Frei von Pathos in ein neues Jahrtausend
Der deutsche Alpenverein resumiert sein Jahr 2000
Von Heribert Hoven
Üblicherweise dokumentieren und illustrieren Jahrbücher die Aktivitäten einer Institution; sie bilanzieren Erreichtes und schaffen Gemeinschaft. Dies alles leistet das "Alpenvereinsjahrbuch Berg 2001" in bewährter Weise und noch einiges mehr. Das Kartengebiet Cordillera Blanca Nord bezeugt wieder einmal die globale Dimension des Bergsteigens. Obgleich spektakulär, wird diese Weltgegend den meisten kaum zugänglich sein, weshalb als zweiter Schwerpunkt das Lechquellengebirge vorgestellt wird, beide Gebiete jeweils durch Forschungs- und Erlebnisberichte. Die archivalischen Aufgaben erfüllen überdies historischen Beiträge anlässlich wichtiger Jubiläen (u. a. 100. Geburtstag von Fritz Wiessner, 100 Jahre meteorologischer Turm auf der Zugspitze). Eine klare Gliederung setzt deutliche Akzente (z. B. Wissenschaft und Kultur, Natur und Umwelt) und erleichtert den Überblick über das Textganze. An die Tradition klassischer Buchgestaltung knüpft auch das typografische und grafische Erscheinungsbild an. Mit großformatigen, hochwertigen Bildern distanzieren sich die Herausgeber vom digitalen Zeitalter, dessen Sehgewohnheiten immer mehr von der kleinteiligen Benutzeroberfläche diktiert werden. Mit dem ersten Schritt über die Schwelle des nächsten Jahrhunderts hat sich die Redaktion im 125. Band allerdings auch für einen Richtungswechsel entschieden. An die Stelle einer inzwischen bereits online abrufbaren Expeditionschronik sind Expeditionsberichte getreten, in denen weniger der Leistungsgedanke als vielmehr der Reiz des Ungewöhnlichen und Unbekannten hervorsticht. Auch die übrigen Beiträge sind größtenteils von arrivierten Publizisten und Schriftstellern verfasst, etwa dem DAV-Literaturpreisträger Eberhard Neubronner, und im Geleitwort mit dem Prädikat "Höhepunkte alpiner Literatur" bedacht. Die hohen Erwartungen können die Texte nicht alle gleichermaßen erfüllen. In jedem Fall vermeiden sie die in der älteren Literatur gleichsam unüberhörbare Pathosgeste, und konsequenterweise unterzieht Albert Vinzens das Everest-Epos von Jon Krakauer "Into Thin Air/In eisige Höhen" einer kritischen Stilanalyse. Das Buch diene nicht, wie behauptet, der "vollen Wahrheit" (plain truth), sondern lediglich dem eigenen kommerziellen Erfolg. Schweres Geschütz gegen den Weltbestseller also, was wohl nicht jeder goutieren wird, zumal auch der Schweizer Sprachforscher nicht frei ist von einem gewissen auf Wirkung bedachten Feuilletonismus. Das Jahrbuch schließt indes mit einer guten Nachricht, der wir vertrauen können, stammt sie doch vom scheidenden Leiter des DAV-Sicherheitskreises, Pit Schubert, der dem Namen dieser Einrichtung alle Ehre macht und uns versichert, dass "moderne Bergseile mehr halten als wir glauben".