Freigestürzt
Pit Schubert führt erneut durchs Kaisergebirge
Von Heribert Hoven
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer neuen Konzeption der Alpenvereinsführer, nämlich zielgruppenorientiert Wander- und Kletterführer zu trennen, folgt auch Pit Schuberts "Kaisergebirge extrem". Es versammelt daher "alle Routen für Bergsteiger und Kletterer" ab dem unteren III. Schwierigkeitsgrad aufwärts zuzüglich der oft leichteren Normalwege, ein Auswahlkriterium, das allerdings nahezu sämtliche Gipfel des Wilden Kaisers erfüllen. Trotzdem umfasst die Neuauflage gegenüber Schuberts "Kaiserbibel" (10. Aufl., 680 Seiten) lediglich 400 Seiten. Bei den meisten Routen ist die seillängenweise Beschreibung durch topografische Anstiegsskizzen (Topos) ersetzt worden, die, wie auch viele Wandfotos, teilweise noch aus den früheren Auflagen stammen. Hinzugekommen sind in dem nach UIAA-Standard formulierten Beschreibungskopf neben der traditionellen A- eine Rotpunkt-Bewertung (leider nicht ganz konsequent), die Klettergärten der Region sowie verschiedene Baseclimbs, vor allem aber die große Zahl der neuen Sportkletterrouten einschließlich der dazugehörenden Topos.
Allerdings verrät schon das Titelbild eine leicht übersteilte Optik. Während es bei vielen modernen Sportkletterrouten oft sicherheitsverheißend "eingebohrt" lautet, wobei die Gewährsleute oft nur die Erstbegeher sind, werden die klassischen Routen zum Teil als "freigestürzt" vorgestellt, was bedeutet, dass sie möglicherweise gegenüber der Erstbegehung wesentlich schwerer geworden sind. Überholt sind auch einige andere Informationen. So fehlen etwa im Topo zum Dreierweg der Leuchsturm-Südwand die im letzten Jahr angebrachten Klebehaken, ebenso diejenigen am Kopftörlgrat. Aufgenommen wurde wieder das sogenannte "Flimmerkisten-Dach" an der Hinteren Karlspitze, das bereits in den Siebzigern verwitterte Holzkeile aufwies und heute völlig uninteressant ist. Insgesamt jedoch beschreibt das handliche Taschenbuch gewohnt zuverlässig und wohltuend distanziert einen Routenzustand, der sich naturgemäß rasch ändern kann und daher einige Erfahrung in Planung und Durchführung voraussetzt. Wer also den Zeitgeist sucht und hundertprozentige Tipps für die Freizeit erwartet, sollte besser die Rubriken der Bergmagazine durchforsten. Der "Kaiser" ist ein Hochgebirge, in dem, so Schubert, zwar "heute auffallend weniger Kletterer anzutreffen sind" als früher, aber immer noch genügend und sehr vielfältige Abenteuer.