Männer in der Midlife-Crisis

Erteilen deutsche Gegenwartsfilme wie „Herr Lenz reist in den Frühling“ und „Becks letzter Sommer“ überholten Männlichkeitsbildern eine Absage?

Von Nadja WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadja Weber

Herr Lenz reist in den Frühling (2015), Becks letzter Sommer (2015), Gruber geht (2015) und Zwei verlorene Schafe (2016)all diese Filme wurden im Rahmen des zwölften Festivals des deutschen Films in Ludwigshafen vorgeführt und weisen eine auffällige Parallele auf: Im Zentrum der Betrachtung steht der männliche Protagonist in der Krise: Er ist erfolglos oder unglücklich im Beruf, hat familiäre Schwierigkeiten oder erkrankt in der Mitte seines Lebens schwer. Die männlichen Protagonisten dieser deutschen Gegenwartsfilme stellen nicht mehr die ideale Identifikationsfigur dar, die dem Kinopublikum seit den 1930er Jahren in einiger Regelmäßigkeit präsentiert wurde. Sie sind Antihelden, mit denen sich die Zuschauer nicht mehr vorbehaltlos identifizieren können und werden vielmehr mit einer gewissen Distanz betrachtet. Das Publikum lehnt sich im Kinosessel zurück und beobachtet gespannt, ob der gescheiterte Protagonist in der Lage ist, seine Krise zu bewältigen. Als Spiegel gesellschaftlicher Zustände zeigen diese Filme demnach ein verändertes Bild der Männlichkeit. Im 21. Jahrhundert, in Zeiten von berufstätigen und alleinerziehenden Müttern, unabhängigen Frauen, Samen­spendern und der Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung scheint es auch erlaubt zu sein, bestehende Geschlechterrollen und patriarchale Muster im Film in Frage zu stellen.

Als eine besondere Krise der Männlichkeit sticht die Midlife-Crisis hervor, die sowohl in Herr Lenz reist in den Frühling als auch in Becks letzter Sommer thematisiert wird. Während der erfolglose Versicherungsvertreter Lenz (Ulrich Tukur) nach dem Tod seines Vaters unverhofft nach Thailand reist, versucht sich der gescheiterte Rockstar und frustrierte Musiklehrer Beck (Christian Ulmen) als Manager eines talentierten Schülers. Beide Männer sind unzufrieden mit ihrer Lebenssituation und sehen sich mit einer Sinnsuche und dem vermeintlichen Neuanfang konfrontiert. Auf den ersten Blick bedienen beide Filme die klischeehaften Vorstellungen von Männern in der Krise: Der Künstler, der letztendlich Lehrer werden musste und seine ungelebten Träume auf einen Schüler projiziert, und der spießige Kleinbürger, der nicht nur einem typisch deutschen Beruf nachgeht, sondern auch ein schwieriges Verhältnis zu seinem schwulen Sohn hat und von seiner unzufriedenen Ehefrau betrogen wird. Werden diese Klischees zugunsten einer originellen Handlung aufgebrochen oder bedienen die Filme hauptsächlich die Erwartungen des Publikums und zielen auf seichte Unterhaltung ab? Können die Protagonisten ihre Lebenskrisen am Ende lösen und wie werden die männlichen Krisen filmisch umgesetzt?

Holger Lenz hat alles, was er sich vom Leben erhofft hat – das obligatorische Reihenhaus, ein Auto, eine Ehefrau und einen Sohn – und auf diese Erfolge beruft er sich in genau dieser Reihenfolge. Dennoch versinkt er in der Mittelmäßigkeit, sein Sohn bezeichnet ihn als angepasst und spießig. Er ist ein Mann, der die Hundehaufen in seinem Garten heimlich in Nachbarsgarten wirft, der eine überempfindliche Alarmanlage im Haus installiert, der mit seinem Urlaubskoffer in der Hand im Meer steht, weil er befürchtet, sein Gepäck könnte gestohlen werden. Die rebellische Phase seines pubertären Sohnes betrachtet er mit Unbehagen und fürchtet um dessen Zukunft. Doch seine Frau kann ihn beruhigen: „Es wird schon noch ein richtiger Mann aus ihm werden. Du hast es ja auch geschafft.“ Das nennt man dann wohl Zynismus. Oder Ironie. Und die bemerkt selbst Holger Lenz, denn er wirft seiner Frau einen skeptischen Blick zu. Als ein Bekannter von Holgers Vater plötzlich in seinem Büro auftaucht und von dessen Tod berichtet, ergeben sich für den Protagonisten nicht nur neue finanzielle Möglichkeiten durch das hinterlassene Apartment in Pattaya – es werden auch alte Wunden aufgerissen. Denn Holgers Vater setzte sich vor 20 Jahren nach Thailand ab und meldete sich seitdem nie wieder bei seinen Sohn, dem Versager, der „Tüte Pippi“, wie er ihn nannte. Herr Lenz reist also nach Thailand und macht dort Erfahrungen, die ihn an die Grenzen seines geordneten Daseins stoßen lassen.

Während der Versicherungsangestellte mit vielen negativen Entwicklungen in seinem Leben konfrontiert wird, erlebt der männliche Protagonist in Becks letzter Sommer durch die erneute Chance auf eine musikalische Karriere seinen zweiten Frühling. Seine Krise manifestiert sich vornehmlich in seiner Unzufriedenheit mit dem Lehrerberuf. Er verschläft des Öfteren und erscheint erst zur dritten Stunde. Seine Vorbereitung auf den Unterricht beschränkt sich auf das Ändern der Jahreszahlen auf den verwendeten Folien. Zudem besitzt er keinerlei pädagogische Ambitionen, den Sitzplan seiner Klasse versieht er mit hilfreichen Notizen wie „Muttersöhnchen“ oder „Heulsuse“. Kritik an seinem Unterrichtsstil schmettert er mit Autorität ab. Allein sein Schüler Rauli (Nahuel Pérez Biscayart) weckt das Interesse von Robert Beck, dieses ist jedoch eigennützig. Sein beruflicher Ehrgeiz führt zu Egoismus, und dieser wird im Laufe des Films zu seinem größten Problem; aus Egoismus verwehrt er seinem Schützling fast eine große Chance, aus Egoismus will er seine Freundin (Friederike Becht) nicht nach Italien ziehen lassen, wo sie ihre eigenen Berufsträume verwirklichen will. Doch Beck macht im Laufe des Films eine Entwicklung durch und gewinnt – ausgerechnet im Drogenrausch – eine bahnbrechende Erkenntnis: Im Leben geht es nicht immer ums Gewinnen. Es geht um die einfachen Dinge, um Erinnerungen.

Eine ganz ähnliche Lektion lernt Herr Lenz auf seiner Heldenreise: Es läuft im Leben alles darauf hinaus, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Obgleich beide Filme den Zuschauer/die Zuschauerin mit der Hoffnung auf ein Happy-End entlassen, führen sie dennoch auf eine eher ernüchternde Erkenntnis hin. Das Leben kann nicht immer erfolgreich verlaufen. Der männliche Protagonist wird von seiner Pflicht entbunden als Held aufzutreten, als ideal-typische Identifikationsfigur. Zudem veranschaulichen Herr Lenz reist in den Frühling und Becks letzter Sommer eine gesellschaftliche Tendenz. Die Thematik des Bildungsromans wird in diesen deutschen Gegenwartsfilmen aufgegriffen, jedoch leicht abgeändert. Denn die Filme handeln keinesfalls von jugendlichen Protagonisten, sondern von erwachsenen Männern, die eine Persönlichkeitsentwicklung durchlaufen müssen. Die eigene Identität ist nichts, das man einmal entwickelt und dann für immer besitzt, sie muss fortwährend hinterfragt und an veränderte Lebensbedingungen angepasst werden. Es muss ein Leben lang gelernt, gesucht, gekämpft werden. Selbst wenn man in der Mitte seines Lebens auf die vermeintlichen Erfolge zurückblickt, wie Holger Lenz, so kann es sein, dass sich durch eine kleine Entwicklung alles ändert.

Beide Filme stellen den männlichen Protagonisten in der Midlife-Crisis ins Zentrum der Betrachtungen und streben letztendlich auch eine ähnliche Botschaft an. Der wesentliche Unterschied liegt in der filmischen Umsetzung. Denn während Becks letzter Sommer durchaus ernste Töne anschlägt, wirkt Herr Lenz reist in den Frühling sehr grell und überladen und ist vornehmlich auf Unterhaltung ausgerichtet. Sämtliche Klischees eines deutschen Kleinbürgers – schwule Söhne, frustrierte Hausfrauen, kommunistische Väter, thailändische Ladyboys und buddhistische Mönche – sind eben doch etwas viel für einen Film, der sich einer vermeintlich ernsten Thematik widmet. So zieht er nicht nur den männlichen Protagonisten, sondern auch sich selbst absichtlich ins Lächerliche.

Sind Männer in der Midlife-Crisis das Thema des deutschen Gegenwartsfilms? Auffällig ist, dass sich in beiden Filmen auch andere Figuren in der Krise befinden. Ilona Lenz (Steffi Kühnert) fühlt sich an der Seite ihres Mannes zu alt, sucht sich einen erfolgreicheren Geliebten und möchte, in der Mitte ihres Lebens, noch einmal studieren. Becks Freund Charlie (Eugene Boateng) freut sich, dass er nach vier Jahren ein Widerspruchsverfahren gegen seine Exmatrikulation an der Hochschule in die Wege geleitet hat, weil er sein abgebrochenes Philosophiestudium im 7. Semester fortsetzten möchte. Dafür würde er auch den Job als Türsteher und die Drogen aufgeben. Becks Freundin hat sich aus Alternativlosigkeit für ein Kommunikationswissenschaftsstudium entschieden und jobbt in einem Café bis sie ihrer eigentlichen Berufung als Modedesignerin nachgehen kann. Es wird schnell deutlich: Nicht nur die Männer stecken hier in der Krise, nicht nur die Protagonisten. Die Midlife-Crisis oder die Identitätskrise spielt bereits seit längerem eine Rolle in der gesellschaftlichen Diskussion und ist derzeit ein beliebter Stoff für erfolgreiche Spielfilme – ganz gleich, ob diese nun unterhalten oder lehrreich sein sollen.

Becks letzter Sommer
Deutschland 2015
Regie: Frieder Wittich
Darsteller: Christian Ulmen, Nahuel Pérez Biscayart, Eugene Boateng
Länge: 98 Minuten

Herr Lenz reist in den Frühling
Deutschland 2015
Regie: Andreas Kleinert
Darsteller: Ulrich Tukur, Steffi Kühnert, Simon Jensen
Länge: 89 Minuten

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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