von Philistern, Romantikern und schuldiger Unschuld

Paul Good gibt eine 'gefühlvolle' Auswahl der Texte Max Schelers heraus

Von Sabine KlomfaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Klomfaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Was der bildliche Ausdruck 'Herz' bezeichnet, das ist nicht, wie ihr Philister einerseits und ihr Romantiker andererseits denkt - der Sitz von verworrenen Zuständen, unklaren und unbestimmten Wallungen [...], sondern es ist ein Inbegriff von wohlgerichteten Akten, Funktionen, die eine strenge, von der psychologischen Menschenorganisation unabhängige selbständige Gesetzlichkeit in sich tragen, die präzis, exakt, genau arbeitet".

Es ist heute nicht gerade unumstritten, eine Sammlung von Texten Max Schelers mit dem Titel "Grammatik der Gefühle" herauszugeben. Dieser Titel postuliert, es gäbe ein Empfinden und intuitives Tun, das nach exakten Regeln funktioniert. Das Problem, das dabei auftaucht, ist, dass wir natürlich ohne Probleme ein intuitives Wissen (gleichbedeutend mit Erleben) dieser Prinzipien haben können, doch scheint den "Philistern" ein rationaler Diskurs darüber unmöglich: Wie sollte man mit unserem beschränkten Verstand über etwas reden können, was sich per definitionem dem Rationalen entzieht? Da klingen doch Wittgensteins Worte im Ohr, dass man schweigen sollte, wovon man nicht reden kann. Und nicht schreiben.

Die "Romantiker" ihrerseits scheinen emotionale Prinzipien als Absage an Wissenschaftlichkeit und Genauigkeit zu begreifen. So geben sie sich einer geheimnisvollen Macht der Gefühle hin, in der jeder Versuch der Analyse fehlgehen muss.

Scheler wendet sich strikt gegen diese zwei Gruppen und stellt ein Konzept vor, dass ausgehend von anthropologischen und soziologischen Phänomenbeschreibungen die Gesetze der Emotionen auffinden will. Dabei ist die Frage nach dem Wert eines Gefühls, der den Menschen als ein äußerlicher erscheint, von zentraler Bedeutung. Um deutlich zu machen, wie Scheler denkt und schreibt, soll nun aus der vorliegenden Textsammlung der Aufsatz "Zum Phänomen des Tragischen" (ursprünglich enthalten in dem Werk "Vom Umsturz der Werte", Erstveröffentlichung 1914) genauer betrachtet werden:

Man findet die Tragik dort, wo "wir unmittelbar eine Wirksamkeit anschauend miterleben, die, indem sie einen hohen Wert realisiert, gleichzeitig und im selben Aktus des Wirkens diesem Wert oder einem anderen, zu ihm wesenhaft gehörigen Wert die Bedingung der Existenz untergräbt". Man könnte sich so eine Situation denken, in der der Akteur durch moralisch korrektes Handeln Unheil verursacht. Daher erlaubt die Schuldfrage keine klare Antwort mehr: Der Handelnde ist sowohl schuldig als auch unschuldig. Er hätte anders handeln können, um so das drohende Unheil zu vermeiden; er musste das Unheil inszenieren, um seine Unschuldigkeit und Souveränität seiner Moral zu bewahren. So zeichnet sich die Tragik dadurch aus, dass sie "unschlichtbar und unheilbar" ist, während die Beobachter des Phänomens zur Enthaltung ihres Urteils vor dem Paradox schuldiger Unschuldigkeit verdammt sind. Zurück bleibt ein Gefühl der gegenstandslosen (und daher "kühlen") Trauer, die Scheler als "rein von allem, was Erregung, Entrüstung, Tadel hervorrufen könnte", charakterisiert. Der tragisch Handelnde wird sich nämlich noch nicht einmal ein anderes Schicksal wünschen können, da die Unerlässlichkeit des Unheils einhergeht mit der Realisierung der eigenen Werte: "Alles Begehren, Sehnen, Wünschen nach einem Nichtsein des Vorgangs, der zur Vernichtung des Wertes führte, ist durch jene einsichtige Wesensunabwendbarkeit wie ausgelöscht." Der Unterschied zu 'normalem' Unheil besteht darin, dass der tragische Akteur seiner Schuld "verfällt": Die Schuld kommt so 'von außen' zu ihm.

Die Bedeutung der Schriften Max Schelers für die Gegenwart besteht laut Herausgeber Paul Good im Beitrag zur heutigen Wertedebatte: Scheler versteht Emotionen nämlich nicht einseitig sinnlich, sondern, wie dargelegt worden ist, als von geistigem und ethischem Wert durchsetzt. So legt Good dar: "Dem Fühlen einen geistigen Stellenwert, eine apriorische Ordnung und Logik, sowohl was die Akte als auch was die Gehalte betrifft, nachzuweisen, das ist die grundlegende philosophische Leistung Schelers."

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Max Scheler: Grammatik der Gefühle. Das Emotionale als Grundlage der Ethik.
Ausgewählt und mit einem Vorwort herausgegeben von Paul Good.
dtv Verlag, München 2000.
256 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3423307706

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