Philosophieren als einzig wirksame Medizin gegen die Unruhe der Seele
Was uns Philosophen von heute über Emotionen zu sagen haben: ein Heidelberger Sammelband
Von Christine Kanz
Obwohl die Beschäftigung mit Emotionen derzeit so offenkundig virulent innerhalb der Kulturwissenschaften ist, wird von philosophischer Seite allen Ernstes das Gegenteil behauptet. Es sehe so aus, "als sei die allgemeine philosophische Bedeutung des Themas zurückgegangen", erklärt Stefan Hübsch in der Einleitung der Festschrift für den Heidelberger Philosophen Reiner Wiehl. Zusammen mit Dominic Kaegi hat er hier "Beiträge zur Theorie der Emotionen" von dessen Mitarbeitern und Schülern versammelt.
Zwar gesteht Hübsch zu, dass es auch innerhalb der Philosophie eine "Fülle theoretischer Leistungen" auf diesem Gebiet gibt, doch komme "den gegenwärtigen Emotionstheorien im allgemeinen keine Bedeutung mehr für die Verständigung des Philosophierens über seine eigene Aufgabe und Leistung" zu. Bei den Stoikern zum Beispiel hatten Emotionen noch eine besondere Funktion für ihre Philosophie, verstanden sie doch "die geistigen Exerzitien des Philosophierens als die einzig wirksame Medizin gegen die Unruhe der Seele". Und bei Aristoteles war die Verknüpfung von Philosophie und Emotionstheorie insofern gegeben, als bei ihm der Begriff des Affekts eng mit dem der Tugend zusammenhängt. Nur ein Leben nach der Vernunft konnte aus seiner Sicht dem natürlichen Lebenszweck des Menschen entsprechen.
Angesichts der im Vorwort konstatierten "bedrohlichen Lage" der Philosophie ist es das erklärte Ziel der Beiträger, "sich der klassischen philosophischen Versuche zu vergewissern". So dient ein Großteil der Aufsätze der historischen Rekonstruktion von Emotionskonzepten - und der Rehabilitierung oder auch Widerlegung der Klassiker. Knut Eming etwa will beweisen, dass Descartes Unrecht hatte, als er einfach behauptete, bei Platon hätte es noch keine entwickelte Affektenlehre gegeben. Statt dessen habe Platon doch "die Grundlagen einer Philosophie der Affekte gelegt und verstreut in seinen Dialogen entwickelt." Zu seinen grundlegenden Einsichten gehören etwa der Gegensatz von Affekt und Vernunft, die Macht der Affekte sowie deren Gesetzmäßigkeiten und Dynamik.
Andere Beiträger haben sich darum bemüht, mehr oder weniger große Teilgebiete der Emotionstheorie zu systematisieren. So versuchen R. Specht, D. Birnbacher und C. Dutt, die Unterscheidung von Emotionsarten vor dem Hintergrund klassischer philosophischer Versuche zu analysieren und sie - auf der Folie logischer Überlegungen und empirischer Erkenntnisse - zu problematisieren.
Dass die Aufsätze insgesamt so unterschiedlich ausgerichtet sind, macht einerseits die vielfältigen und komplexen Bezüge deutlich, die das Thema Emotionen etwa zur Metaphysik und zur Ontologie (J.-I. Lindén, M. Hampe, H.-P. Schütt), zur Erkenntnistheorie und zur Ethik (K. Eming, D. Kaegi, W. Bartuschat, G. Figal) sowie zur Ästhetik (S. Hübsch, H. Pilot) aufweist. Doch ist es andererseits auch nicht weiter verwunderlich, dass man nach der wenig hilfreichen und reichlich verquasten Einleitung zunächst ein wenig ratlos vor der etwas bunt anmutenden Melange steht, die einem im Inhaltsverzeichnis offeriert wird. So fragt man sich, warum ein ausführlicher Beitrag zu Kant oder einer zu Aristoteles fehlt. Und warum Spinoza gleich mehrere Aufsätze gewidmet sind.
Dass es eigentlich Kant war, der sämtliche Erkenntnisse und Einsichten über Emotionen erstmals in einem plausiblen Modell systematisiert hat, welches bis heute wirksam ist, räumt immerhin Stefan Hübsch in seinem Aufsatz "Vom Affekt zum Gefühl" ein. Grundlage von Kants Emotionentheorie ist ein "Gefühl der Lust und Unlust", wobei er zwischen "subjektiver "und "objektiver Empfindung" zu unterscheiden weiß. Ebenso differenziert er ausdrücklich zwischen Affekt und Leidenschaft und zwar in einer Weise, wie sie noch heute verbreitet ist. Nach Kant nämlich gehören die anhaltenden Leidenschaften "dem Begehrungsvermögen an und sind Neigungen, welche alle Bestimmbarkeit der Willkür durch Grundsätze erschweren oder unmöglich machen." Dagegen "beziehen sich" die wilden Affekte, so Kant in der "Kritik der Urteilskraft", "bloß auf das Gefühl". Zwar können sie die "Freiheit des Gemüts" hemmen, nicht aber aufheben. Was bei Leibniz noch als "undeutliche Empfindung" abgewertet wurde, wird von Kant zum Inbegriff des Emotionalen erhoben: das Gefühl. Für ihn gehören die Affekte zum Gefühl, und er kennzeichnet sie als eine "Überraschung durch Empfindung", bringen sie doch das Gemüt vorübergehend aus der "Fassung".
Die Tatsache, dass Spinoza in diesem Band derart hofiert wird, liegt wohl auch daran, dass vor allem er es war, der der philosophischen Bedeutung des Emotionalen - nach dem Wandel des Vernunftbegriffs im Gefolge von Descartes - erstmals wieder auf die Sprünge geholfen hat. "Vernunft und Affektivität" ist bei ihm nicht irgendein Thema, sondern es steht im Mittelpunkt seiner Philosophie, die er in seinem Hauptwerk, der "Ethik", dargelegt hat. Hier entwickelt er eine Theorie menschlicher Praxis, deren Ziel eine "vernünftige Weltorientierung" des Menschen ist. Es ist erreicht, wenn der Mensch jegliche Formen der Fremdbestimmung abgelegt hat und nur aus sich heraus, also frei, handeln kann. Daran hindern ihn unter andrem seine Emotionen. Der dritte Teil der "Ethik" besteht denn auch aus dem Kapitel "Von dem Ursprung und der Natur der Affekte" und beginnt mit deren Analyse. In der Folge beschreibt Spinoza die Möglichkeiten, die der Mensch angesichts seines affektiven Lebens hat. Einerseits wird er von den Affekten beherrscht und ist darin unfrei, andererseits hat er auch eine gewisse Macht, diese zu zügeln und kann darin seine Freiheit bemerken. Die Vernunft spielt dabei auch bei Spinoza eine wichtige Rolle, allerdings in einer jeweils unterschiedlichen Bedeutung, wie Bartuschat mit seinem Beitrag zu zeigen versucht.
Trotz all dieser kenntnisreichen und informativen Ausführungen bleibt doch insgesamt der Eindruck, dass es dringend einer philosophischen Systematisierung bedarf, die in den philosophischen Diskurs der Gegenwart - so wie er in diesem Band präsentiert wird - eingreift, um ein wenig Ordnung in ihn zu bringen. Deutlich wird jedoch einmal mehr, dass Literaturwissenschafter/innen bei ihrer Beschäftigung mit der kulturellen (und übrigens immer auch geschlechtsspezifischen!) Codierung von Emotionen allemal von den Einsichten der philosophischen Klassiker profitieren können. Aber auch noch nach Lektüre dieses Buches bleibt es eher Kant als Spinoza, den man dafür vor allen anderen konsultieren möchte.