Berlin ist Weimar - aber Weimar nicht Berlin

Manfred Görtemaker Berlin-Bilderbuch zur Weimarer Republik

Von Michael GriskoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Grisko

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wann immer die Weimarer Republik und deren kulturelles und politisches Spektrum in den Blick geraten, ist die Beschwörung des Mythos nicht weit. Gerade in der Häufung hilft diese Metapher jedoch letztlich wenig. Beteiligt sind an dieser Mythenbildung vor allem Wissenschaftler, Publizisten und die immer weniger werdenden Zeitzeugen.

Die Ursache für diese ungebrochene Faszination liegt, die katastrophale Zeit nach Weimar einmal außen vor lassend, wohl vor allem in der bislang auch durch die Rezeption nicht gebändigte Ausdifferenzierung der kulturellen, gesellschaftlichen und technischen Realitäten. Sicher schwingt auch ein wenig Melancholie mit, die sich bei der Reflexion über die Leichtigkeit der kulturellen Innovationen in Verbindung mit einer geradezu existenziellen Präsenz, die das Hier und Jetzt als quasi kultische Formation etablierte, einstellt. Diese Ausprägung, aber auch die darin liegende Spannbreite, wird in den unlängst neu edierten Romanen der Verlegersnichte von Samuel Fischer, Ruth Landshoff-Yorck, deutlich (vgl. www.literaturkritik.de 2/2002).

Auch das von dem Potsdamer Historiker Manfred Görtemaker herausgegebene populäre Sachbuch "Weimar in Berlin. Porträt einer Epoche" im Berliner be.bra-Verlag beteiligt sich an dieser Geschichtsschreibung, jedoch nicht ohne einen eigenen Akzent zu setzen. In acht umfangreich bebilderten Kurz-Essays wird noch einmal das politische, architektonische, urbane, literarische, kulturelle und publizistische Berlin der 20-er Jahre erweckt, dessen Ende gleichzeitig der Beginn des Aufstiegs der Nationalsozialisten ist.

Der damals unbestrittene Leitcharakter der Kultur - wenn auch schon ökonomisch unterhöhlt - potenziert die Euphorie der Rezeption sicherlich. Von diesem Überschwang ist auch das "Porträt einer Epoche" gezeichnet. Natürlich kommen auch die politischen und damit auch die ökonomischen Entwicklungen in dem großformatigen Band zu ihrem Recht, aber technische, naturwissenschaftliche und sozialpolitische Innovationen finden keine Berücksichtigung. Das ist natürlich mit Blick auf den eingeschränkten Umfang und den populären Zuschnitt der Essays zu erklären, aber eben auch Teil der Rezeptionsgeschichte der Weimarer Republik.

Natürlich gelten diese Befunde, aber auch das ist bereits Teil des Mythos, nicht ausschließlich, aber umfassend nur für die große Stadt Berlin. Hier kulminieren sich auf kleinem, aber stetig wachsenden Territorium die urbanen Phänomene und erlangen jene performative und mediale Präsenz, die nicht nur ihre Zeitgenossenschaft begründete, sondern auch ihren Nachruhm sicherte. Die medialen Zeugen haben heute - man denke nur an die Dietrich aus dem "Blauen Engel", das Großstadttriptychon von Dix oder das Bild des Arbeitslosen "Suche Arbeit, mache alles" - schon Ikonencharakter und schreiben ihre materiale Spur in die Mythenbildung ein.

Diesem immer gleichen visuellen Kreislauf setzt die Publikation eine eigenständige Position entgegen. Dass fällt auch nicht schwer, denn das Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz hat seine Schränke geöffnet. Auch wenn die Bildfolgen nicht überraschen, eher bestimmte Ikonen bestätigen und somit auch in den kleinen Differenzen Kontinuitäten fortschreiben: es verschiebt sich der Blick auf eine bekannte Epoche. Natürlich kommen auch diese Bilder nicht ohne große Namen, Orte und Ereignisse aus, bebildern bekannte Ereignisse, ohne diese neu zu bewerten, geben ihnen aber eine andere Perspektive. Die inhaltliche Dichte der Bilder zwischen Alltagsausschnitt, sachlichem Dokument, dem beiläufigen unaufgeregtem Schnappschuss und der inszenierten Geste wird durch die sorgfältigen und informativen Bildkommentare, die beinahe den Stellenwert eines eigenen Beitrag erhalten, ergänzt. Das Wissen der Bilder erlangte in der Weimarer Republik zwischen Film, Malerei, Collage, Fotografie eine erste Hochzeit. In den hier dokumentierten Bildern gibt es noch viele Geschichten, die vielleicht einmal den Mythos der Goldenen Zwanziger Jahre fortschreiben.

Titelbild

Manfred Görtemaker: Weimar in Berlin. Porträt einer Epoche.
be.bra verlag, Berlin 2002.
224 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3898090345

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