Ketzerin mit Einfluss

Die Lebensgeschichte der bekanntesten deutschen Feministin

Von Steffi SchwabbauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Steffi Schwabbauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ein Mädchen tut das nicht." Dieser Satz ist vor ein paar Jahrzehnten noch vielen Mädchen in ihrer Kindheit hin und wieder begegnet, wenn sie zu wild spielten oder gar vorlaut waren. Alice Schwarzer hat ihn niemals gehört. Für sie gab es kein vorgegebenes Rollenklischee, dem sie sich anpassen musste. Sie konnte auf Bäume klettern, wuchs in Freiheit und ohne viele Verbote auf. Ihr Wesen ist von der antiautoritären Erziehung geprägt, die sie den ungewöhnlichen Familienverhältnissen verdankt, in denen sie groß geworden ist. Die Mutter war wie eine ältere Schwester, während dem Großvater die Mutterrolle zukam, denn er backte Kuchen und las dem Kind am Abend die Gute-Nacht-Geschichte vor. Die Großmutter wiederum war wie ein Vater, wenn sie politische Diskussionen vor und mit Alice führte. Das Kind wurde meist ernst genommen wie eine Erwachsene.

Auch wenn die Sympathie der Verfasser für Schwarzer nicht zu übersehen ist, gelingt es Dünnebier und Paczensky mit dieser Biografie, das bisherige Leben der deutschen "Emanze Nr. 1", den Lebensweg der Alice Schwarzer, überwiegend sachlich zu schildern. Sie zeigen ihre ersten Schritte in der französischen und später auch deutschen Frauenbewegung, verfolgen den Kampf Schwarzers um Öffentlichkeit für Frauenthemen und widmen sich natürlich ausführlich der "Emma". Die Biografen sind sich ihrer Nähe zur Protagonistin des Buches durchaus bewußt und bereichern die Biografie deshalb auch immer wieder mit - manchmal auch kritischen - Einschätzungen von anderen Freundinnen und Bekannten. Sie zeichnen so das Bild einer couragierten, lebenslustigen, enthusiastischen und sympathischen Frau, die immer den Finger in die Wunde legt, aber auch aufbrausend und verletzend sein kann.

Glaubwürdig und überzeugend zeigen und belegen Dünnebier und Paczensky, wie sich Schwarzer immer wieder Verleumdungen und Hetzkampagnen in den Medien ausgesetzt sieht, die deshalb so verletzend sein müssen, weil sie nicht einfach nur Kritik an der Haltung Schwarzers üben, sondern auch oft zum Schlag unter die Gürtellinie ausholen. Dabei bekommt sie den Hass und die Missgunst nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen zu spüren, vor allem von den "Schwestern", die Frauenbewegung anders definieren.

Die Biografie ist in zwei Teilen angelegt. Den größten Raum nimmt die vorwiegend von Anna Dünnebier geschriebene Darstellung der Lebensgeschichte ein, wobei sich die Autoren mit genauen Datierungen zurückhalten und dem Darstellungsteil lieber eine Zeittafel anhängen mit einer kurzen Zusammenfassung, den wichtigsten Lebensstationen, Buchpublikationen und Ehrungen. Im zweiten Teil des Buches setzt sich Gerd von Paczensky mit Schwarzer-Kritikern und -Gegnern auseinander.

"Ketzerin, das ist sie: sie glaubt keiner Lehre. Wenn etwas als unumstößlich gilt, dann reizt es sie, genau hinzusehen und nachzudenken, ob es nicht auch ganz anders sein könnte. Selten hat jemand in Deutschland so sehr eine politische Sonderrolle gespielt, unabhängig von Parteien, Ideologien, Dogmen. Selten hat eine einzelne Person einen solchen Einfluss gehabt und solche Veränderungen bewirkt." Mit diesem Fazit beschließt Anna Dünnebier den Abschnitt zur Schilderung des Lebensweges. Diese "Ketzerei" ist es, die Alice Schwarzer zu einer streitbaren Persönlichkeit macht. Sie hat damit aber auch vielen die Augen geöffnet.

Titelbild

Anna Dünnebier / Gert von Paczensky: Das bewegte Leben der Alice Schwarzer. Die Biographie.
Droemersche Verlagsanstalt, München 1999.
267 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 3426774356

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch