HAHAHAHAHAH AHAHAHAHAHA

Helga Kotthoffs lehrt uns Spaß verstehen

Von Klaus Cäsar ZehrerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Cäsar Zehrer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fast jede wissenschaftliche Arbeit über das Lachen, über Humor oder Komik hebt mit der Klage an, mit welch vernachlässigtem Sujet man es zu tun habe. Von Jahr zu Jahr aber wächst der Berg an Forschungsliteratur, so daß der einst berechtigte Hinweis mehr und mehr zur wohlfeilen Ausrede für mangelndes Quellenstudium verkommt.

Auch Helga Kotthoff kommt nicht um die Bemerkung herum, daß sie ein alles andere als abgegrastes Terrain beschreitet, doch als Motiv dafür scheidet Recherchefaulheit aus. Schließlich hat sie, wie die dreißigseitige Literaturliste beweist, nicht nur die Untersuchung über "Disfluenz als Kontextualisierungshinweis in telefonischen Beratungsgesprächen im Rundfunk" berücksichtigt, sondern auch den Aufsatz "Some Uses of 'uh huh' and Other Things that Come Between Sentences" in ihre Überlegungen einbezogen.

Kotthoff hat schlicht und ergreifend recht: Ihr Thema, der konversationelle Humor, ist zwar alltäglich, wurde aber (zumindest in Deutschland) von der Wissenschaft bislang weitgehend ignoriert. Sigmund Freud hat in seiner berühmten Abhandlung vor allem schriftlich fixierte Witze untersucht, Henri Bergson bezog seine Beispiele hauptsächlich aus der Hochliteratur, und auch deren Nachfolger griffen und greifen lieber, statt aus dem Leben, zur Konserve Literatur - der leichteren Untersuchbarkeit halber, aber zum Schaden der Sache. Wir lachen schließlich weniger bei der Lektüre von Cervantes und Heine, als wenn wir mit Freunden gemütlich zusammenhocken - aber worüber eigentlich?

Um dies zu erfahren, saß Helga Kotthoff bei zwanzig Abendessensgesprächen unter guten Bekannten mit Diktiergerät unterm Tisch, transskribierte anschließend akribisch bis ins kleinste Lachpartikelchen hinein, was dabei so zusammengeredet und -gelacht wurde, und dividierte zuletzt die Lachanlässe fein säuberlich auseinander. So lustig ging es beispielsweise zu, als Anni, David, Katharina und Maria beisammen saßen:

A: damit war ich auf Krätze. oder auf e:h (H) Allergie dacht ich. daß ich gegen irgendwas allergisch bin, und und hab nur dann verdammt schwarze Fingernägel immer ghabt,

D: HEHE

A: wenn ich kratzt hab HEHEHE und da hab ich x LäuHse glaub ich (`HH) auf die AHArt und WeiHEse schon ermoHOrdeHEt.

K: HAHAHAHAHAH AHAHAHAHAHA

m: HEHEHE HEHEHE

K: Das is in schöner Kombination mit dem ganzen Essen.

m: HEHEHEHEHEHEHEHE

M: wir ham ( - ) gleich Eis.

m: HEEHEHEHE HEHEHE

Helga Kotthoff erläutert, weshalb hier gelacht wurde: "Indem Anni ironisch vorgehalten wird, wie schön das Thema zum Essen paßt, wird ihre absurde Perspektive auf das Problem geteilt. Wäre die Ironie kritisch gemeint gewesen, wäre vermutlich nicht gelacht worden. Annis Nonkonformismus wird geteilt."

Die anstrengende Prozedur des Späßeerklärens hält die Autorin über mehrere hundert Seiten durch, sorgfältig "Frotzeleien" von "Pflaumereien" und "Veräppelungen" unterscheidend, "Necken", "Sich-Mokieren" und "Sarkastische Aktivitäten" auseinanderhaltend, "Spaßige Schilderungen" von "Witzigen Bemerkungen" und "Absurden Phantasien" trennend.

Die Interpretationen und Klassifikationen erfolgen meist fachkundig, überzeugend und ohne übertrieben hermetischen Fachjargon. Ihnen voraus geht eine eng am Thema orientierte Übersicht über den Forschungsstand in Sachen Konversation, Humor sowie konversationellem Humor. So wenig an der soliden Arbeit, die übrigens auf Kotthoffs Habilitationsschrift fußt, zu bemängeln ist, so sehr drängt sich die Frage nach Sinn und Zweck der Übung auf. Hat Kotthoff ein Desiderat geliefert, oder wurde das Thema bislang deshalb so stiefmütterlich behandelt, weil es schlicht irrelevant ist?

Erhellend wäre es allemal, anhand von empirischem Material Humorverhalten zu vergleichen: Wie und warum und worüber lachen Männer und Frauen, Junge und Alte, Gebildete und Ungebildete, Linke und Rechte, Arme und Reiche, Sanguiniker und Phlegmatiker, Deutsche und Franzosen und Chinesen? Zu vergleichenden Studien taugen die Aufnahmen von Kotthoff jedoch nicht; sie stammen zum Großteil nur aus einem einzigen Milieu, dem der Autorin, also dem deutscher Jungakademiker. Doch wird in diesem Buch, und das ist sein Wert, einem ganz eigenen, neuen Forschungszweig das Handwerkszeug geliefert. Nun, Examenskandidaten, frisch ans Werk!

Titelbild

Helga Kotthoff: Spaß Verstehen. Zur Pragmatik von konversationellem Humor.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1998.
402 Seiten, 79,80 EUR.
ISBN-10: 3484311967

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