Literaturwissenschaftliche Anstrengungen

Unterschiedliche Ergebnisse literaturwissenschaftlicher Analysen liefern ein Sammelband über Hermann Kesten und Gabriele Kämpers Analyse der "politischen Rhetorik der neuen intellektuellen Rechten”

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Kontext neoliberaler Vereinnahmungen der Wissenschaften für den ökonomischen Nutzen genießen die Geisteswissenschaften nach wie vor relative Freiheit. Es sei dahingestellt, ob die Freiheit Ausdruck stolzer selbstbewusster Eigenständigkeit ist oder doch nur vorläufiges Resultat einer Ungewissheit darüber, wie auch die Geisteswissenschaften unter das Joch ökonomischer Nutzenmaximierung zu zwängen sind. Umso bedeutsamer ist es, den Nachweis der Unverzichtbarkeit immer wieder mit interessanten und erkenntnisreichen Studien zu leisten. Dies gilt auch für die Literaturwissenschaft, aus deren Werkstatt zwei in diesem Sinne unterschiedlich zu bewertende Bände anzuzeigen sind. Während der Sammelband "Dichter - Literat - Emigrant" kaum neue Erkenntnisse über den 1996 verstorbenen Hermann Kesten liefert, gewinnt dagegen Gabriele Kämper mit ihrer Analyse der sprachlichen Bilder und Muster Erkenntnisse zur "politischen Rhetorik der neuen intellektuellen Rechten".

Dem "Phänomen" Hermann Kesten, jener "literarischen Persönlichkeit, deren Bedeutung für Literatur und literarisches Leben des 20. Jahrhunderts unstrittig ist.", möchte der von Walter Fähnders und Hendrik Weber herausgegebene Sammelband auf die Spur kommen. Zu diesem Zweck sind in diesem Band, rechnet man einen zuvor bereits anderswo erschienenen Beitrag von Marcel Reich-Ranicki hinzu, elf Beiträge versammelt. Ein bislang unveröffentlichter Aufsatz von Kesten selbst, eine sensible Impression der Exilerfahrung in Frankreich mit dem Titel "'La doulce France' oder Exil in Frankreich", der vermutlich in den 50er Jahren entstanden ist, rundet den Band ab.

"Er war ein großer Literat und ganzer Kerl" - so schreibt Marcel Reich-Ranicki in seinem dem Band vorgestellten konzentrierten und treffsicheren Beitrag. In dieser Beschreibung schwingt aber auch eine gewisse Reserviertheit mit. Denn dieser "lyrisch-emotionale Essayist" war "ein rührender Schwärmer, ein zuverlässiger Freund der Kunst und der Künstler, ein bewundernswerter Liebhaber der Literatur und des Geistes. Ein Liebhaber, also ein Dilettant - und etwas Dilettantenhaftes macht sich in allen seinen Schriften bemerkbar." Die "Grenzen seines Horizonts" deuteten sich an in seiner Sicht auf die Welt, die ihm, wie er einmal schrieb, "zuletzt wie ein literarisches Kaffehaus im größeren Format" aussah. In seinen Beziehungen zur Literatenwelt, seinen Freund- und Bekanntschaften liegt, so Reich-Ranicki, Kestens spezifische Bedeutung. Und er formuliert dann auch gleich seine Aufgabe für die Wissenschaft: "Das Buch 'Meine Freunde, die Poeten' ist eine Fundgrube, um die sich die deutschen Literaturhistoriker bisher viel zu wenig gekümmert haben."

Der vorliegende Band folgt dieser Vorgabe in zwei Beiträgen, die sich mit Kestens Freundschaftsverhältnis zu Heinrich Mann, den er mehr schätzte als den Bruder, und Erich Kästner beschäftigen. Eine hübsche Episode aus dem 20er-Jahre-Berlin wirft ein bezeichnendes Licht auf das Freundschaftsverhältnis der beiden: ein Rezensent verwechselte die Werke Kästners und Kestens. Freilich hätte man gerne etwas mehr erfahren, als nur die Episode. War's für die beiden eine Scherz? Ärgerten sie sich? Oft kommen die Beiträge kaum über die Nacherzählung des schon Bekannten hinaus. Kesten wurde 1900 im galizischen Podwoloczyska geboren und kam 1904 nach Nürnberg. Er selbst ließ mit Bemerkungen wie "Am 28. Januar 1900 geboren, habe ich meine Kindheit in Nürnberg verbracht" seine Herkunft im Ungewissen. Warum? Schämte er sich seiner Herkunft als Sohn einer eingewanderten ostjüdischen Kaufmannsfamilie? Auch die Beiträge über Kestens bedeutsame Rolle als Literat und Lektor des Kiepenheuer-Verlags in Berlin, der mit seinen eigenen Werken und der 1929 herausgegebenen Anthologie "24 neue deutsche Erzähler" zum herausragenden Vertreter einer "Neuen Sachlichkeit" in der Literatur wurde, vermitteln ebenso wie die Beiträge über Kestens Exilzeit keine neuen Erkenntnisse. Aufschlussreich zumindest ist ein Beitrag über Kestens "monoton grimmigen Antikommunismus", mit dem er sich in der Nachkriegszeit des Öfteren ins Abseits manövrierte. Am Beispiel der Auseinandersetzung mit Uwe Johnson, den Kesten nach einer Lesung in Italien 1963 groteskerweise als einen Befürworter des DDR-Regimes angriff, wird eine traurige Kluft zwischen den aufbegehrenden 'Jungen' der Literatur und einigen ihr eigenes Erleben als einzig gültigen Maßstab anlegenden Exilanten deutlich. Jedenfalls erstaunt die 'Naivität', mit der sich Kesten von antikommunistischen Interessen politisch vereinnahmen ließ und so sein Vermächtnis in ein schiefes Licht geriet.

Führt im Kesten-Band die literaturwissenschaftliche Herangehensweise im ureigenen Feld kaum zu neuen Ergebnissen, so zeigt Gabriele Kämper, dass eine solche Herangehensweise ein anderes Feld durchaus fruchtbar beackern kann. Die Literaturwissenschaftlerin untersucht in ihrem Buch die "politische Rhetorik der neuen intellektuellen Rechten." Objekt ihrer anregenden Betrachtung ist der 1994 erstmals erschienene Sammelband "Die Selbstbewußte Nation". Mit diesem Band sollte von jenen, die sich als 'intellektuelle Rechte' verstehen, eine "deutsche Debatte" begonnen werden, mit der ein neues nationales Selbstbewusstsein installiert werden sollte. Die Zeit schien günstig: Mit seinem "Anschwellenden Bocksgesang" hatte Botho Strauß immerhin im "Spiegel" leidlich Aufsehen erregt. Und drängte nicht geradezu die so unverhofft gelungene Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten zu einem neuen nationalen Bewusstsein?

Der Strauß'sche Bocksgesang wurde denn auch aufgenommen in die Beitragssammlung, deren intellektuelle Kraft freilich eher bescheiden blieb. Zuviel weinerliche, von Selbstmitleid und Komplexen geplagte Anstrengung, die zuweilen auch schon mal ungewollt satirische Qualitäten entwickelt, etwa wenn in einem Beitrag Österreich als Ideal einer verklemmten Sehnsucht nach patriarchalischen Strukturen ersehnt wird. Kurzum, das Buch blieb erfreulich unbedeutend.

Trotzdem sind die in den Buchbeiträgen typischen sprachlich-literarischen Muster des rechten Denkens eine Betrachtung wert. Denn trotz der in allen Mustern - seien es die Idealisierungen als vereinsamte und verkannte Einzelgänger, die vermeintlich mutige Außenseiter-Attitüde oder die lächerlichen Idealtypen von Männlichkeit - auffindbaren komplexgeladenen Selbstbemitleidung als Opfer einer angeblich linksdominierten Meinungsöffentlichkeit, die, nebenbei bemerkt, eine Auseinandersetzung mit eventuell vorhandenen argumentativen Ansätzen überflüssig macht, entwickeln die Muster doch Rattenfängerqualitäten. Um denen vorzubeugen, ist eine Analyse der sprachlich-literarischen Muster sinnvoll. Dies leistet der vorliegende Band. Wünschenswert wäre - das indes kann man diesem eher akademisch geprägten Band nicht zum Vorwurf machen - eine für die konkrete politische Bildung aufbereitete Zusammenfassung.

Titelbild

Walter Fähnders / Hendrik Weber (Hg.): Dichter - Literat - Emigrant. Über Hermann Kesten. Mit einer Kesten-Bibliographie.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2005.
310 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3895284017

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Titelbild

Gabriele Kämper: Die männliche Nation. Politische Rhetorik der neuen intellektuellen Rechten.
Böhlau Verlag, Köln 2005.
347 Seiten, 37,90 EUR.
ISBN-10: 3412138053

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