Stufen der Vereisung

Hermannn Webers Bericht über seine Zeit als SED Parteischüler

Von Lennart LaberenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lennart Laberenz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aus einer bestimmten Perspektive gesehen, kann die Bildungssystematik eines Staates als eines der grundsätzlichen Selbstverständnisse der angewendeten politischen Philosophie angesehen werden. Hier entscheidet sich, wie der Staat seine eigenes Gesellschaftsverständnis, seine Wertevorstellung und die vorausschauende Planung der Konstellation von Menschen zueinander in praktischer Politik konzipiert.

In der Geschichte des real existierenden Sozialismus ist Bildung als kultureller Faktor, als Herausbildung des "kommunistischen Klassen-Bewusstseins" und eben zur Erziehung der Kader von elementarer Bedeutung. Die Jugend müsse, wie Lenin es formulierte, die Aufgabe übernehmen, die kommunistische Gesellschaft zu erschaffen, da "wir selbst in der kapitalistischen Gesellschaft sozialisiert sind". Der Kampf an der Erziehungs-Front war, wie die Schriften Michail Kalinin zeigen, ein Kulturkampf, der sich zu Stalins Zeiten schrittweise radikalisierte, dogmatisierte und schließlich über die UdSSR hinaus auch als Indoktrination territorial ausdehnte.

Keine Ausnahme machte in dieser Dynamik der sich herauskristallisierende Staat der DDR, in der die SED im Jahre 1947 zunächst in Liebenwerda, dann in Kleinmachnow die Parteihochschule "Karl Marx" einrichtet. Gedacht für die theoretische Festigung der angehenden Kader wird der erste Jahrgang gleichermaßen Zeuge, Täter und Opfer der schrittweisen Vereisung des politischen Klimas hin zum dogmatischen Stalinismus. Dieser sucht, findet und bestraft Abweichler und verkehrt den theoretischen Ansatz von Marx oder Engels zur religionsgleichen Phrase. Einer derjeniger, die als Zeugen von Wert sind, ist der spätere Mannheimer Professor für Politische Wissenschaften und Zeitgeschichte Hermannn Weber. Gemeinsam mit einem weiteren Mannheimer KPD-Genossen war er an die Parteihochschule gekommen um als "Kursant" am ersten Zweijahreslehrgang teilzunehmen. Unter dem Deckmantel "Hermannn Wunderlich" hört er, noch keine zwanzig, zu Semesterbeginn, die jeweils aktuelle "Linie" der Parteiführung: das gesamte politische Führungspersonal, von den Dozenten der Akademie Viktor Stern, Rudolf Lindlau, Frida Rubiner (die auch die Übersetzungen des später verfemten Trotzki besorgt hatte) oder Wolfgang Leonhard bis zu den Funktionären Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Anton Ackermann und Hermannn Dunker offerierte vor den Studierenden Vorträge zu den Entwicklungen der politischen Aktualität.

Dabei ist der Schritt von der SBZ zur Moskau-abhängigen DDR, wie Weber aufzeigt, keineswegs linear und logisch. Dazwischen liegen die Verwerfung der Idee eines "deutschen Sonderwegs zum Sozialismus", der Aufbau der SED zur "Partei neuen Typus" oder der Verteufelung der Sozialdemokratie. Für Hermann Wunderlich, den Studenten, hieß dies sinngemäß den Schritt von der Parteihochschule über die Kaderschmiede zur stalinistischen Indoktrination nachzuvollziehen. Hermannn Weber, der emeritierte Professor, zieht so den Bogen vom einenden und oft emotionalen Antifaschismus nach der Kriegserfahrung und der Wiederständigkeit gegenüber den Kontinuitäten in der Bundesrepublik zur Überzeugung, dass im Kapitalismus kein radikaler Neuanfang gemacht werden kann. Doch der Glaube an die Alternative verkümmert angesichts der zunehmenden Anpassung der Geschichtsschreibung an die politischen Maßgaben; Weber berichtet von der zunehmenden Humorlosigkeit, die Wunderlich aufgefallen ist, der Verhärtung disziplinatorischer Umgangsformen. Als der Leiter der Abteilung Kunst und Kultur der Sowjetischen Militäradministration im Dezember 1948 in einem Rundumschlag die gestalterische Kunst der Moderne zu "widernatürlichem Antihumanismus" dämonisiert um den "sozialistischen Realismus" zu proklamieren, ändert die SED ihre Kulturpolitik - und Wunderlich muss seine Picasso-Drucke über dem Bett abhängen.

Doch erst als in der Verengung der theoretischen Bandbreite aus dem aufklärerischen Philosophieansatz Marxens vollends der Religionsersatz des Marxismus-Leninismus und der Glaube an die allgewaltige Partei gemacht wurde, werden Zweifel und Ablehnung des Hermann Wunderlich grundsätzlich. "Insbesondere im 3. Semester hatte sich gezeigt," so formuliert er, "wie sehr die beiden Grundpfeiler der Arbeiterbewegung ins Gegenteil verkehrt wurden: Statt Emanzipation und Toleranz zu fördern, sollte offensichtlich ein getreuer Untertan und Befehlsempfänger erzogen werden, und an die Stelle der Kritik trat der Glaube an "die Partei" oder gar "den großen Stalin".

Aus diesen Momenten der Reflexion zieht das Buch seine Stärke. Es zeigt akribisch recherchiert die Lebenswege der Mitstudierenden, Lehrenden und Funktionäre auf. Weber skizziert die Distributionsstelle von Parteisoldaten und Abweichlern - viele derjeniger, die Wunderlich kennerlernte sind bei den späteren Stufen der Vereisung und noch längst vor dem relativen Tauwetter nach 1956 in die disziplinatorische Mangel der Partei gelangt. Dabei stellt sich weiterhin die Frage, warum Hermann Wunderlich sich seine Kritik behielt, seine ähnlich motivierten Mitstreiter diese Resistenz verlustig ging.

Titelbild

Hermann Weber: damals als ich Wunderlich hieß. Vom Parteihochschüler zum kritischen Sozialisten. Die SED-Parteihochschule "Karl Marx" bis 1949.
Aufbau Verlag, Berlin 2002.
445 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3351025351

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