Albtraum Influencer

Daniel Kostuj schickt uns durch die digitale Hölle

Von Lisa SchmitzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisa Schmitz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mittlerweile ist es keine Seltenheit mehr, dass Influencer*innen eigene Bücher rausbringen, über ihren Weg schreiben und Lifestyle- oder Rezepttipps geben. Längst wirken sie über die sozialen Medien hinaus und sind fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses. Auf den ersten Blick könnte man meinen, bei Daniel Kostujs Erstling handele es sich um ein weiteres Influencer*innenbuch. Der plakative Titel Das Leben eines Influencers klingt jedoch bereits nach Persiflage, denn der Begriff ‚Influencer*in‘ ist so negativ konnotiert, dass sich die wenigsten freiwillig selbst so bezeichnen. Auch die kurze Beschreibung auf dem Buchrücken deutet auf böse Satire hin: „Ich lebe in stetiger Angst. […] Wenn ich etwas falsch mache […] wird das an die Öffentlichkeit kommen und ich bin tot.“

Satirisch ist der Roman definitiv, aber vor allem ist er ein Erlebnis—wenn auch nicht unbedingt ein angenehmes. Der Protagonist nervt. Seine Sprache ist unerträglich. Eine Handlung ist kaum vorhanden. Das Buch besteht fast ausschließlich aus ungefiltertem Bewusstseinsstrom, ein paar stupiden Dialogen und einigen visuellen Elementen wie Smileys oder Handschrift. Beim Lesen stoße ich mich mehrmals an der extremen Überhöhung der Influencer*innendarstellung und frage mich, ob eine gelungene Kritik von der Übertreibung allein leben kann. Eines beschäftigt mich jedoch am meisten: Wann kommt der Protagonist endlich zu Sinnen? Gibt es einen Ausweg aus diesem Wahn, der sich bereits im Kurztext auf dem Buchrücken andeutet? Doch irgendwann bin ich genervt von meiner eigenen Leseerwartung. Wieso poche ich so sehr auf einen Wendepunkt, eine Art Katharsis? Dazu vielleicht zunächst ein paar Worte mehr zum Roman.

Der Protagonist und Erzähler des Romans ist Jayden Checker, ein Influencer, der in jedem neuen Kapitel gebetsmühlenartig aufzählt, wie viele Follower*innen er auf diversen Plattformen hat, wie früh er aufsteht und wie er seinen Körper ‚fit‘ hält. Auf fast jeder Seite werden Markennamen genannt. Was an die Popliteratur erinnert, wird hier so sehr überzogen, dass die Namen stets in Großbuchstaben erscheinen und sogar das Öffnen einer Packung Mozzarella nicht ohne Markennennung auskommt. Die meisten anderen Figuren, mit denen Jayden agiert, bleiben entweder weitestgehend anonym oder sind ebenfalls Influencer*innen und werden im Roman nur mit ihrem Accountnamen genannt: @lucybossbixxh, @besima.petrovic1 etc. Zwischendurch erscheinen ihm willkürlich Prominente wie Angela Merkel, Mark Forster oder Kim Kardashian.

Fast immer geht es um Geld, Aussehen, Reichweite und Trends und die Sprache ist stets mit Anglizismen durchsetzt, die teils bestimmte Bewegungen im digitalen Raum benennen. Begriffe wie „body positivity“, „grind“ oder „life hack“ werden dabei gleichermaßen entleert und ins Lächerliche gezogen. Dabei wird dann auch nicht mehr differenziert. Alles, was Jayden und seine ‚Freund*innen‘ sagen oder machen, erscheint lächerlich. Sie bedienen jeden Stereotyp, den die Gesellschaft von Influencer*innen hat. Man fragt sich, ob in den sozialen Medien überhaupt irgendetwas Positives stattfindet, das eventuell sogar einen gesellschaftlichen Mehrwert hat. In Kostujs Buch jedenfalls nicht.

Was dem Buch jedoch immer wieder gelingt, ist die tragikomische Darstellung der absoluten Überhöhung des Ichs und der Eigenwahrnehmung. Jayden beschreibt sich in einer Sequenz als „Anomalie in der Fußgängerzone“: „Währenddessen beobachte ich genau, wie sehr ich mich von der Masse abhebe. Der Engel ist auf die Erde zurückgekehrt.“ Sein abschließendes Fazit: „Ich sehe fucking geil aus.“ Dieser Größenwahn ist absichtlich unangenehm und scheint in Jaydens Welt absolut nötig für die eigene Selbstdarstellung—auch für ein Bestehen innerhalb der kapitalistischen Dynamik der Influencer*innenwelt, in der das „China Money“ zum Greifen nahe ist. Konstuj inszeniert die Produkte dieser Welt immer in einem unheimlichen und abjekten Licht. Sie verursachen Übelkeit, schwarze Löcher, stinken nach Schwefel oder Fäkalien. Den gesellschaftskritischen Wink verstehe ich schnell.

Die allgemeine Intensität des Romans erinnert sehr treffend an Erlebnisse im digitalen Raum. Mehrmals frage ich mich, ob ich noch ein Buch lese oder ob ich auf TikTok doomscrolle. Genau wie Jayden befinde ich mich dann „auf der Flucht vor der Ewigkeit, für eine Ewigkeit.“ Alles ist jetzt, aber auch sofort wieder vergangen, dann kommt wieder etwas Neues und es endet nie. Vielleicht ist das das Spannende an Büchern wie dem von Kostuj, die sich dieser relativ neuen Kommunikations- und Wahrnehmungsweise annähern und ihre Absurdität offenlegen. Und Das Leben eines Influencers bedient das Element des Absurden und Unheimlichen nicht nur in Bezug auf die zu bewerbenden Produkte. In postmoderner Geste lässt sich zwischen „Realität“, Traum und Hyperrealität nicht mehr unterscheiden. Jayden erlebt menschenleere Orte, Häuser wirken wie Attrappen, ein Baum fühlt sich fake an, „wie Chinaplastik“. Für den Influencer gibt es jedenfalls nur eine ‚authentische‘ Welt: „Das echte Ich ist für immer gefangen in dieser black box [hier: dem Handybildschirm], außerhalb des Äthers im Internet agiert das perverse, das kranke, das unmenschliche Ich.“

Das erklärt wohl auch die Brutalität gegen den eigenen Körper. Diese erfährt ihren Höhepunkt, als Jayden sich mit so viel Gewicht auf dem Rücken auf ein Nagelbrett legt, dass sein Oberkörper zu bluten beginnt. Danach geht er wie gewohnt joggen und erschreckt mit seinem Anblick eine Oma. Wiederholt legt der Roman die Paradoxie der heutigen Körperkultur dar. Einerseits soll der Körper gestählt und fit sein, andererseits wird er im digitalen Raum sowieso immer wieder überwunden, ob mit Photoshop oder Filtern. Jaydens Selbstverletzung überspitzt diese Modifikationen erneut und erinnert dabei in lächerlicher Manier an Performance Art.

Der Protagonist berichtet grundsätzlich mit einer paranoiden Haltung über seine Welt und vermutet überall Hater, fakes oder sogar „sniper“, fast wie in einer düsteren Version der Truman Show. Immer wieder spricht er von seinem „Reptilienhirn“. Ob er so viel Zeit im Internet verbracht hat, dass er die bekannte Verschwörungsnarrative gegen sich selbst internalisiert hat? Vielleicht ist er aber auch wirklich ein Reptil und spielt eine Rolle. Ein eindeutiges Bild ergibt sich nicht. Die wirren Monologe, die er entweder mit sich selbst oder für die Kamera und seine Follower*innen führt, werden teils von kurzen Bemerkungen abgelöst, die nicht zum restlichen Sprachduktus passen. Dann spricht Jayden von den „pittoresken Fassaden Prags“, von van Gogh oder Franz Liszt. Dubai beschreibt er plötzlich als „Kaleidoskop des Überflusses“, das ihn „in einem Bann gefangen“ habe. Er hinterfragt, ob es dort wohl auch mal Kultur, Tradition und Einheimische gegeben habe. Doch warum diese knappen zusammenhangslosen Momente der (Selbst)reflektion? Ich bin verwirrt.

Interessant ist zuletzt auch der Aufbau des Romans. Er beginnt mit dem Kapitel „Tag 7“. Dann wird runtergezählt, sodass wir in der Mitte des Buches bei „Tag 0“ ankommen. Dann geht es wieder aufwärts und das letzte Kapitel trägt die Überschrift „Tag 6“. Dass Gott die Erde in nur sieben Tagen geschaffen haben soll, ist dabei wohl die erste Assoziation. Erzählt Kostuj also vielleicht die Geschichte eines Verfalls gefolgt von einer neuen Schöpfungsgeschichte? Nicht wirklich. Insgesamt erscheint dieser formale Aspekt eher willkürlich. Zwar zeichnet die äußerst brutale körperliche und mentale Selbstzerstörung, die Jayden im Namen des Influencer*innentums betreibt, eine Verfallsgeschichte, aber dennoch: Zur tatsächlichen Auflösung (oder Wandlung) kommt es nicht und genau das macht das Lesen so anstrengend. Es bleibt schmerzhaft, weil es nicht aufhört, weil es an Intensität und Absurdität nicht abnimmt. Es ist ein „wahrer Höllentrip“ und damit spielt Kostuj gekonnt.

Die traurige Existenz des Influencers erweckt zeitweise Mitgefühl. Aber auch das lässt sich nur schwer aufrechterhalten, da Jaydens kurze Momente der Reflexion konsequenzlos bleiben. Sein Bewusstsein scheint somit ähnlich fragmentiert wie der Text selbst und spult nur wiederholt die gleichen egozentrischen Plattitüden ab, um das Ich irgendwie zu stabilisieren. Nach einem erfolglosen Dubaitrip—wohin sollte es für aufstrebende Influencer*innen auch sonst gehen—und einer Absage eines Agenten, wirkt Jayden kurz verändert, auch seine Follower*innenzahlen sinken zum ersten Mal. Doch der Wahnsinn und die Ichbezogenheit setzen schnell wieder ein.

Nach einer Weile erfahren wir außerdem, dass der Protagonist eine Vergangenheit hat, die er zu verdrängen sucht. Er kommt aus Polen, Jayden Checker ist nur ein Künstlername. Die kurzen Ellipsen in die Vergangenheit sind emotional und teilweise nostalgisch. Allerdings bleibt es bei dieser Kürze. Auch ein Telefonat mit der Oma in Polen hinterlässt bloß eine weitere hoffnungslose Note. Zum Schluss finden wir noch heraus, dass Jaydens Zukunftsplanung weitestgehend abgeschlossen ist. Mit einer Geste, die eine Assoziation zu Thomas Manns Hanno in Buddenbrooks aufruft, zieht der Influencer nach sich einen Strich in der Familiengeschichte. Spannend ist diese Verknüpfung vor allem in Bezug auf das Motiv des Verfalls. Was bei Mann die Bourgeoisie scheint bei Kostuj das Influencer*innentum zu sein, „die Seuche des 21. Jahrhunderts“.

Das ist aber wohl auch die einzige Ähnlichkeit zum Klassiker. Kostujs Sprache und Stil sind experimentell und an vielen Stellen auch innovativ. Leider wirken manche rhetorischen Mittel jedoch genauso flach und plakativ wie die Werbung, die Jayden für die fragwürdigen Produkte macht. Aber vielleicht hat auch das Methode. Dennoch wird mir hier zu eindeutig eingetrichtert, was ich von der Influencer*innenwelt zu halten habe. Insgesamt ist das Buch eine erschöpfende Lektüre, streckenweise wirklich lustig, fast durchgehend absurd, immer wieder sehr traurig und ein wildes Gedankenexperiment darüber, zu was der Mensch womöglich mutiert, wenn er Influencer*in wird.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Daniel Kostuj: Das Leben eines Influencers. Roman.
container press, Walheim 2024.
190 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783948172114

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