Kreuzzüge aus europäischer Perspektive

Jonathan Riley-Smiths Monographie über „Kreuzzüge“ vom Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts

Von Yücel SivriRSS-Newsfeed neuer Artikel von Yücel Sivri

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Buch trägt den schlichten Titel Die Kreuzzüge und ist die erste deutsche Übersetzung, und zwar erst der dritten vollständig überarbeiteten Ausgabe von 2014, die bei Bloomsbury Academic unter dem Titel The Crusades: A History erschienen ist. Der Band gilt als Standardwerk des Verfassers Jonathan Riley-Smith, der am 13. September 2016 verstorben ist. Er war Professor für Kirchengeschichte an der Universität Cambridge und Fellow des Emmanuel College. Die Erstausgabe stammt von 1987. Auf Inhaltsverzeichnis, Vorwort und einen sehr informativen Kartenteil folgt ein Vorkapitel mit dem Titel „Die Kreuzzüge und die Geschichtsschreibung“, das als Einleitung verstanden werden kann. Der Hauptteil besteht aus insgesamt elf Kapiteln. Der Anhang bietet eine „kommentierte Bibliographie zu Forschungsliteratur und Quellen“, sowie eine „Zeittafel“, ein Abkürzungsverzeichnis und ein Namen- und Ortsregister. Es sind auch sieben Schwarz-Weiß-Abbildungen im Band verteilt. Ferner liefert der Autor interessante farblich hervorgehobene Infokästchen, die den Leser über verschiedene Begriffe, Inhalte und Details aufklären.

Dass es Riley-Smith nicht nur um die Geschichte der Kreuzzüge geht, sondern dass ihn vielmehr wichtige Aspekte bei der Behandlung der Kreuzzugsthematik in der europäischen Geschichtsschreibung bewegen, wird schon in dem einleitenden Teil offenbar.

Im ersten Kapitel des Hauptteils erläutert Riley-Smith den kausalen Zusammenhang zwischen dem „Heiligen Krieg“ und dem Ablassbedarf der Kreuzfahrer. Mit anderen Worten: Das knappe Kapitel dient dazu, die Zweckbestimmung der Kreuzzüge als bewaffnete Pilgerfahrten zu Zwecken der Buße zu entlarven. Dabei bedient er sich christlich-theologischen Materials, wie einer Predigt des Predigers Jakob von Vitry, dem Dekalog im Tanach, Schriften des Kirchenvaters Augustinus sowie des Berichtes des Predigers Humbert von Romans.

Nach diesem mehr oder weniger theologisch-theoretischen Teil geht der Verfasser zum zweiten Kapitel, dem historischen Part, über. Hier behandelt er die Anfangszeit der Kreuzzüge und die Kreuzzugsidee per se. Zu Beginn des 30-seitigen Kapitels beschreibt er die historischen Konturen der türkischen Expansion bis 1095 insbesondere unter Seldschuk, Tughrul und Alp Arslan.

Nach der Skizzierung der prekären Situation an der östlichen Grenze christlicher Staaten kommt der Verfasser auf die päpstlichen Bestrebungen seit 1074 zu sprechen, eine christliche Streitmacht in den Orient zu entsenden. Dabei sieht er die Verwüstung und Schändung der Grabeskirche auf Anweisung des fatimidischen Kalifen al-Hakim (reg. 996-1021) im Jahr 1009 als Urereignis in dem interreligiösen und transkontinentalen Großkonflikt an.

Im dritten Kapitel geht es Riley-Smith um die Chronologie der Kreuzzüge. In einer kurzen Skizze der Lage des islamischen Lebensraums geht er auf die durch viele Sterbefälle der bedeutenden Persönlichkeiten in der letzten Dekade des 11. Jahrhunderts politisch immer schwächer werdenden Seldschuken ein. In diesem Kapitel benennt er die einzelnen Kreuzzugsaktivitäten als „Wellen“ und richtet sein Augenmerk insbesondere auf die „zweite Welle“. Infolge der instrumentellen und existenziellen Konfrontationen, die zwischen 1097-1099 ausgefochten wurden, betont Riley-Smith noch einmal ausdrücklich, dass es sich bei einem Kreuzzug um eine Pilgerfahrt handelte, auf der Ritter zugleich ihre kriegerische Aufgabe erfüllen konnten. Trotz des blutigen unmenschlichen Ausgangs einer jeden kriegerischen Aktion sind diese auch als interreligiöse Begegnungen festzuhalten.

Das darauffolgende Kapitel ist mit der Überschrift „Die heiligen Stätten und die Patriarchate von Jerusalem und Antiochia“ versehen. Dieses Kapitel dient dazu, die Grenzen des lateinischen Ostens abzustecken. Damit sind die erst durch die Papstaufrufe in dessen Abhängigkeit geratenen Staatengebilde des südöstlichen Europas und Vorderasiens gemeint. Hier gewinnt der geographische Terminus „Levante“ eine Dimension, die sich mit der Grafschaft Edessa bis in das mesopotamische Innere Vorderasiens erstreckt. Riley-Smith unterstreicht, dass das Argument einer Daseinsberechtigung derer, die sich militia Dei nannten und in nomine Dei im großen Stil Eroberungen tätigten, darin bestand, die heiligen Stätten des Christentums zu bewahren und zu schützen. Aus diesem Kapitel geht auch hervor, dass die Kreuzfahrer –nach ihrem Legitimationsverständnis– ihre Daseins- beziehungsweise Siedlungsberechtigung aus der Existenz christlicher Sakralbauten und Reliquien im Orient ableiteten und deshalb deren Erhaltung und Pflege für die lateinische Kirche im Heiligen Land und dadurch auch für die dortigen Gläubigen eine existenzielle Bedeutung hatte. Das Kapitel geht auch auf die Ritterorden ein, die die teilweise gefährlichen Pilgerwege absicherten.

Das fünfte Kapitel behandelt die „Besiedlung, Regierung und Verteidigung des lateinischen Ostens“ im Zeitraum 1097-1187. Neben der geographischen und siedlungsgeschichtlichen Beschreibung des lateinischen Ostens geht es hier um die urbanen, juristischen, politischen und administrativen Gegebenheiten. Das Kapitel endet mit der Schlacht von Hattin am 4. Juli 1187. Das 12. Jahrhundert gilt als die Glanzzeit der Kreuzfahrerstaaten, zumindest bis zur Niederlage gegen Saladins Streitmacht bei Hattin. In dieser katastrophalen Niederlage erblicken wir den Anfang vom Ende der Kreuzfahrerstaaten. Bis auf den Finalteil ist dieses Kapitel thematisch gesehen entbehrlich.

Der sechste Abschnitt handelt von der Herausbildung und Konsolidierung christlicher Fürstentümer und Grafschaften im Outremer in den Jahren 1102-1187. Den Auftakt des Abschnitts bilden terminologische Überlegungen des Autors, wie nun die Beteiligten zu bezeichnen seien. Sind sie Kreuzfahrer (militia Dei) oder Pilger (servi Dei)? 1144 eroberte Imad ad-Din Zengi die Grafschaft Edessa, die als erster Kreuzfahrerstaat entstand und als erster wieder verloren ging. Der Fall Edessas hatte zur Folge, dass Papst Eugen III. die Christen, allen voran Frankreich unter Ludwig VII., erneut zu einem Kreuzzug aufrief. Er versprach den Kreuzfahrern vollständige Absolution und räumte ihnen Privilegien ein. Hier schildert der Verfasser mit dem 2. Kreuzzug zusammenhängende Ereignisse. Auf die Kreuzzugsideen und auf die Unterschiede zwischen dem Aufruf Urbans II., den er beim Konzil von Clermont formulierte, und der Bulle Eugens III. geht Riley-Smith nur oberflächlich ein. Dabei war die Erinnerung an den ersten Kreuzzug ein zentraler Bestandteil seiner Vision eines neuen Aufbruchs.

Den finalen Teil des Kapitels, der eigentlich den nächsten Abschnitt einleitet, hat Riley-Smith mit der Überschrift „Sinkende Kampfmoral“ versehen. Den Zeitabschnitt 1187-1229 fasst der Historiker als „Phase der Entmutigung“. Das siebte Kapitel ist dem Wiedererstarken der Kreuzzugsbewegung gewidmet. Dass es dem Verfasser nicht nur um die päpstlich inszenierte lateinische Expansion in der Levante geht, sondern vielmehr um die Kreuzzüge als päpstliche Inszenierung per se, wird in diesem Kapitel deutlich gemacht. Daraus ist wiederum abzuleiten, dass der Verfasser die Kreuzzüge nicht nur als interreligiöses und transmaritimes Kampfinstrument der pontifices betrachtet. Der Riley-Smith erinnert in seinem Werk öfter daran, dass die Kreuzzüge durchaus als eine innereuropäische, ja sogar christeninterne Angelegenheit interpretiert werden können. Sie sind das päpstliche Expansionsmittel ersten Ranges, das immer dann zum Einsatz kommt, wenn die Macht der Kirche in Bedrängnis gerät. In dem Zeitabschnitt, 1229-1291, sieht Riley-Smith die Kreuzzüge „in voller Reife“, wie es in der Kapitelüberschrift heißt. Im Grunde genommen war diese Zeit die finale Epoche der Kreuzzüge, die ausgerechnet Kaiser Friedrich II., „ein Exkommunizierter“, dem lateinischen Westen beschert hatte. Spätestens in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts war der Niedergang der Kreuzzugsbewegung besiegelt. Letztlich mit der Eroberung von Akkon, der letzten bedeutsamen Bastion, endete die Ära der Orientkreuzzüge. Mit deren Ende war auch das Ende des Rittertums eingeleitet. Der Idealtypus des Ritters, wie er vom Autor des Pseudo-Turpin[1] beschrieben wird, entsprach weder den Erwartungen noch den Bedürfnissen der Christen. Wie um das Jahr 1200 fanden auch im gesamten 13. Jahrhundert Kreuzzüge statt, die nicht nur gegen die orientalischen Muselmane gerichtet waren. Vielmehr wendeten sie sich gegen Preußen und Litauen sowie gegen die Mongolen und iberischen Almohaden.

Im 9. Kapitel, das die hundertjährige (1192-1291) geographische und politische Deskription des lateinischen Ostens behandelt, unterstreicht Riley-Smith, dass die Kreuzzugsbewegung als „rein protokoloniale Unternehmungen“ nur bedingt betrachtet werden kann. Andererseits findet sich auf der iberischen Halbinsel seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts kaum ein Vorstoß gegen al-Andalus, der nicht als Kreuzzug bezeichnet wird. Riley-Smith konstatiert die Reconquista als Kreuzzüge auf spanischem Boden. Spätestens in diesem Kapitel hätte man sich eine klare Aussage darüber gewünscht, ob zwischen den Kreuzfahrerstaaten des Orients und den iberischen Reichen Bezüge existieren. Wie so oft, bleibt auch in diesem Werk die Frage des Verhältnisses zwischen Spanien und den Kreuzzügen im Dunkeln.

Außer den vier nach dem „Ersten Kreuzzug“ entstandenen Kreuzfahrerstaaten, dem Königreich Jerusalem, dem Fürstentum Antiochia und den Grafschaften Edessa und Tripolis, sowie dem nach dem „Dritten Kreuzzug“ entstandenen Königreich Zypern, geht der Verfasser auf das Königreich Kleinarmenien und Griechenland ein. Wenn er von Griechenland spricht, so meint er die vier weiteren Staaten, die infolge des „Vierten Kreuzzugs“ entstanden: das „Lateinische Kaiserreich“, das Königreich Thessaloniki, das Herzogtum Athen und das Fürstentum Achaia, wobei die beiden erstgenannten von den Byzantinern bis 1261 vollständig zurückerobert wurden. Während die Venezianer in der Folge des „Vierten Kreuzzuges“ das Herzogtum Archipelagos in der Ägäis gründeten, eroberte Karl I. von Anjou, König von Sizilien, im Jahr 1271 den Norden des Despotats Epirus, wo er im darauffolgenden Jahr das Königreich Albanien (Regnum Albaniae) ins Leben rief.

Das vorletzte Kapitel beschäftigt sich mit dem Zeitabschnitt 1291-1523 und ist den späteren Kreuzzügen gewidmet. Der Historiker richtet hier sein Augenmerk auf die „Vielfalt der Kreuzzugsidee“. Chalil, der neue Sultan der Mamluken, eroberte nach sechswöchiger Belagerung am 18. Mai 1291 Akkon und besiegelte den Untergang des Königreichs Jerusalem. Damit endete die Ära der Orientkreuzzüge. Noch im selben Jahr gelang es ihm, die Kreuzfahrerburgen Tyros, Sidon, Haifa, Beirut, Château Pèlerin und Tartus zu besetzen. Bis auf die Festungsinsel Aruad waren vor der syrischen Küste alle Kreuzfahrer aus Palästina und Syrien vertrieben. Nach der Behandlung der muslimischen Rückeroberung der lateinischen Territorien geht der Verfasser auf die Ordensstaaten ein. Dieser Teilbereich beinhaltet die Zerschlagung des Templerordens sowie die Deutschordensritter und den Johanniterorden, die sich rechtzeitig territoriale Herrschaftsbereiche angeeignet hatten. Sodann konzentriert sich der Autor auf die Kreuzzüge des 14. und 15. Jahrhunderts, wie den iberischen Kreuzzug, den italienischen, den levantinischen, oder den anti-osmanischen, und sogar die „Hussitenkreuzzüge“ in den Jahren 1420-1431 und die erneuten anti-osmanischen in den Jahren 1443-1444 werden hier abgehandelt.

Zu Beginn des elften Kapitels unterstreicht Riley-Smith, dass „der Druck, Kreuzzüge zu führen, in den 30er-Jahren des 16. Jahrhunderts schlagartig nachgelassen“ hat. In diesem letzten Abschnitt stellt er den „langsamen Tod der Kreuzzugsbewegung“ in den Jahren 1523-1892 vor.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Riley-Smith die Kreuzzüge aus europäischem Blickwinkel darstellt, so dass sich seine historische Argumentation größtenteils aus westlichen Quellen speist. Es ist aber dem Autor als Verdienst anzurechnen, dass er die Kreuzzüge nicht als ein Produkt der Protorenaissance betrachtet und im engen Korsett der Mediävistik untersucht. Riley-Smith stellt die Kreuzzüge zwar als ein historisches, ja sogar Epochen übergreifendes Phänomen in den immerwährenden Kämpfen der Kulturen dar. Das aufreibende und dessen ungeachtet triste Thema präsentiert er aber dem Leser aus einer breiteren Perspektive. Er zwingt es aus der Monotonie einer monokausalen Betrachtungsweise heraus, indem er die üblichen Grenzen der Themenvielfalt und zeitlichen Rahmen ausdehnt. Gelehrsam aber zugleich provokativ kurbelt er an der Geschichte der Kreuzzüge, indem er geographisch und chronologisch die Horizonte erweitert. Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgehen, dass er eifrig vermitteln möchte, in welchen Facetten die Kreuzzüge zu verstehen sind. Doch gerade dies erweckt auch den Eindruck eines etwas großzügigen, ja beinahe verschwenderischen Umgangs mit den Termini „Kreuzzug“ und „Kreuzzugsbewegung“. Man fragt sich jedoch, ob die von den Päpsten initiierten oder geförderten Feldzüge christlicher Symmachien, bei denen der Wallfahrtsgedanke naturgemäß mit kriegerischen Absichten verbunden sind, immer zwangsläufig als Kreuzzüge zu bezeichnen wären. Auch nach der Lektüre des Bandes bleibt die eigentliche Frage bestehen, ob diese „kriegerischen Absichten“ auch Eroberungs- oder Kolonialisierungsabsichten umfassen. Wenn es beispielsweise um das Zeigen von militärischer Präsenz, um Konfliktlösung oder internationale machtpolitische Balancen geht, ohne dass die Potentaten irgendwelche Gebietserweiterungsansprüche stellten, sollte nicht von Kreuzzügen gesprochen werden. Einen Mangel des Bandes bildet also das Faktum, dass der Autor in der Frage der Terminologie auf den Terminus Kreuzzug nur bedingt eingeht. Gerade dies wäre aber für die zweckmäßige Strukturierung eines Bandes, der den spartanischen Titel „Die Kreuzzüge“ trägt, von entscheidender Bedeutung. Obwohl Riley-Smith fast jegliche groß angelegte mehrstaatliche Militäraktion in den knapp 800 Jahren (1096-1892) in seiner Untersuchung als Kreuzzug beschreibt, bleibt für mich die Kreuzzugsbewegung ein europäisch-türkisches beziehungsweise christlich-muslimisches Thema.

[1] (Historia Karoli Magni et Rotholandi. Chronique du Pseudo-Turpin, ed. Cyril-Meredith-Jones, Paris 1936, S. 11: Isti prefati sunt viri famosi [Alle die hier genannten Männer sind hochgeachtet], heroes bellatores [kriegsgeprüfte Recken], potentum cosmi potentiores [Allermächtigsten], forciorum forciores [tollkühnsten der Tollkühnen] – eig. Übers.).

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Jonathan Riley-Smith: Die Kreuzzüge.
Übersetzt aus dem Englischen von Tobias Gabel und und Hannes Möhring.
Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2016.
480 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783805349598

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch