Engagement für einen demokratischen Neuanfang

Carl Zuckmayers "Deutschlandbericht für das Kriegsministerium der Vereinigten Staaten" ist auch ein lehrreiches Zeitdokument

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Vergleich ist so weit hergeholt nicht: Im Irak steht zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine amerikanische Besatzungsmacht vor der (selbst gestellten) Aufgabe, ein Land zu demokratisieren. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die amerikanische 'Mission' dieser Tage kaum von der Aufgabe 1945 in Deutschland. Und so mag, wer aus der Geschichte lernen möchte, sich zuweilen erinnern an die Nachkriegsjahre in Deutschland, um auf die Fehler und Versäumnisse der aktuellen amerikanischen Politik hinzuweisen. Auch hierzu bietet der vorliegende Band aufschlussreiches Material.

Am 4. November 1946 konnte Carl Zuckmayer als Kulturbeauftragter der Film und Theater Sektion im Auftrag des Reorientation Branch der 'Civil Affairs Division' (CAD) im Kriegsministerium in das von den Nazis befreite Trümmerdeutschland reisen. Zuckmayer sollte (und wollte) die Möglichkeiten eines kulturellen Neuanfangs unter demokratischen Vorzeichen in Deutschland begutachten. Schon einmal hatte man das Zuckmayer'sche Know-how in Anspruch genommen. 1943/44 hatte ihn der US-Auslandsgeheimdienst OSS beauftragt, einen Check des möglichen Personals für zukünftige kulturelle Aufgaben zu erstellen. Zuckmayers "Geheimreport", der 2002 ebenfalls im Wallstein-Verlag erstmals vollständig erschien, geriet zu einem emphatisch-menschlichen, dabei aber immer kritischen Tableau der Szene der in Nazi-Deutschland verbliebenen Künstler. Es war also in gewisser Weise konsequent, dass Zuckmayer nun, nachdem er 1946 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, als ziviler Kulturbeauftragter für die amerikanischen Behörden in Deutschland aktiv werden konnte.

Der Job war keineswegs unumstritten, ebenso wenig wie Zuckmayers Person. Das lag vor allem daran, dass Zuckmayer sich bereits während der Exilzeit sorgsam aus allen politischen Positionskämpfen herausgehalten hatte. Er ließ sich keinem Lager zurechnen. Zudem bestand er - anders als beispielsweise Klaus Mann oder Alfred Döblin, die als Angehörige der amerikanischen oder französischen Armee nach Deutschland kamen - als Beauftragter der Amerikaner auf Unabhängigkeit. "Ich kann nicht", schrieb er in einem Brief an seine Frau, "hinüberkommen und [...] der sein, der offiziell Verantwortung oder Mitverantwortung für die Alliierte Politik drüben trägt ... Ich kann als Verbindungsmann zwischen den deutschen und amerikanischen Leuten hinübergehen, nicht als Amerikaner der den Deutschen Orders gibt..." Doch genau diese Unabhängigkeit wurde in einigen Emigrantenkreisen angezweifelt. Während die einen Zuckmayers Haltung als naives politisches Fehlverhalten bis hin zu Anbiederung einschätzten, sahen die anderen ihn als schlichten Erfüllungsgehilfen der US-Politik. Zuckmayer selbst äußerte sich in einem Brief an seine Frau im Mai 1947 über die ihn befeindende "Emigranz": "Die Feindschaft gegen mich kommt zum Teil aus der Mann-Ecke, - der alte Thomas selber wäre nicht so aber er steht ganz unter dem Einfluss des clan, der ausser sich war, dass ich nach Deutschland 'durfte'. Auch die Brechtgruppe, Ferdinand Bruckner Grüppchen undsoweiter sind ausser sich darüber [...] man zerreißt sich dort das Maul über des 'Teufels General' und behauptet, ich habe mich in Deutschland, einerseits als groß getan und 'feiern' lassen, andrerseits schamlos 'angebiedert' und auf deutschnational und Blubo gespielt." (Verballhornung des Naziausdrucks Blut und Boden, HGL).

Ursache solcher Anfeindungen war das Lagerdenken des aufziehenden Kalten Krieges. Schon sahen sich auch die zuvörderst der Sache verpflichteten Mitarbeiter des CAD als "Reds" und "Communists" verunglimpft. Eine wirklich kritische Bestandsaufnahme der amerikanischen Besatzungspolitik war unter dem Primat der antikommunistischen Abgrenzung nicht mehr gewollt.

Zuckmayer aber verstand seine Berichte aus dem Trümmerdeutschland durchaus als Mahnung an die amerikanischen Besatzer, ihre Verantwortung für einen demokratischen Neuanfang in Deutschland ernst zu nehmen. Dass ein solcher Neunanfang in Deutschland möglich war, stand für ihn außer Frage. Bereits im amerikanischen Exil hatte er sich gegen die 'populäre' These von der Kollektivschuld aller Deutschen ausgesprochen. Nun, so glaubte er, kam es darauf an, dass die Amerikaner das Modell einer lebendigen Demokratie den Deutschen gewissermaßen vorlebten. Doch die Hoffnungen vor allem jener, die, so Zuckmayer, "ein allgemeines Verständnis für amerikanische Vorstellungen und Konzepte" haben, die "der Lage entsprechend leben und mit uns zusammenarbeiten" und eine "klare eigene Vorstellung für eine Neuorientierung und den Wiederaufbau in Deutschland" haben, wurden enttäuscht. "Wir erreichen die Menschen nicht. Wir finden keinen Weg in ihre Köpfe und Herzen." Stattdessen empfanden die Deutschen und mit ihnen Zuckmayer die Maßnahmen der Besatzungsmacht als zunehmend repressiv. Zudem schwand das Verständnis für die standardisierte Entnazifizierung der Amerikaner. "Sie sind alle der Ansicht, einschließlich vieler alliierter Offiziere, daß die augenblickliche Situation der Entnazifizierung unglückselig ist und sofort geändert werden muß." Entsprechend mahnend fiel Zuckmayers Bericht aus: "Was wir den Deutschen heute antun, werden wir uns selbst antun. Kultureller Wiederaufbau in Deutschland und Reorientierung ist keine Angelegenheit von 'Wohltätigkeit' sondern von Vernunft und Selbsterhaltung. Hier beginnt das, was man den Komplex einer 'zivilisierten Welt' nennen könnte ..."

Zuckmayer plante durch die Veröffentlichung von Teilen seines Berichts einem amerikanischen Publikum den Lebensalltag in den zerstörten deutschen Städten nahe zu bringen, um so Verständnis für das Anliegen des demokratisch-kulturellen Wiederaufbaus zu wecken. Gerade solche Passagen, wie die Impressionen über den "Schwarzen Markt" (ein "unaufhörliches Kriechen, Krabbeln und Tasten; ein aufgestörter Ameisenhaufen, ein unaufhörliches Summen wie von schwärmenden Bienen, ein ewiges Kommen und Gehen, Wandern, Laufen, Durchqueren, ein Scharren und Knarren von Millionen von rastlosen Sohlen"), beiläufige Bemerkungen über die "Achtundachtziger" ("'H' ist Nummer acht im Alphabet, und achtundachtzig ist HH oder Heil Hitler. Man findet eine achtundachtzig - sehr selten - an einigen Trümmerwänden in Berlin."), oder reportagehafte Darstellungen der Lebenswirklichkeit von Jugendlichen lesen sich bis heute spannend und informativ.

Neben dem eigentlichen Deutschlandbericht versammelt der Band einige weitere Texte Zuckmayers zur Situation in Deutschland aus den Jahren 1946 bis 1948. Eine instruktive Einleitung sowie umfangreiche Anmerkungen vervollständigen diesen lesenwerten Band.

Titelbild

Carl Zuckmayer: Deutschlandbericht für das Kriegsministerium der Vereinigten Staaten von Amerika.
Herausgegeben von Gunther Nickel, Johanna Schrön und Hans Wagener.
Wallstein Verlag, Göttingen 2004.
307 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-10: 3892447713

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