Ein Tutorial für den Beruf Schriftsteller

Anstelle einer Poetik: Colum McCanns „Briefe an junge Autoren“ sind ein „wikiHow to become a successful writer“, das keines sein will

Von Friederike GösweinerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friederike Gösweiner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass man sich als Autor oder Autorin über das, was man tut – schreiben –, Gedanken macht, ist nichts Neues. Die eigene Poetik darzulegen, versuchen Schreibende im Grunde, seit es Poesie respektive Literatur gibt. Früher war damit durchaus der Anspruch verbunden, Regeln von allgemeiner Gültigkeit aufzustellen, heute handelt es sich dabei um subjektive Werkstattpoetiken, die Einblick geben in die persönlichen Sichtweisen und Haltungen zu poetologischen Fragestellungen. Während Regelpoetiken in der Ära nach der Postmoderne wohl nichts verloren haben, boomen aktuell Werkstattpoetiken nicht zuletzt aufgrund des Fehlens verbindlicher poetologischer Richtlinien. Anlässe dazu liefern Poetikdozenturen, die in der Regel keinerlei anleitenden Charakter haben und keine poetologische „Leitfäden“ darstellen. Colum McCanns 2017 auf Deutsch veröffentlichtes handliches Büchlein Briefe an junge Autoren. Mit praktischen und philosophischen Hinweisen, im Original Letters to a Young Writer: Some Practical and Philosophical Advice, übersetzt von Thomas Überhoff, ist nun keine solche Werkstattpoetik, sondern eine Textsorte, die bisher kaum von arrivierten Autorinnen und Autoren bedient worden ist: eine Art Ratgeber, ein Kompendium voller Hinweise und Tipps, wie man denn als angehender Schriftsteller reüssieren könnte.

Die sehr kurzen Texte, die McCann auf gut zweihundert Seiten versammelt, gleichen einer Art „wikiHow to become a successful young author“. Sie behandeln teils schreibtechnische Aspekte, teils das geschickte, „richtige“ Agieren in der Sphäre der Literatur und ihrer spezifischen gegenwärtigen Ausprägung als „Betrieb“ oder „Industrie“. Entstanden sind sie über ein Jahr hinweg, den Anlass dazu bildete der Auftrag, einen kurzen Text über das Leben als Schriftsteller zu verfassen. Zu lesen sind die Briefe allesamt sehr leicht und wie nebenbei – und ein bisschen liegt auch die Vermutung nahe, dass sie ebenso geschrieben wurden.

Die Überschriften sind griffig und cool – „Worauf es ankommt: Sprache und Plot“, „Lesen, lesen, lesen Sie“, „Schreiben Sie Unterhaltung“, „Erfolg“, „Schreiben Sie sich ein Glaubensbekenntnis“, „Seien Sie kein Arsch“, „Seien Sie aber auch nicht zu nett (zumindest in Ihren Texten)“ –, dazu fügt sich eingangs stimmige Zitate berühmter Autorinnen und Autoren, von denen sich einige, wie auch so mancher Satz von McCann selbst, bestens für die Aufnahme in eine Zitatensammlung eignen. Welches Problem der jeweilige Brief behandelt, wird nur sehr kurz umrissen, danach folgen in der Regel viele Imperative (maskiert in Aussagesätzen ohne Ausrufezeichen am Satzende), die Handlungsaufforderungen beinhalten, die es für junge Autorinnen und Autoren zu beherzigen gelte. Nicht zu vergessen ist dabei freilich jener eine große Imperativ, der über allen anderen und über McCanns gesamtem Büchlein steht, an den der Autor nicht müde wird zu erinnern: der Imperativ, dass kein Imperativ verbindlich sei, Schreibenden grundsätzlich nicht geholfen werden könne und somit alle ihren eigenen Weg finden müssen.

Es sind also keineswegs normative Regeln, die McCann in seinen Briefen an junge Autoren aufzustellen versucht; in der Einleitung hält er explizit fest, dass es sich um keinen „Leitfaden“ handle dafür, wie man literarisch heute reüssieren könne, vielmehr sollen die Briefe „eine leise Stimme (sein), in deren Begleitung man durch den Park spaziert“. McCann sieht sich als „Sparringspartner“, nicht als Meister. Die Anweisungen, Tipps, Hinweise, die er jungen Schreibenden gibt, sind nichtsdestotrotz sehr konkrete, oftmals aber auch einander absichtlich (scheinbar) widersprechende, einander relativierende, sodass die Komplexität der Fragestellungen, die die 53 Briefe behandeln, zumindest erahnbar wird. Erörtert werden profanere Themen wie die Gestaltung eines adäquaten Schreibplatzes ebenso wie zentrale schreibtechnische Aspekte, beispielsweise eine plastische Figurengestaltung. Es wird diskutiert, wie man am besten zu einem Agenten kommt, ob man eine Schreibschule besuchen sollte, wie wichtig das Beherrschen orthografischer Regeln für Schreibende ist, aber auch, wie unverzichtbar Beharrlichkeit und Fleiß sind. Die Rolle des Lektorats wird gestreift, erörtert,  was Schreibende wann warum lesen sollten oder eben auch nicht, und immer wieder betont, dass Literatur Sprache ist, nichts als Sprache – weshalb es an ihr zu arbeiten gilt.

Aus allen Briefen spricht weniger McCann, der Autor, als vielmehr McCann, der Lehrer. Für einen aktiven Didaktiker, der Schreiben lehrt, ist die Fähigkeit, höchst komplexe Probleme auf einen jeweils recht leicht verständlichen Punkt zu bringen, sie zu simplifizieren, um sie für Anfänger, für weniger Kundige nachvollziehbar zu machen, wie das die „Briefe“ versuchen, essentiell. Über diese Fähigkeit verfügt McCann, wohl nicht zuletzt aufgrund seiner jahrzehntelangen Routine, zweifellos. Ob sie in einem solchen Buch sinnvoll eingesetzt ist, sich nicht im allzu Allgemeinen und Oberflächlichen verliert, weil Textbeispiele fehlen, anhand derer die Fragestellungen sehr viel konkreter hätten erläutert werden können, wie das in einem Schreibkurs üblich ist, mag jedoch fraglich bleiben.

Was sich aus den poetologischen und lebenspraktischen Häppchen jedenfalls sicherlich nicht ergibt, ist eine annähernde Übersicht über das weite Feld der Literaturtheorie, der Poetik, wie sie Einführungsliteratur zu geben vermag, die in komparatistischen und in germanistischen Studiengängen nicht grundlos wohl immer noch Pflichtlektüre ist. Was sich ebenfalls nicht aus diesen Kurztexten ergibt, ist eine Darstellung der Poetik McCanns selbst, wie sie eine Poetikvorlesung geben könnte. In die Tiefe zu gehen, erlaubt die gewählte Textsorte in keiner Weise – weder um das allgemeine Feld schreibtechnischer Probleme abzustecken noch um eine subjektive Sichtweise einiger dieser Probleme darzulegen.

Von der Anlage zeigen sich die Briefe an junge Autoren sowohl sprachlich als auch inhaltlich als „easy read“ insgesamt vielleicht geradezu symbolisch für unsere Zeit. Im Chaos, das die Postmoderne hinterlassen hat, geht es für das selbstverantwortliche Individuum ständig und überall darum, sich Herausforderungen zu stellen und an ihnen zu wachsen. Der Glaube an die Lernfähigkeit des Individuums ist sehr groß – auch im kreativen Bereich –, bei der Bewältigung diverser Herausforderungen Einzelkämpfer zu sein, ist out, als Autodidakt auf eigene Faust herumzupfuschen zeugt von mangelnder persönlicher Reife, der Gang zum Profi des Vertrauens ist angezeigt.

Als Schreiblehr-Profi mit 20-jähriger Lehrerfahrung kann McCann sicher zu Recht für sich die Autorität beanspruchen, in der Lage zu sein, dem schreibenden Nachwuchs Hilfestellung und Anleitung zu geben. Und er tut es auch nur in einem quasi-antiautoritären, sich selbst relativierenden Stil. Dieser Relativierung der eigenen Rolle fehlt allerdings eine entsprechende Relativierung der inhaltlichen Botschaften, die die „Briefe“ transportieren. Es scheint geradezu so, als würde das bloße Faktum, „nur“ die Rolle des Sparrings-Partners zu reklamieren, dazu einladen, die eigene Haltung unhinterfragt zu lassen und damit die Hinweise und Tipps, die formuliert werden, umso leichtfertiger zu erteilen.

Gewisse, das Schreiben betreffende Prämissen werden in den „Briefen“ interessanterweise überhaupt nicht hinterfragt. Wer Dramen schreiben möchte, wird bei McCann etwa kaum eine interessante Zeile dazu finden. Wer Lyrik schreibt, dem ergeht es ganz ähnlich. „Schreiben“ heißt bei McCann ganz selbstverständlich „Prosa schreiben“, und hier ist auch der Roman wiederum selbstverständlich die „Krönung“ an Schaffensleistung. Ebenso selbstverständlich wird über die Schwierigkeit und die Gestaltung eines Ich-Erzählers viel länger referiert als über eine olympische Erzählposition, die offenbar nicht mehr angebracht scheint. „Show, donʼt tell“ ist eine weitere Prämisse, die bei McCann jedem literarischen Schreiben quasi vorausgesetzt wird, ebenso wie er dazu anhält, keine Scheu davor zu haben, zu unterhalten.

Im Grunde referiert McCanns Büchlein die wichtigsten „Glaubenssätze“ der angloamerikanischen Erzähltradition, die auch im deutschsprachigen Raum längst State of the Art geworden ist – allerdings ohne sie als solche zu deklarieren. Insofern weiß man nicht recht, wem man das Buch tatsächlich zu lesen ans Herz legen soll. Junge oder noch nicht publizierte Autorinnen und Autoren sollten sich einen viel breiteren und zugleich fundierteren Blick auf das Feld verschaffen, das sie im Begriff sind, selbst mitzubestellen. Und für bereits publizierte Autorinnen und Autoren ist vieles von dem, was McCann sagt, bereits obsolet geworden, in jedem Fall aber viel zu oberflächlich.

Interessant sind die Briefe an junge Autoren vielleicht vor allem auf einer Metaebene, als Phänomen unserer Zeit: Indem sie in Grundzügen eine Schreibhaltung darlegen, mit der man aktuell in unserer Gesellschaft wohl tatsächlich reüssieren kann, weil sie den Konventionen der literarischen Sphäre in ihrer aktuellen Ausprägung entspricht, sind sie Indiz für den aktuell sehr großen Glauben an die kreative Lernfähigkeit (und damit die Absage an das künstlerische Genie), vor allem aber auch an die Kalkulierbarkeit künstlerischen Erfolgs oder wenigstens die zentrale Verknüpfung von künstlerischer Tätigkeit mit einem Berufsbild (anstatt der Sichtweise des Schreibens als „Berufung“, als Haltung zum Leben und zur Gesellschaft, aus der die Kunst hervorgebracht wird). Mehr als das Buch über poetologische Probleme aussagt und tatsächlich konkrete Hilfestellung geben kann, auf dem Weg, Schriftsteller zu werden, sagt es tatsächlich über unsere Zeit und das Kunstverständnis unserer Zeit aus. Ein vergleichbares Buch wäre 1968 (aber auch um 1789, 1848, 1916 …) wohl völlig undenkbar gewesen.

Titelbild

Colum McCann: Briefe an junge Autoren. Mit praktischen und philosophischen Ratschlägen.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Überhoff.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017.
185 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783499291401

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