An Else Lasker-Schülers Wimper hängt ein Stern

Hajo Jahn legt ein Lesebuch aus Einzelporträts über die Dichterin vor

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den berühmten Motivkomplexen, die sich um das schwedische Bergwerk Falun drehen, zählt auch E. T. A. Hoffmanns Serapionserzählung, in der sich Elis Fröbom unter Tage, mit Lust und Schauder, in den Anblick der Bergkönigin verliert.

Hajo Jahn (Jg. 1941), ehemaliger Bergmann, erzählt in seinem neuen Buch, wie Flucht und Vertreibung seine Kindheit und frühe Jugend prägten, wie es ihn 1970 beruflich nach Wuppertal verschlug, wo sein Vater in Gestapo-Haft gesessen hatte, wie er dort als Studioleiter des Westdeutschen Rundfunks Fuß fasste, und wie er dann Else Lasker-Schüler „gefunden“ hatte – und sie ihn. Der ehemalige Bergmann Hajo Jahn hat sich an diese – darf man sagen? – multiple Persönlichkeit und Dichterfee ähnlich verloren wie Elis Fröbom an seine Bergkönigin. Doch widerfuhr ihm kein Selbstverlust im Wahnsinn, sondern eine Selbstfindung an einer bedeutenden Aufgabe: Er wurde 1990 Gründer der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft (und leitet sie bis heute), er wurde zum wichtigsten Motor ihrer Rezeption im wiedervereinigten Deutschland.

Sein Buch gliedert er in einzelne Kapitel, die jeweils eine „Facette“ Lasker-Schülers beleuchten: „Die Zeitzeugin“ (zugleich der Prolog des Buches), „Die Gefundene“ (zugleich sein Epilog), „Die Verscheuchte“ (so bezeichnete sich die exilierte Autorin und Künstlerin in einem Gedicht selbst), „Die Vertonte“ (ein Aspekt ihrer bemerkenswerten Rezeptionsgeschichte) und viele andere mehr.

Hajo Jahn war vier Jahre alt, als die Dichterin starb; er war Anfang fünfzig, als die Dichterin zu seiner Lebensaufgabe wurde. Heute zählt die von ihm gegründete, gut vernetzte Gesellschaft mehr als tausend Mitglieder. Ihr Sitz ist in einem Gebäude untergebracht, in dem Lasker-Schüler zuletzt gelebt hatte, bevor es sie via Berlin in die Welt verschlug. Zahllose Begegnungen, Ausstellungen, Veranstaltungen, Ehrungen hat Jahn seither in der Geburtsstadt der Dichterin erlebt, initiiert und verantwortet, und es wundert daher nicht, dass sich sein Buch stellenweise als Doppelbiographie lesen lässt: Sein Leben ist so eng mit dem Nachleben der Dichterin verwoben, der glücklichen Fügungen und Zufälle waren so viele, dass man von einer schicksalhaften Konstellation sprechen kann.

Der Journalist im Ruhestand, der – flüchtlingsbedingt – kaum Schulbildung genoss, aber dank seiner Begabungen die Chancen zu nutzen wusste, die sich ihm boten, kann als im besten Sinne ,politische‘ Persönlichkeit gelten, die etwas ,zurückgeben‘ möchte von den Segnungen der langen Friedensperiode vor unserer ‚Zeitenwende‘, und die etwas davon den „kommenden Generationen zu vermitteln“ hofft. Vor allem kann Hajo Jahn schreiben: Lebendig erzählt er von der Berliner Künstlerbohème, in der Lasker-Schüler eine auffällige Erscheinung war; lebhaft charakterisiert er die Exotik ihrer Dichtungen; gekonnt fängt er ihren subtilen Humor ein, den schlagenden Witz ihrer Ulkiaden. Der gelernte Bergmann fördert zahllose Lebenszeugnisse zutage, die als verloren galten; er weiß dabei Gold und Talmi voneinander zu unterscheiden. Und jedes Kapitel seines Buches ist auch reich illustriert, denn Lasker-Schüler war eine begnadete Malerin und Zeichnerin. Sein Buch kann als Summe seiner Bemühungen um die Dichterin gelesen werden.

Titelbild

Hajo Jahn: Die Facetten des Prinzen Jussuf. Ein Lesebuch über Else Lasker-Schüler.
PalmArtPress, Berlin 2022.
190 Seiten , 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783962581060

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