Nachwort
Von Thomas Anz
In einem Brief vom 27. Dezember 1816 erklärte Goethe dem Bildhauer und Direktor der Berliner Akademie der Künste, Johann Gottfried Schadow, was von den romantischen Poeten und Poetikern zu halten sei: „Dieses Geschlecht sehen wir schon in den höchsten Unsinn verloren.“ Ein Monat vorher war der erste Teil der Nachtstücke des in Berlin lebenden E. T. A. Hoffmann ausgeliefert worden (der zweite erschien im Herbst 1817). Von Hoffmann ist in dem Brief nicht ausdrücklich die Rede, doch gehörte auch er zu denen, die von Goethes berüchtigten Urteilen über die „kranke“ Romantik betroffen waren. Dem Vertreter einer „gesunden“ Klassik galt der Romantiker als pathologischer Phantast, später wertete er Hoffmanns Publikumserfolge als eine Art Seuche: „welcher treue, für Nationalbildung besorgte Theilnehmer hat nicht mit Trauer gesehen, daß die krankhaften Werke des leidenden Mannes lange Jahre in Deutschland wirksam gewesen und solche Verirrungen als bedeutend fördernde Neuigkeiten gesunden Gemüthern eingeimpft wurden.“ Goethe berief sich auf Walter Scott, der 1827, fünf Jahre nach dem Tod Hoffmanns, dessen Werke den Engländern als „Verrücktheiten eines Mondsüchtigen“ und „fieberhafte Träume eines leichtbeweglichen kranken Gehirns“ vorstellte. „Fürwahr“, so übersetzte Goethe beifällig, „die Begeisterungen Hoffmanns gleichen oft den Einbildungen, die ein unmäßiger Gebrauch des Opiums hervorbringt und welche mehr den Beistand des Arztes als des Kritikers fordern möchten“.
„Gesundheit“ und „Krankheit“, „Vernunft“ und „Wahnsinn“ gehörten verstärkt seit der Aufklärung zu den zentralen Kategorien kultureller und lebenspraktischer Diskurse, mit denen soziale Wertungen vorgenommen wurden. Mit ihnen zog man die Grenzen zwischen dem gesellschaftlich Zugelassenen und Ausgeschlossenen, zwischen dem Normentsprechenden und Normwidrigen, auch im Bereich des literarischen Lebens.
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