Unsinniger Heldenspuk

Jürgen Busche stöbert für eine "Heldenprüfung" im "verweigerten Erbe des Ersten Weltkriegs"

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Untertitel dieser "Heldenprüfung" ist von einem "verweigerten Erbe des ersten Weltkriegs" die Rede. Ein interessanter Angang möchte man meinen, denn tatsächlich liegt in weit verdrängter Ferne, was beispielsweise bei den Franzosen bis heute als der "Große Krieg" im kollektiven Bewusstsein geblieben ist. Dagegen drängten die Deutschen das Gemetzel der Jahre 1914 bis 1918 aus ihrem Bewusstsein. Statt dessen übernahmen sie eine falsche, aber wirkungsvolle Verklärung des Kriegsgeschehens, zu dem die Lüge des hinterlistigen Dolchstoßes in den Rücken des unbesiegten Heeres ebenso beitrug wie ästhetisch heroisierende Darstellungen à la Ernst Jünger. In einem grandiosen Akt der Selbstverleugnung wurde die "Fronterfahrung" idealisiert und alsbald auch für weitere politische Zwecke funktionalisiert. Stoff auch für einen 'kleinen österreichischen Gefreiten', der im "Stahlbad" seine Erweckung zum Retter Deutschlands gefunden hatte ...

Die kollektive und individuelle psychische Deformation bewirkte, dass das tatsächliche Fronterlebnis der deutschen Soldaten in den menschenfressenden Todesfeldern niemals aufgearbeitet wurde. Die wenigen Unternehmungen künstlerischer oder publizistischer Art, die in der kurzen Zeit relativer Freiheit in Deutschland zwischen Kriegsende 1918 und 1933 möglich waren, wurden wirkungsvoll diffamiert und unterdrückt. Statt ihrer erschienen eine Fülle von verklärten Offizierserinnerungen und sogenannter Regimentsbücher, in denen die militärischen Einsätze der Einheiten akribisch im Tone einer abenteuerhaften Pfadfindergeschichte nacherzählt wurde. Solche Prachtbände standen in deutschen Wohnzimmern, konservierten einen falschen Stolz der überlebenden Veteranen auf ihr Regiment und deckten die wahre Erinnerung an das Kriegserleben wirkungsvoll zu. Doch immer war es da. Es "wühlt und brodelt, stößt und schrillt. Aber von außen", so beschrieb Arnold Zweig den Gemütszustand seines aus dem Krieg heimgekehrten Helden Werner Bertin aus der "Erziehung vor Verdun" (1935), "merkt es gottlob keiner." Jahrzehnte später greift Ludwig Harig in seiner ergreifenden Annäherung an seinen Vater "Ordnung ist das ganze Leben" (1986) die Thematik wieder auf, und man kann nachspüren, wie das Schweigen des Vaters über die erlebten Schützengrabenschrecknisse seine und die Existenz der Familie noch weit bis in die bundesrepublikanischen Jahre hinein auf eine stille und prägnante Art prägte.

Wer sich 'ehrlich' dem Kriegserlebnis stellte, wusste: Dieser Krieg - wie jeder Krieg im übrigen - taugte nicht zum Heldentum. Im Gegenteil: jedes Heldentum war und ist eine Verharmlosung des wirklichen Kriegsgeschehens. Wenn dennoch in der Realität des Krieges ein an den von Busche vorgestellten "vier Kardinaltugenden" Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maßhalten orientiertes Verhalten vorbildhaft sein soll, dann weniger aufgrund seines heldenhaften Charakters als vielmehr in einem einfachen Sinne als Restbestand individuellen zivilmenschlichen Handelns in dieser Bankrotterklärung des zivilen Leben, dem Krieg. Und so ist die Tradition der Bundeswehr aus gutem Grund eine weitgehend heldenlose, sie hat sich in einem demokratisch-zivilen Sinne vom Kriegshelden emanzipiert. Warum also eine neue "Heldenprüfung"? Sie "ist zu empfehlen," schreibt Busche, "weil die deutsche Geschichte mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des letzten Krieges wieder den Einsatz deutscher Soldaten unter Kriegsbedingungen zu verzeichnen hat." Hier nun könnten die heldenlosen deutschen Soldaten im "anforderungsreichen Dienst" der internationalen Streitkräfte wieder bedürftig werden. Um nun gerüstet zu sein, will Busche "achtgeben, dass die Diskussionen kenntnisreich, politisch verantwortlich und intellektuell redlich geführt werden." Aber behauptet Busche da nicht ein Bedürfnis, das überhaupt nicht existiert? Braucht wirklich jemand diese Diskussion?

Die Frage stellt sich erst recht, wenn man die Liste der potenziellen Helden zur Kenntnis nimmt, die Busche zur Prüfung anempfiehlt: Franz von Hipper, Ernst Jünger, Erwin Rommel, Paul von Lettow-Vorbeck, Felix Graf Luckner und Ernst Udet. Busche nähert sich seinen 'Helden' mit einer an die alten Regimentsgeschichtenerzähler erinnernden peniblen Beschreibung der den 'Ruhm' seiner Helden begründenden Schlachten. Ihre außergewöhnlichen militärischen Leistungen konnten Busches 'Kriegshelden' erzielen, weil sie sich einer steifen Konformität und Militäretikette verweigerten. Eine mehr oder weniger ausgeprägte Extravaganz zeichnete sie aus. Das gelingende Kriegshandwerk soll zu einem Akt persönlicher Entwicklung idealisiert werden. In dieser Darstellung wird der Kriegsheld zum Abenteurer, der das Klischee eines Helden nach Art der Roman- und Filmdramaturgie abbildet. Da wird Graf Luckner zum verwegenen letzten Freibeuter der Meere, der Pfundskerl Ernst Udet zum Inbegriff des ebenso ritterlichen wie 'heldenhaften' Fliegers; die Stoßtruppführer Ernst Jünger und Erwin Rommel werden zu sportlichen Draufgängern; der Flottenchef Hipper wird zur tragischen Figur, dem es das "Herz zerreißt", so zitiert Busche den Flottenchef aus seinen Erinnerungen, als er die Flotte schließlich in einer "Marschformation von fünfzig Kilometern" den Engländern zur Übergabe und Zerstörung zuführen musste.

Busche spielt mit der individuellen Widerborstigkeit seiner 'Helden' als möglichem Heldenpotential. Doch was im Krieg' funktionierte', versagte in Friedenszeiten. Keiner seiner Helden vermochte seine Individualität als zivile staatsbürgerliche Kompetenz ins demokratische Alltagsleben zu überführen. Im Gegenteil: Als die Weimarer Republik unterging, ließen sie sich alle auf jeweils eigene Weise auch von den Nationalsozialisten vereinnahmen. Zwar schildert Busche den wenig heldenhaften Werdegang seiner 'Helden' im Nationalsozialismus, doch unklar bleibt seine Schlussfolgerung. So attestiert er Ernst Jünger eine gewisse Klugheit, weil dieser als Soldat "die Möglichkeiten des Handelns und die Wirklichkeit des Geschehens" erkannte. Unter dieser Prämisse entzog Jünger sich den Nazis durch Passivität. "Dieser Untertan hat begriffen, dass er nicht in jeder Hinsicht verfügbar sein muss." Das ist eine zynische Klugheit, deren Handlungsmaxime das 'Sich-Raushalten' ist. Sie wurde in Deutschland auch gerne zur 'heldenhaften' inneren Emigration veredelt.

Im Epilog seiner 'Heldenprüfung' schreibt Busche: "Aushalten und nutzen können, erweist den Held im Kriege. Die Fähigkeit aber, das gehörige Maß zu finden, bildet sich im Frieden und bewährt sich zuletzt auch nur dort." Hätte er dies doch Ernst genommen! Denn wirkliche Helden, hier sind sie zu finden ...

Titelbild

Jürgen Busche: Heldenprüfung. Das verweigerte Erbe des Ersten Weltkriegs.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004.
196 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3421057796

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