Lustbuch mit Zukunftsguckloch
B. S. Johnson geht mit "Albert Angelo" in die Schule
Von Friedhelm Rathjen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDa klappe ich das Buch zu und stehe auf dem Schlauch. Einerseits habe ich B. S. Johnsons "Albert Angelo" als feine Kost für Lustleser kennen gelernt, andererseits muss ich fürchten, dass eine akribische Beschreibung der formalen Tricks des Autors gerade die Lustleser abschrecken könnte. Soll ich also verheimlichen, dass Johnson einen Baukasten aller nur erdenklichen Erzählperspektiven vor uns ausbreitet, nicht nur mit Ich- und Er-Erzählrede brilliert, sondern auch mit so unerhörten Dingen wie Du- und Wir- und Ihr-Passagen, fein säuberlich den diversen Lebensbereichen des Titelhelden zugeordnet? Ich könnte umständlich aufzählen, welche Textsorten in "Albert Angelo" eingebaut sind, von inneren und äußeren Monologen über Diskussionsprotokolle und einen anatomischen Lexikonartikel bis zu Schüleraufsätzen und Gedichten; ich könnte die spiegelbildliche Makrostruktur (Prolog-Exposition-Durchführung-Auflösung-Koda) sezieren oder gar verraten, dass uns der Autor in der "Auflösung" persönlich zu behelligen scheint mit einem Widerruf alles Vorherigen. Ich könnte, kurz gesagt, zum Spielverderber werden. Besser sollte ich mitspielen, durch Nacherzählen des Vorerzählten: "Ich bin Architekt - das heißt, eigentlich bin ich Lehrer, möchte aber Architekt werden. Nein, umgekehrt, ich bin Architekt, aber den Lebensunterhalt verdiene ich als Lehrer."
Am Anfang warst du dir nicht so sicher, ob der Titelheld Sprachrohr oder Witzfigur sein soll, dieser Titelheld, bei dem du dich lange gefragt hast, ob er eigentlich mit Vor- oder mit Nachnamen Albert heißt (Angelo ist nur ein Beiname, dem Teil Londons geschuldet, in dem er sich bewegt). Deinen Verdacht, er müsse wohl Albert Albert heißen, bestätigt der Pseudo-Autor kurz vor dem Ende und gesteht auch ein, dass dieser Name "einen leicht komischen Klang" hat, "um seine Albertigkeit noch herauszustreichen". Die Albertigkeit ist ein fortwährendes Scheitern, gewissermaßen als Lebensprinzip, wenn das, was du hier gelesen hast, denn Leben sein sollte. "Du gehst in deine Klasse zurück und bringst dem Wellensittich ordinäre Ausdrücke bei. Er lernt nichts: auch er nicht."
Mit dem Beibringen ist das so eine Sache. Er, dieser Albert, ist Aushilfslehrer nur der Unbill der Verhältnisse wegen, er ist gar nicht fähig, Inhalte zu vermitteln. Architekt will er sein, das bestimmt diesen Roman: es geht ums Formbewusstsein. Während Albert durch London läuft, liest er die Häuserzeilen mit penetrantem Kennerblick; das ist alles etwas dicke aufgetragen, wie der Pseudo-Autor am Ende selbst einräumt. Seltsam nur, dass die forcierte Penetranz der Dis- und Exkurse der Lektüre nicht den Lustwind aus den Segeln nimmt, ganz im Gegenteil. "Es gab diesen ungeheuren Drang im Menschen, dem Leben ein Muster aufzuprägen, dachte Albert", und er denkt gewiss gut daran; was er erlebt, ist freilich, dass sich des Lebens Chaos gegen solchen Drang zur Wehr setzt und das fein Gefügte wieder auflöst. Die umschließende Struktur zielt auf eine Mitte, die leer ist.
Wie ich Allbert Anschelo finde. Ich finde, Allbert ist ein Buch mit paar netten Steln drin aber sontz ein bischen konfus. Gefalln hat mir die Stelle wo dieser fett Sack von Pauker ein cooler Typ sein will und dan doch blos rumprügelt, der ist nicht ganz richtig im Kopf und ein gans miser Lehrer aber so sind die meisten Pauker. Unser Deutsch Lehrer mit dem wir dies Buch geleesen haben hat erzählt, der Schreiber BS Johnson ist was wie sonne Mischung von Becket und Flenno Brien und Laurenc Störn, ich weis garnich, warum die uns immer mit so Sachen belestigen müssen am liebsten würd ich einfach sagen: ach Halts Maul du fette Jauchetonne, ich will blos wissen, wies ausgeht. Das geht prima aus, am Schlus kriegt Albert Fettschwein wasser verdient. Dem Schreiber sollt man auch mal ne Abreibung verpasen für solche Bücher, aber unser Deutsch Lehrer sagt, der ist wieso schon tot, hat sich selbst umgebracht, Freiertod oder so hat der das genannt. War aber auch schon vierzig und so alte Knacka die uns blos mit so Lantplagen Bücher nerven, könn mir ächt gestohlen bleiben.
Wir haben bei der Lektüre schnell heraus, dass all die formalen und erzähltechnischen Kabinettstückchen das Seinszentrum dieses doppelten Albert umkreisen, indem sie davon ablenken. Uns entgeht nicht, dass das Strohfeuer des Erzählens geschürt wird, um einen Widerschein von Alberts innerer Hitze einzufangen. Während wir den dicklichen Aushilfslehrer in seine nicht zu bändigenden Schulklassen begleiten und im Paralleldruck das Unterrichtsgespräch mit Alberts sarkastischen Gedanken kontrastiert sehen, schweifen unsere Gedanken wie die seinigen ab. "Es hat alles mit Jenny zu tun und deshalb auch mit mir als Ganzem, mit allem, was ich bin", lesen wir, doch was ist das Ganze? Wir müssen vermuten, dass dieser Figur und diesem Buch das Herz herausgerissen ist und also eine Lücke klafft wie in den Seiten 183 bis 188. Durch dieses "Zukunftsguckloch" schauen wir voraus auf die Seite 189 und ein dort befindliches Textfragment: "entrang ihm das Messer und versetzte ihm eine tödliche Wunde über dem rechten Auge (wobei die Klinge zwei Zoll tief eindrang), an welcher er augenblicklich verstarb."
Wenn ihr nun glaubt, dass das das Ende von Albert Albert sei, dann wisst ihr nicht, wie viele Ers und Ichs es in einem Buch wie diesem geben kann. Euch soll an dieser Stelle auch nicht verraten werden, woher jenes Messer kommt und wen es meuchelt, das werdet ihr schon selbst herausfinden müssen. Ohnehin kann euch nur dazu geraten werden, euch mit Johnsons Werk einen wonniglichen Tag zu machen. Wenn ihr Lehrer seid, habt ihr die Chance, euren Schülern anhand eines einzigen Buches einen ganzen Katalog erzähltechnischer Möglichkeiten beizubringen, aber vielleicht lasst ihr das lieber, denn das Beibringen läuft ja doch meist auf Lustentzug hinaus, und euch soll in eurem Unterricht doch nicht Ähnliches widerfahren wie Mr. Albert in dem seinigen.
B. S. Johnsons Zeitgenossen wussten mit diesem Buch, als es 1964 erschien, offensichtlich wenig anzufangen, vermissten sie darin doch den engagierten Sozialrealismus, der damals in der englischen Literatur gefordert war. Heutige Leser könnten sich eher daran stoßen, dass Johnson sich in der "Auflösung" dann doch den "Roman als Medium der Wahrheitsvermittlung" wünscht und die vorherigen Kapitel zu gewissen Graden zurückzunehmen scheint - diese Passagen klingen inzwischen in ihrer Dogmatik ein bisschen antiquiert, sollten freilich auch nicht als letztgültige Dekrete des Autors gelesen werden, sondern einfach als eine weitere Erzählstimme im kakophonen Konzert der Bauchrednerpuppen. Kenner von Arno Schmidt, Raymond Federman, Gilbert Sorrentino oder Reinhard Jirgl werden im übrigen viele der von B. S. Johnson angewandten Tricks bereits kennen: aus Büchern, die erst nach "Albert Angelo" entstanden sind, und vermutlich sogar ohne seine Kenntnis. Zukünftigen Autoren ist nur zu wünschen, dass B. S. Johnson nicht auch ihnen durch die Lappen geht, denn bei ihm dürfen sie tun, was kaum eine andere Schule erlaubt: Lernen ohne Lusteinbuße. "So: fertig, rutscht vorzüglich."