Untergangsgesänge

Thomas Hoeps Erzählungen "Tomorrow never knows" beschwören das Glück

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Offizier scheitert bei dem Versuch, seinen Nachfolger in ein neues System zur Disziplinierung der Menschheit einzuweihen, nicht zuletzt, weil er selber den Bezug zur Realität längst verloren hat. Zudem liegt er in einer Klinik, unheilbar krank, seinen Tod vor Augen. Zum Schluss kann das Sprachprogramm sein Gestammel nicht mehr identifizieren.

Der Krefelder Autor Thomas Hoeps wurde bekannt mit seinem 1998 erschienenen und sehr empfehlenswerten Debütroman "Pfeiffer bricht aus", der im vergangenen Jahr bei Fischer als Taschenbuch herauskam. Zu diesem Zeitpunkt hatte der promovierte Germanist bereits einige Literaturpreise erhalten (Literaturförderpreis der Landeshauptstadt Düsseldorf 1995, Literaturpreis der Moerser Gesellschaft 1998, Nettetaler Literaturpreis 2000) und sich als Journalist (Westdeutsche Zeitung, Neues Rheinland) und, seit 1997, als Geschäftsführer von "kulturraum niederrhein" und freier Literaturprojektleiter einen Namen gemacht.

"Tomorrow never knows" ist, nach den "Bacon-Notaten" und "Pfeiffer bricht aus", das dritte Buch bei der edition selene (www.selene.at), es handelt sich laut Untertitel um "zwei Erzählungen über das Glück".

Es sind zwei erstaunliche Erzählungen, die Thomas Hoeps vorlegt. Erstaunlich deshalb, weil die Bemerkung über das Glück nahelegt, dass es sich um individuelle Suchbewegungen handelt, die dargestellt werden. Dem ist nicht so. Bereits die erste Erzählung, "Systemkrieg", zeigt die Innenansicht eines Regimeführers, der mit Hilfe der von ihm erfundenen 'Katechetischen Reden', die ständig und überall gesendet werden, ein Terror-Regime aufgebaut hat, von dem er sich Glück für die ganze Menschheit erhofft. Das Ziel: Die natürliche Ausrottung des Menschen durch sich selbst, um so die Natur zu erhalten, die durch den Menschen fast zerstört wurde. "Der Mensch ist der Fehler und muss aufhören." Das Szenario wird rückblickend geschildert, in geheimen Nachrichten an einen für würdig erachteten Nachfolger, der, das sei vorwegnehmend ausgeplaudert, den Erzähler verrät, weil er ihn für einen Terroristen hält und selbst regierungs-, also regimetreu, ist. Nicht von ungefähr werden Parallelen zum Nationalsozialismus gezogen, indem Zitate einer Rede von Heinrich Himmler, gehalten am 4. Oktober 1943 in Posen, in den berichtenden Monolog eingefügt sind.

Die äußeren Daten dieser dystopischen Welt gehen zurück auf die Errichtung des Systems nach dem Ende der vier großen Rohstoffkriege, die die Kontinente fast bis zum Overkill zerstört haben. In dieser Situation kommt eine Gruppe zusammen und erfindet ein neues gesellschaftspolitisches System, das "Programm der totalen Sühne". Das Konzept sieht vor: "Die Menschen sollten sich in harter körperlicher Arbeit bis zur Neige verausgaben, sich so weit erschöpfen, daß sie den Tod als großes Glück annehmen konnten. Es mußte so schnell wie möglich umgesetzt werden, ehe der Drang nach Macht, Herrschaft und Besitz das Rad der Zerstörung wieder in Gang bringen würde." Doch genau das passiert. Das aufgebaute System mit Friedensfeldern und Arbeitszentren, das aus den postmortalen menschlichen Restsedimenten Energie gewinnt, wird zum aggressiven, machtzentrierten Unterdrückungssystem, das Andersdenkende ausschaltet. Und: Die menschlichen Reste auf den Friedensfeldern geraten außer Kontrolle. Diese Entdeckung führt zu Aufständen und Revolution, der daraufhin forcierte Disziplinierungsapparat scheint zu versagen. Der Erzähler, ein Offizier, gründet die Therapeutische Einheit, um diesen Krieg nicht mit Kampf, sondern mit Psychologie zu gewinnen. Was im Kontext des Systems bedeutet, den Menschen den frühen Tod als Sühne und als Zeichen der Liebe wieder nahe zu bringen.

Auch die zweite Erzählung, "Tomorrow never knows", wird von einer Erzählfigur getragen, die sich in einer Klinik befindet. Ein zwanghafter Radiomusikhörer wird des Mordes angeklagt und befindet sich zur Überprüfung seines Geisteszustandes in einer psychiatrischen Einrichtung. Während einer Woche ist sein Gesprächspartner ein Psychiater, der ihn über die Morde und deren Hintergründe befragt.

Ein skurriles Szenario, das Hoeps hier entwirft, die monologisierte Innenansicht eines Menschen, der glaubt, in der Musik die Wahrheit, die einzige Wahrheit, gefunden zu haben. Er fühlt sich berufen, diese Wahrheit an andere Menschen weiterzugeben, ihnen die Chance zu geben, die er bekommen hat. Seine Sucht und der damit gekoppelte Wahnsinn beginnen eher harmlos mit einem erlösenden Erlebnis, das der Mann, ein Wirtschaftsfachmann, während eines Konzertbesuchs durchlebt. Eine durch die Musik ausgelöste Erinnerungssequenz wird zum inneren Film, den er jedes Mal ablaufen lassen kann, wenn er die Musik des Konzerts hört. Film und Enthusiasmus kursieren um eine Anwältin, die der Mann im realen Leben zu erobern sucht, was jedoch scheitert. Seine "Erinnerungs- und Traummaschine" funktioniert nicht mehr, er muss sich der Anwältin entledigen, im Kopf und - was er im Gespräch zu verleugnen sucht - auch in der Realität. Seine Konzeptarbeit gewinnt nach dieser 'Befreiung' neuen Aufschub, er lotet jedes erhältliche Musikstück hinsichtlich seiner vielfältigen Möglichkeiten und Projekte aus und archiviert es danach. Seine Suche mündet in die Suche nach dem Ur-Projekt, einem allumfassend verstandenen Lebensprojekt, das allen Menschen die Erkenntnis und damit Freiheit bringen soll. Da ist es nur vorprogrammiert, dass der Nachbarsjunge, der ihn hintergeht, als erster die Chance bekommt, ein Lied zu hören, "um die Message zu verstehen". Dass dieser dabei an einen Stuhl gefesselt wird und der Mann ihn schlägt, erscheint dem Musiksüchtigen eher nebensächlich.

Der Druck der Isolation in der Klinik, Entzugserscheinungen aufgrund der mehrmaligen Wegnahme des Radios und die Fragen des Arztes lassen das Konstrukt schließlich zusammenbrechen.

Gekonnt montiert der Autor dabei die Bruchstücke der Geschichte zusammen, so dass erst im Verlauf des Lesens die jeweilige Geschichte zusammengesetzt wird wie ein Puzzle, dessen Gesamtbetrachtung nur rückblickend erfolgen kann. Daraus ergibt sich eine vollendete Spannung, Andeutungen lassen viele Überlegungen seitens der Lesenden zu, bis sich die 'Wahrheit' der jeweiligen Erzählung und des jeweiligen fiktiven Lebens zu erkennen gibt.

Besonders erfreulich ist die Zugabe der zwei CDs mit einer szenisch-musikalischen Lesung von "Tomorrow never knows", die ahnen lässt, welch ein Genuss eine reale Lesung mit dem Autor und seinem Begleiter Frank Kaulhausen sein muss. Thomas Hoeps, der 1991 'infahs' gründete, die experimentelle Literatur-/Musikgruppe "Institut für artifizielle Hochfrequenz-Simulation", setzt mit seinem musikalischen Partner den Text gekonnt in ein Text-Sound-Musik-Gebilde um.

Titelbild

Thomas Hoeps: Tomorrow never knows. Systemsieg. Zwei Erzählungen über das Glück.
edition selene, Wien 2003.
130 Seiten, 21,70 EUR.
ISBN-10: 385266215X

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