Die Kreativität der Maschinen

Über zwei Bücher zur Kulturtechnik des kreativen Programmierens

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1974 erschien auf dem deutschen Musikmarkt ein fulminantes Album einer deutschen Musikkapelle. Die vierköpfige Elektronik-Band "Kraftwerk" hatte mit "Autobahn" eine Platte vorgelegt, die auch international Anerkennung finden sollte. In einem Interview nach dem hochgradig technisierten Sound ihrer elektronischen Musik angesprochen, die mit Synthesizern, Computern verschiedener Herkunft und Funktionalität erzeugt wurde, blieb die Formulierung von der "Kreativität der Maschinen" im Raum stehen. Dies ist ungefähr dreißig Jahre her. Kraftwerk hat im Jahr 2005 ein neues Album veröffentlicht, und die "Kreativität der Maschinen" ist mehr als nur ein Schlagwort der Vergangenheit geblieben. Maschinen, oder in unserem Fall Computer, sind fester Bestandteil des Alltags geworden. Sie erledigen wichtige Aufgaben in unterschiedlichen Bereichen, vom Gesundheitswesen über jegliche Form der Datenverarbeitung bis hin in die bildnerische Praxis namhafter Künstler, wo Computer diverse Funktionen übernehmen, deren Spektrum vom Rechenknecht bis zum inspirierenden Medium reicht. Eingeschlossen in diesen Bereich ist allerdings nicht die künstlerische Praxis des Programmierens.

John Maeda, Design- und Informatikprofessor und Autor des Bands "Creative Code", skizziert das Problem von einer anderen Seite und macht damit die Brisanz und Problematik von technischen Hilfsmitteln im Allgemeinen und Computern, vor allem der Software im Besonderen, unter einem kritischen Aspekt deutlich. Maeda hat mit seinen Thesen in Bezug auf Computer und den Umgang mit ihnen - vor allem im Bereich Grafik, aber die Thesen lassen sich auch auf andere Bereiche übertragen - der Fachwelt und den "abhängigen Anwendern" eine neue Perspektive eröffnet, die wenig schmeichelhaft für die (Weiter-)Entwicklung kreativer kultureller Prozesse ist. Nahezu alle zeitgenössischen Grafiker arbeiten bei der Erstellung und Konzeption von Grafiken etc. mit standardisierten Programmen (Software), die auf bestimmte Industrienormen ausgerichtet sind, sei es in der Farbgebung und -auswahl, in den verwendeten Filtern und Algorithmen. Für den Gestalter bzw. Künstler ist der Zugang zu den Grundlagen, den Wurzeln und Handwerkzeugen seines Gestaltungsprozesses nicht mehr gegeben oder zumindest ist der Zugang nicht mehr transparent. Er hat die Kontrolle über den eigentlichen Schaffensprozess verloren, obwohl dies auf den ersten Blick kaum sichtbar wird. Der Künstler arbeitet mit Werkzeugen, über deren innere Struktur ihm nahezu nichts mehr bekannt ist.

Maedas Vorstellungen sind im Prinzip einfach, reduziert man sie auf das Wesentliche. Er sagt, um schöpferisch - z. B. im Bereich Grafik - tätig zu sein, muss man programmieren können. Oder anders formuliert: Wenn der Künstler nicht die Algorithmen kontrolliert bzw. beherrscht oder durchschaut, die seinen Gestaltungsprozess begleiten, kann er auch nicht das Endprodukt, das Kunstwerk - oder einfacher: das Bild, gänzlich selbst gestalten. Um also einen gewissen Grad an "Mitbestimmung" zu erreichen, muss er die Produktionsmittel, die Software, beeinflussen können. Er muss programmieren lernen, sich seine eigenen elektronischen Umgebungen für seine Kunst erstellen und dabei innerhalb dieser neuen Disziplin - dem Programmieren - ein neues Medium der Kreativität entdecken. Nur so ist die Kompetenz zu erlangen, im Bereich der elektronischen Medien den Gestaltungsprozess autark zu kontrollieren. Die knappe Zusammenfassung ist: Der Künstler muss programmieren lernen.

In der Praxis sieht dies folgendermaßen aus: Kurse für die Einführung in die Programmierung, spezielle Programme und Entwicklungsumgebungen, die die Kontrolle über das künstlerische Ergebnis - weit mehr als Standardsoftware - erlauben und eine Webseite, auf der ein Programm bzw. eine in Kursen entstandene Software kostenlos erhältlich ist. Freie Software, um jedem die Arbeit damit zu ermöglichen. Die hierbei in ein spannendes Verhältnis gebrachten Pole künstlerischer Arbeit - individuelle Kreativität und Produktionsmittel - verdecken dabei allerdings eine Ebene: Zwar gehen die Thesen Maedas so weit, dass eigene Software entwickelt wird, die einen direktere Umsetzung von künstlerischen Ideen erlaubt. Nicht berücksichtigt ist dabei allerdings, dass zwischen Künstler und seinem kreativen Endprodukt immer noch mindestens das Betriebssystem des "Rechenknechtes" steht. Hinzu kommt vor allem noch die Hardware, die Schnittstelle zwischen Mensch und digitaler Information, wie etwa der Bildschirm, die die Kommunikation zusätzlich problematisieren. Und eben diese Komponenten beinhalten wieder eine Vielzahl von Elementen, die industriellen Normen, vorgefassten Designideen usw. unterworfen sind. Zu Ende gedacht wäre eine der direktesten Möglichkeiten von kreativem Gestalten am Computer das Gestalten ohne Bildschirm, nur mit Tastatur über einen spartanischen Editor, direkt in Assembler (eine maschinenlesbare Programmiersprache von extrem kryptischer Syntax, aber eine der direktesten Arten, Computer anzusprechen), einem Programmcode, den zu schreiben nur wenigen Programmierern vorbehalten ist und diesen dann vom Rezipienten der "Kunst" direkt wieder in einem Editor lesen zu lassen, um die Eleganz und künstlerische Perfektion direkt und unmittelbar zu goutieren. Leider wird dieses Modell auf ein Kommunikationsproblem stoßen, denn wer, der sich "Kunst" anschaut, versteht schon direkte Maschinensprache oder möchte die "Kunst" über diesen Kommunikationskanal rezipieren?

Diesen Ansatz aufnehmend und auf eine andere, vielleicht verständliche, kommensurable Ebene zu transferieren, diesem Problem scheint sich der Band von Georg Trogemann und Jochen Viehoff anzunehmen. Eigentlich als Lehrbuch gedacht zu dem Projekt Code@Art - man verzeihe hier den Einwurf, aber warum müssen sich intelligente Leute entblöden, in normale Wörter ein "@" mit aufzunehmen? - kommen Sie auf einen Punkt, der die Technik mit der Kunst versöhnen könnte. Wenn es denn die Technik wäre, die dieser Versöhnung denn auch aufgeschlossen wäre - aber das ist wieder eine andere Geschichte! Die beiden Herausgeber nehmen den Programmcode als Text, als ästhetische Struktur, ähnlich einer Bildoberfläche. Dieser Text kann auf unterschiedliche Art gestaltet werden. Unterhält man sich mit Programmierern, die ihre Profession nicht nur als "Coder" verstehen, können sie einem relativ einfach erklären, worum es sich handelt. Nimmt man eine Software, erledigt diese Arbeitsvorgänge oder Tätigkeiten auf einem PC, ist Hilfs- oder Arbeitsmittel, um bestimmte Dinge zu erreichen. Verschiedene Programmierer werden bei gleichem Funktionsumfang eines Programms dies auf unterschiedliche Arten im Programmcode schreiben, obwohl das Endprodukt die gleichen Funktionen hat. Vergleicht man Programmcodes dann miteinander, können es unterschiedliche Programmiersprachen sein, in denen geschrieben wurde, und selbst wenn in der gleichen Sprache geschrieben wurde, gibt es Unterschiede, die die Persönlichkeit und die Individualität des Programmierers widerspiegeln. Und so wie verschiedene Menschen Dinge verschieden handhaben, ebenso verhält es sich beim Schreiben von Software. Einige Menschen erledigen ihre "Arbeit" mit einem künstlerischen Anspruch, mit Eleganz, Intelligenz usw. - alles das, was etwa in der Bildenden Kunst zu einem Bildwerk führt, das vielleicht an der Wand eines Museums hängt. Wo ist der Unterschied? Bildsprache wird einfach von mehr Menschen gesprochen und verstanden und ist damit einfach decodierbar. Ein Programmiercode ist in seiner Vielfältigkeit, Veränderbarkeit usw. nur für kleine gesellschaftliche Gruppen verständlich. Wie viele Künstler gibt es darunter? Und so ist denn letztendlich auch das Bemühen von Trogemann und Viehoff auf die Vermittlung einer Sprache gerichtet, die immer mehr unsere Wirklichkeit bestimmt und beeinflusst. In diesem Sinne ist der als Lehrbuch konzipierte Band zu lesen, der jede Menge Beispiele für die Einführung in Java als objektorientierte Programmiersprache enthält, der didaktisch gut aufgebaut ist und eng mit der zum Buch gehörigen Webseite korrespondiert.

Beide Bände im Vergleich gesehen und nach dem Ausprobieren der Beispiele - angefangen von der Anleitung zur Installation der Software, die man benötigt, um die Beispiele zu testen - stellt der Band von Trogemann und Viehoff den Anfänger vor einige schwierige Probleme. Von Hinweisen auf Software, die in der genannten Form im Internet nicht mehr verfügbar ist bis hin zu fehlenden "Kleinigkeiten", die man so nicht unbedingt voraussetzen kann und die relativ schnell ein Weiterarbeiten mit dem Buch verhindern. Es ist nur für den schon einige Erfahrung mitbringenden "Technikfreund" empfehlenswert, liefert aber auf der Metaebene viele nutzbringende Hinweise und Kenntnisse. Maeda stellt dagegen mit den Hinweisen auf das Projekt bzw. die Software "Processing" (http://processing.org/) ein Handwerkzeug für den Künstler bereit, mit dem schnell zu Bilderfindungen und kreativem Experimentieren mit dem Computer angeregt wird, um darüber dann die Kenntnisse über die Programmiersprache - übrigens auch Java - über die praktischere und spielerische Seite von Software zu vermitteln. Darüber hinaus ist der Band von Maeda auch noch ein prächtiger, gut gestalteter Bildband, der schon allein durch die abgebildeten Arbeiten motiviert und damit vielleicht bei einigen die Hemmschwelle vor der kreativen Maschine senkt. In diesem Sinne sind beide Bände im Zusammenspiel sehr nützlich: der eine für die Motivation, der andere für die Metaebene. Empfehlenswert, vor allem wenn man sich noch nie mit diesem Aspekt dieser Kulturtechnik auseinander gesetzt hat.

Titelbild

John Maeda: Creative Code. Ästhetik und Programmierung am MIT Media Lab.
Mit einem Vorwort von Red Burns.
Birkhäuser Verlag, Basel 2004.
240 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-10: 3764371080

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Georg Trogemann / Jochen Viehoff (Hg.): Code@Art. Eine elementare Einführung in die Programmierung als künstlerische Praktik.
Springer Verlag Berlin, Wien 2005.
604 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-10: 3211204385

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