Gegen den Strom

Ein geistreicher Sammelband über Fritz von Herzmanovsky-Orlando

Von Jörg von BilavskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg von Bilavsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer erinnert sich heute noch an den österreichischen Schriftsteller Fritz von Herzmanovsky-Orlando? Womöglich nur noch Germanisten und ein paar Liebhaber seiner äußerst eigenwilligen und originellen Prosa. Sie sind es denn auch, die ihm zu seinem 50. Todestag mit höchst anregenden Texten ein kleines Denkmal gesetzt haben. Dass der "anarchische Chronist Altösterreichs" durch seine "unkonventionelle Durchmischung literarischer Formen" den Wissenschaftlern dabei interpretatorische Raffinesse abverlangt, ist in fast allen Beiträgen spürbar.

Lobenswert ist bereits die mit seinen privaten Fotos illustrierte Lebenschronik von Verena Zankl. Konzise skizziert die Literaturwissenschaftlerin den Lebensweg eines Schriftstellers, der als Architekt sein kurzes Berufsleben begann, wegen einer Nierenerkrankung zum Privatier wurde und dank des Familienvermögens finanziell unbeschwert seine künstlerischen Talente pflegen konnte. Insbesondere die Aufnahmen von seinen Kuraufenthalten in Italien und Ägypten zeigen, wie er in seiner Rolle als verwandlungsfähiger Künstler aufging. Sie demonstrieren jene libertinäre Offenheit, die sein Privatleben und sein literarisches Schaffen bestimmt hat. Auf die außerehelichen Sexualkontakte seiner Frau reagierte er denn auch nicht mit quälender Eifersucht, sondern mit fantasievoller und erotischer Neugier.

Der informativste Beitrag stammt von Wendelin Schmidt-Dengler, dem Herausgeber seiner "Sämtlichen Werke". Der Leiter des Österreichischen Literaturarchivs weiß anhand sprechender Beispiele die Poetik des Autors genauestens zu dechiffrieren und das Fragmentarische als Prinzip seines literarischen Denkens und Schreibens festzuhalten. Damit gesteht er seinen Arbeiten ein ähnlich großes poetisches Gewicht zu wie denen von Johann Nepomuk Nestroy oder Thomas Bernhard. Viel stärker als bei diesen Geistesverwandten kommen in seiner surrealen Erzählkunst aber auch Momente des Dekonstruktivismus zum Tragen, in denen die scheinbar autonomen Subjekte ihres gegenwärtigen und historischen Selbstverständnisses beraubt werden.

Das poetische und philosophische Prinzip des Fragmentarischen schwingt als Thema auch in vielen anderen Aufsätzen mit, die immer wieder auf dieses konstituierende Element seiner Arbeiten rekurrieren. Egal, ob es sich dabei um die von Juliane Vogel diagnostizierte Sammelleidenschaft des Autors handelt, bei der immer die "Menge der Dinge" und nicht deren Ordnung im Vordergrund steht. Oder ob es um seine vielschichtige und anspielungsreiche Verarbeitung mythologischer Versatzstücke geht, die nach Meinung von Astrid Wallner die "via regia in die Kunst- und Erzählwelt Herzmanovsky-Orlandos" darstellen. Ihr Beitrag ist nicht nur der längste, sondern auch der anschaulichste, weil er sich die Zeit nimmt, das Abseitige und Absurde seiner Schriften durch kommentierte Zitate verständlich zu machen.

Herzmanovsky-Orlando, der zu Lebzeiten nur für seinen Roman "Der Gaulschreck im Rosennetz" einen Verleger finden konnte, war auch Dramatiker, den es nach Meinung von Maria Winkler neu zu entdecken gilt. Allerdings begründet die junge Theaterwissenschaftlerin dies allein mit der für all seine Werke charakteristischen Erzähltechnik. Vom dramaturgisch subtil gesponnenen Netz aus Illusion und Realität und von der marionettenhaften Typisierung seiner Figuren weiß die Forschung aber schon länger zu berichten. Erhellender erscheint hingegen die Frage nach dem Frauenbild in seinem Werk, dem die Wiener Schriftstellerin Karin Rick ein paar Seiten gewidmet hat. Sie verortet es nicht nur historisch und philologisch präzise, sondern deckt auch die biografischen und psychologischen Motive des Autors auf.

Abgerundet wird der Sammelband durch einen interessanten Blick in den Briefwechsel mit dem Maler- und Schriftstellerkollegen Alfred Kubin, dessen Werk gleichfalls in der realitätsverfremdenden "Phantastik" wurzelt, aber eine viel düstere und hoffnungslosere Stimmung verbreitet. Die von beiden Seiten liebevoll illustrierten und hier als Faksimile abgedruckten Briefe lassen sich ebenso genussvoll betrachten, wie sich der Auszug aus der Erzählung "Zirkusblut" des "Epigonen" Franzobl alias Stefan Griebl lesen lässt.

Doch ein winziger Wermutstropfen bleibt: Die wissenschaftlich fundierten und teilweise sehr komplexen Aufsätze dürften ein breiteres Publikum leider ebenso wenig erreichen wie die Texte des Autors, die in keiner preiswerten Ausgabe mehr erhältlich sind. Um Herzmanovsky aus dem Schatten eines Heimito von Doderer oder Robert Musil herauszuführen und ihn über die Grenzen Österreichs hinweg bekannt zu machen, hätten nicht nur Spezialisten aus der Alpenrepublik, sondern auch Germanisten aus dem Ausland in dieser Jubiläumsschrift zu Worte kommen müssen.

Der Anschluss an die ähnlich motivierte und sehr erfolgreiche Millenniumsausstellung "Austria im Rosennetz" vor knapp zehn Jahren wurde damit verpasst. Dass Herzmanovsky-Orlando im Februar dieses Jahres auf der hr2-Hörbuchbestenliste mit Ausschnitten aus "Das Reich der Tarocke" geführt wurde, könnte ein Zeichen eines Comebacks dieses außergewöhnlichen Autors sein.

Titelbild

Bernhard Fetz / Klaralinda Ma / Wendelin Schmidt-Dengler (Hg.): Phantastik auf Abwegen. Fritz von Herzmanovsky-Orlando im Kontext.
Folio Verlag, Wien 2004.
200 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-10: 3852562864

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