Erste Inventur nach dem Ausverkauf

Benjamin von Stuckrad-Barres Fortsetzungsroman "Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft (Remix 2)" geht in die Defensive

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein gefundenes Fressen - alle sind zufrieden, alle haben, was sie wollten. So wunderbar öde, so herrlich vorhersehbar schreibt sich die Geschichte dieser Karriere. Sämtliche Allgemeinplätze, mit denen man gegen die Biografien von Kinderstars und Popsternchen, literarischen One-Hit-Wonders und im Drogensumpf versumpften Britpoppern ätzt, treffen zu. Jede hohle, altkluge, gleichmacherische Promikarrierenkommentarfloskel ("Da ist jemand zu schnell zu berühmt geworden!", "Hochmut kommt vor dem Fall!" usw.) passt.

Benjamin von Stuckrad-Barre, das Über-Klischee. Das Mega-Symptom. Das Fallbeispiel, mit dem sich jeder Auswuchs der Jetztzeit illustrieren lässt: Der Boom des jungen Erzählens, so meinungsstark wie inhaltsleer, Ende der 90er Jahre ("Soloalbum", Roman (?), 1998). Das Platzen der dotcom-Blase zur Jahrtausendwende ("Tristesse Royale", Roman (?!?), 1999). Der mediale Selbstdarstellungswahn von B-Promis in den folgenden Jahren ("Lesezirkel", Liveshow auf MTV, 2001). Und dann, endlich, endlich: Der große Zusammenbruch.

Beziehung kaputt! Neues Buch floppt! Magersuchtsgerüchte! Große Kokainbeichte im "Spiegel"! Wir haben es schon immer gewusst, wir wundern uns nicht, wir hätten es euch vorher sagen können: Das konnte ja nichts werden mit dem Kerl. Süffisantes Grinsen von allen Seiten, das Thema schnell durch die Boulevardmagazine gewunken, und dann Deckel drauf - und gut is'! Ein Häufchen Asche bleibt allein / und beide Schuh', so hübsch und fein. Ham' wa also wieder was gelernt. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit - und gleich weiter zur nächsten kaputten Medienfigur. Was macht eigentlich Daniel Küblböck neuerdings?

Der didaktische Hammer a. k. a. the life & times of Germany's überschätztestem Popliteraten ist aber nur eine Seite der Medaille. Jene Seite, die man Millionen von feingeistigen pubertierenden Teenagern vorhält, damit sie einen großen Bogen um Schreibmaschinen machen, ,sollnliebermal was ordentliches lernen', die arroganten Bengel! Die andere Seite jedoch sind die Bücher. "Was, der schreibt auch?" ruft da die Zielgruppe verschreckt. Ja, das tut er. Und zwar gar nicht mal schlecht. Das merkt nur keiner, so lange jene Bücher hübsche Randnotizen im großen BvSB-Diskurs bleiben. Das aktuelle heißt "Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft", ist eine Fortsetzung der 1999 erschienenen Textsammlung "Remix", und letzten Sommer, kurz vor Erscheinen, saß Stuckrad-Barre im weißen Anzug mit der Frauke Ludowig von RTL beim großen Preis von Monaco und glaubte, der Welt mitteilen zu müssen, dass... - aber lassen wir das.

Warum die "Remix"-Reihe vom Verlag munter als "Roman" beworben wird, bleibt ein Geheimnis. Das fast 500 Seiten starke Buch ist keine geschlossene Narration, vielmehr reiht es die Artikel, Rezensionen, biografischen Skizzen, Portraits und Reportagen Stuckrad-Barres aus den Jahren 1999 bis 2004 aneinander, ungeordnet und unkommentiert. Journalismus also. Schneller, spaßiger, ungemein subjektiver Journalismus. Der Modus Operandi ist bekannt: Latent trashige, aber im kollektiven Bewusstsein verankerte Medienphänomene (Westbam, die Spice Girls, Paola & Kurt Felix, "Rock am Ring") nehmen, nach allen Seiten hin drehen und wenden, einmal kräftig durchschütteln und kucken, was übrig bleibt.

Übrig bleiben in erster Linie mal wieder deutliche Worte, klare Meinungen. Diese werden allerdings mit den Jahren differenzierter. Nicht, dass die Welt wirklich wissen müsste, was Stuckrad-Barre von Herbert Grönemeyer, Walter Kempowski oder "Je t'aime", der rührend ostigen Kuppelshow des MDR, hält. Aber man hört es trotzdem gern. Denn der Herr Popliterat weiß, was er tut. Sicher, stellenweise wird's auch mal zu lang oder zu speziell, zu manieriert oder zu flach. Wirklich neu ist es natürlich auch nicht. Und sämtliche großen Debatten über die Herren und Damen Kracht, Hermann und von Lange sind ebenfalls längst vorbei, der Zeitgeist-Faktor von "Remix 2" - Buch, Autor und Thema gleichermaßen - hält sich also in Grenzen.

Aber diese Distanz lenkt den Blick weg von den (letztendlich auswechselbaren) Gegenständen, an denen sich Stuckrad-Barre abarbeitet, und hin zur Machart der Texte. Den ersten Teil von "Remix" legte der Goldmann Verlag im Klappentext allen angehenden Journalisten ans Herz. Das selbe gilt für den Nachfolger: "Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft" ist entschieden vielschichtiger als so manches Feuilleton.

Originalitätspunkte freilich gibt es dennoch keine für das Buch. Es ist nicht so schlecht wie "Black Box" (weil weniger eitel/sprachverliebt), nicht so gut wie "Deutsches Theater" (weil weniger sorgfältig durchkomponiert), und längst nicht so persönlich wie "Livealbum", das einzige Stuckrad-Barre-Buch, das die Bezeichnung "Roman" wirklich verdient. Aber im Grunde ist es nicht viel mehr als ein neuer Aufguss des altbekannten Gebräus. Your trick is wearing thin, bro!

Daran kann auch "Ich war hier" nichts ändern, der 200 Seiten starke Bonus Track von "Remix 2": Ein Transkript von Stuckrad-Barres gleichnamigen Dokumentarfilm von 2003, der untersucht, wie das gemeine Volk durch Gästebücher, Internetforen oder Grafitti der Welt ihren Stempel aufdrücken will. Leidlich interessant, das alles, aber nötig wäre der Textmüll in dieser Ausführlichkeit ("Ihr seid doch das beste Hotel. Euer Frank Zander") sicher nicht gewesen - dem Flanör is eben nix zu ephemör.

Final Verdict: "Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft" ist ein prima Buch. Aber als neues Kanonenfutter im Mediengetöse um den Autor taugt es leider gar nichts. Keine überraschenden Enthüllungen. Keine skandalträchtigen Beschimpfungen. Und leider auch wenig Persönliches vom gebeutelten Popliteraten. Über all die öffentliche Schälte räsoniert er: "Schön daran ist, dass man immer genauer werden muss, zumindest sich selbst gegenüber. Nicht in direkten, in also öffentlichen Dialog treten mit dem Feind. Es sei denn: Blitzkrieg. Und dann wieder weg." Der große Drogenselbstfindungsenthüllungsentwicklungsroman steht also weiterhin aus. Daran wird auch "Was. Wir. Wissen." nichts ändern, Stuckrad-Barres diesen Herbst erscheinendes "Internetlexikon". Sicher wieder randvoll mit hübschen Bonmots, galligen Formulierungen und skurrilen multimedialen Fundstücken. Und vermutlich noch ein Stück kühler, unpersönlicher, erwachsener. Eben so, wie man schreibt, wenn man einmal zu oft öffentlich hingerichtet wurde. Das ist gesund, das ist vernünftig, das muss wohl so sein. Blitzkrieg-Literatur also. Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis sie Stuckrad-Barre vorwerfen, er sei aseptisch und spießig.

Titelbild

Benjamin von Stuckrad-Barre: Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft. Remix 2.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004.
485 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3462033824

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