Fragen Sie Reich-Ranicki: Bertolt Brecht und Friedrich Dürrenmatt (2006)
Friedrich Dürrenmatt paßte in keinen Rahmen, jedenfalls nicht in einen deutschen. Brecht war für die literarische Öffentlichkeit in diesem Lande ungleich leichter hinzunehmen und zu deuten als Friedrich Dürrenmatt. Denn der an die Erziehbarkeit des Menschen glaubende und die Veränderbarkeit der Verhältnisse verkündende Poet, der in seinen späten Jahren in Ost-Berlin lebte, ließ sich ohne größere Schwierigkeiten in der vertrauten Tradition unterbringen, also in der Nachfolge von Lessing, von Goethe und Schiller, Grillparzer und Hebbel.
In ihm, dem Dichter mit der Schiebermütze, sah man einen, der es auch in unserer Zeit fertiggebracht hatte, aus der Schaubühne eine moralische Anstalt zu machen und obendrein eine mit Gesang, Musik und Humor. Nur war er – so meinten viele – bedauerlicherweise auf die falsche (politische) Seite geraten.
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