Das Mosaik des deutschen Islam

Karen Krüger hat sich auf „Eine Reise durch das islamische Deutschland“ begeben

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Islam gehört inzwischen zu Deutschland. Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge stimmen 47% der Deutschen dieser Aussage aus der Rede des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff zum Jahrestag der Deutschen Einheit in 2010 zu. Gespaltener könnte das Land nicht sein, sind doch 48% der Befragten der Überzeugung, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Die Feuilleton-Redakteurin der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ Karen Krüger hat sich auf Eine Reise durch das islamische Deutschland begeben und ihre Beobachtungen niedergeschrieben, um Ressentiments und Ängsten nachzuspüren und Antworten auf ihre Fragen zu finden: Gibt es eine gemeinsame deutsch-muslimische Identität? Fühlen sich Muslime in Deutschland zu Hause und gleichberechtigt? Gehört der Islam zu Deutschland? Selbst der unausweichlichen Kopftuchfrage geht Krüger nach.

Die Arbeit an ihrem Buch führte sie in alle Teile der Republik – von München bis Hamburg, von Dresden bis Köln sowie nach Frankfurt und Wiesbaden. Sie berichtet von den Begegnungen mit Muslimen in Deutschland. Es sind zufällige Treffen mit Taxifahrern, intensive Gespräche mit einer Salafistin, die den Ausstieg aus der Szene schaffte, einer Frauenrechtlerin, einem islamischen Bestatter oder einer deutschtürkischen Frauenärztin. Das Besondere daran ist, dass es die Begegnungen mit Individuen sind, aus denen sie Rückschlüsse zieht und den Leser dabei in ihre Gedankengänge einbindet. Krüger ärgert sich darüber, dass „die öffentliche Debatte Muslime oftmals als homogenen Block antizipiert“. Dabei ist der Islam in Deutschland viel mehr ein Mosaik.

Die Autorin sucht und findet Menschen – und mit ihnen Beispiele dafür, „dass ein religiöses Miteinander möglich ist, ohne den eigenen Glauben zu verleugnen“. Integration und Akzeptanz sowie das Verbindende zwischen Islam und Christentum – Barmherzigkeit und Nächstenliebe sowie der „Glaube an den einen Gott“ – sind die zentralen Themen ihrer Reise. Sie spart dabei kein kritisches und kein aktuelles Thema aus: Die Diskussion um die Anerkennung der islamischen Verbände als Körperschaft des öffentlichen Rechts ebenso wie die Schwierigkeiten der Deutschen Islam Konferenz und den Einfluss traditionell-konservativer Imame.

Karen Krüger traf auch Menschen, die sich ganz bewusst vom Islam abgewendet haben. Wer aus dem Iran geflohen ist, um aus einem Land zu entkommen, dessen Regierung Frauen unter den Tschador zwingt, mit einer Sittenpolizei überwachen lässt und bis heute vor allem in den ländlichen Regionen mit unmenschlichen Strafen wie dem öffentlichen Auspeitschen belegt, der will mit dem Islam nichts mehr zu tun haben, „da in seinem Namen unterdrückt und getötet wird“. Die Iranerin Mina Ahadi warnt in dem Buch wie viele andere Iraner in Deutschland vor falscher Toleranz und vor Missionierungsbestrebungen des Islam. Krüger fragt den Leser, ob in diesen Fällen der Glaubensverlust nicht Freiheitsgewinn bedeutet. Die Sängerin Sahira Awad, die in das salafistische Milieu abrutschte und wieder zurückkehrte, hat trotz des Hasses, den sie erfuhr, ihren Glauben nicht verloren: „Das Einzige, was uns helfen wird, wieder die Liebe und Barmherzigkeit zu leben, auf denen der Islam basiert, ist es, genug Wissen über unsere Religion zu bekommen.“

Hierzu leistet das Buch von Karen Krüger einen wertvollen Beitrag. Gerade für Leser, die bislang nie einen Koran in den Händen gehalten haben, sind die Einblicke in Suren und Glaubensinhalte bis zur Bedeutung von Feiertagen, Fasten und Familientraditionen ein erster, wenn auch oberflächlicher Einstieg in diese Religion. Das Interesse am Islam ist wichtig, schließlich ist er Bestandteil des täglichen Lebens. Moscheen werden gebaut. In Köln hat bald fast die Hälfte der Einwohner einen Migrationshintergrund. Ein Miteinander ist möglich – und zwingend erforderlich: Ihr Weg führt die Autorin in München in das Goethe-Hotel, in dessen Namensschriftzug das „O“ ein türkischer Halbmond ist und dessen Besitzer Mahir Zeytinoglu zur Eröffnung Gedichte aus Goethes West-östlichem Divan vorlesen ließ. In Dresden findet sie ein Plakat, das Studenten gegen die Pegida-Demonstrationen an der Kunstakademie aufgehängt haben, mit einem Zitat aus dem Divan: „Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter“. Auch Bundespräsident Christian Wulff zitierte 2010 in seiner viel diskutierten Rede aus Goethes West-östlichem Divan und forderte eine klare Haltung: „Ein Verständnis von Deutschland, das Zugehörigkeit nicht auf einen Pass, eine Familiengeschichte oder einen Glauben verengt, sondern breiter angelegt ist“, so Wulff.

„Deutsche Muslime“ beharren jedoch meist „auf den jeweiligen Herkunftstraditionen“ – und dies auch bei der Frage der Staatsangehörigkeit. Integration verlangt von beiden Seiten eine klare Haltung. Karen Krüger geht der Frage nach, weshalb die in Deutschland lebenden Türken mit großer Mehrheit neben dem deutschen ihren türkischen Pass behalten. Die Sehnsucht nach der früheren Heimat bleibt groß. Die türkische Regierung will, dass die Integration scheitert. 2008 sagte der türkische Präsident Erdogan in Köln: „Assimilation ist ein Verbrechen, vergesst nicht, dass ihr Türken seid!“ Die Deutschtürkin Zehra Blume hat lange gebraucht, bis sie einsah: „Heimatgefühl braucht keine Papiere“. Nur diejenigen, die sich „irgendwann ganz bewusst und mit allen Konsequenzen für Deutschland entschieden haben“, können das Scheitern verhindern: Der Kölner Kabarettist Fatih Cevikkollu berichtet der Autorin, dass sich seine Eltern weder ein wirkliches Leben in Deutschland eingerichtet hatten, noch in die Türkei zurückgekehrt seien. Das Ergebnis ist eine tiefe innere Zerrissenheit und letztlich eine Parallelgesellschaft in Deutschland.

Es ist zu spüren, mit welcher Kraft Krüger um Neutralität bemüht ist. Es gelingt ihr jedoch nicht, ihre Meinung zurückzuhalten, wenn es um „Hass auf Muslime“, den „Pegida-Irrsinn“ und „das Gift“ geht, das „aus den Mikrophonen türkischer Politiker […] sickert“ – oder wenn der „CSU-Lautsprecher Markus Söder twittert“ und dabei ihrer Meinung nach „auf verhängnisvolle Weise […] die Sicherheitsdebatte mit der Flüchtlingsdiskussion“ vermischt. Kopfschüttelnd zitiert sie den Philologenverband Sachsen-Anhalt, der in seiner Mitgliederzeitung vor einer „Immigranteninvasion“ und sexuellen Belästigungen durch ungebildete, junge, kräftige, muslimische Asylbewerber warnt. Krüger kommentiert, der „Mythos des sexuell ungezügelten Fremden“ tauche immer wieder in der deutschen Geschichte auf, verbunden mit der Angst, ,das deutsche Blut‘ könne beschmutzt werden. Die Sensibilisierungsarbeit gegen antiislamische Ressentiments stehe noch ganz am Anfang. Makler und Vermieter schielten auf ein Kopftuch, berichtet die Autorin, und sagen: „Ich möchte Ihnen die Wohnung doch nicht zeigen“.

Diese engagierten Textpassagen der Autorin gegen Intoleranz auf beiden Seiten sind sicherlich deutlich. Kurz nachdem die Reise von Karen Krüger durch das islamische Deutschland beendet war, verkündete die AfD: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Das Buch könnte daher aktueller nicht sein. Es ist ein wichtiger Debattenbeitrag und verdient viele Leser. Der Weg, den Deutschland gehen muss, ist noch weit. Die Reise hat gerade erst begonnen.

Titelbild

Karen Krüger: Eine Reise durch das islamische Deutschland.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2016.
347 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783871348327

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