Blutige Blue Notes

"Jazztime" von Roddy Doyle

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Irland auf dem Schiff nach Amerika. Das ist der Startpunkt des Romans. Die Hauptfigur ist Henry Smart, seines Zeichens Ire, genau wie der Autor des Buches, Roddy Doyle. Doyle gehört zu der Generation neuer irischer Schriftsteller, die sich an Autoren wie Beckett, Joyce und Yeats messen lassen müssen und letztendlich versuchen - oft vergeblich -, deren Nachfolge anzutreten. Mit seinem Roman "Commitments" hat sich Doyle 1987 einen der ersten Plätze in der irischen Literatur erschrieben und seitdem wartet er regelmäßig mit oft mehr als bemerkenswerten Büchern auf.

In den "Commitments" hatte Doyle es geschafft, für eine Gegenwart mit ihren Widersprüchen und Wünschen, ihrer Geschwindigkeit und Zerrissenheit eine Sprache zu finden, die dieser Wirklichkeit gerecht wird. 1991 kamen in der Verfilmung von Alan Parker auch noch die passenden Bilder und die Musik dazu. Nicht zufällig waren Buch und Film ein Erfolg. Dass dieser Ton der Sprache nicht so in die gängige Unterhaltungsliteratur passt, hebt die Romane Doyles prägnant von der Massenware ab und schlägt eine Verbindung zur neuen Popliteratur eines Irving Welsh. Aber dass in diesem Gestus von Sprache auch ein Risiko liegt, zeigt der vorliegende Roman.

Wir kennen Henry Smart, den Protagonisten, schon aus Doyles vorhergehenden Roman: 1901 in den Slums von Dublin geboren, hatte er sich durchgeschlagen und wurde zum Mörder, dem nur noch die Flucht aus Irland als vermeintlicher Ausweg bleibt. Hier in etwa endete der Vorgängerroman. In "Jazztime" nimmt er ein Schiff nach Amerika und hält sich, angekommen in New York, mit diversen Jobs über Wasser: angefangen vom Reklamebrettläufer, über den ehrenwerten Beruf des Leichenbestatters bis hin zum Pornodarsteller. Beliebt bei schrägen Frauen, immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten der Entfaltung eigener Fähigkeiten, erweckt er den Unwillen seiner Umgebung, muss NY verlassen und landet in Chicago, wo er bald einem der Heroen des Jazz, Mister Louis Armstrong, gegenübersteht.

Chicago ist ungemütlich, Rassentrennung und Intoleranz dominieren den Umgang miteinander. Aber da ist der Jazz, die Musik. Und das ist dann auch der Bereich, wo der Roman am stärksten ist. Wo man das Blut schmeckt, das bei den Auseinandersetzungen vergossen wird und auf die Lackschuhe der Protagonisten tropft - begleitet von einer Musik, die dem Roman eine Authentizität verleiht, die an anderen Passagen verspielt wird und in manchen Fällen durch die Kombination von betont situationsorientierter Sprache und sich verzettelnden Handlungsfetzen den Bogen des aufgebauten Interesses des Lesers überspannt. Was sich am Anfang des Romans schwerfällig auf den "Musikteil" des Romans zu bewegt und die Geduld des Leser strapaziert, dann aufgefangen wird und spannende Wechselspiele zwischen Literatur und Musik erlaubt, wird am Ende des Buchs durch eine nahezu beliebig wirkende Aufeinanderfolge von "Fluchten" aufgelöst und für den Leser letztendlich langweilig, sodass man fast das Interesse an dem eigentlich sympathischen Henry Smart verliert. Vielleicht sollte der Verlag doch nicht einfach ungesehen alles von Doyle veröffentlichen. Aber eigentlich möchte man Mr. Henry Smart doch noch eine Chance geben!


Titelbild

Roddy Doyle: Jazztime. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann.
Carl Hanser Verlag, München 2006.
480 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3446207147

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