Abners Abfall von Esbaal zu Dawid und seine Ermordung durch Joab

Abners Abfall von Esbaal zu Dawid und seine Ermordung durch Joab

(2. Samuel III 6)  Solange der Krieg dauerte, hielt Abner treu zum Hause Sauls. (7) Eines Tages aber fragte Esbaal Abner: „Warum bist du zu Rizpa, meines Vaters Kebsweib, gegangen?“[1] (8) Wütend erwiderte Abner: „Bin ich denn ein Hundskopf? Bis heute hab ich dem Hause deines Vaters treu gedient und dich nicht in die Hand Dawids fallen lassen; und nun machst du mir Vorwürfe wegen eines Weibes? (9) Gott strafe mich, wenn ich nicht das was Jahwe Dawid geschworen hat für ihn besorge: (10) das Königtum dem Hause Sauls nehme, den Thron Dawids aber aufrichte über Israel und Juda von Dan bis Beerseba!“ (11) Da wagte Esbaal Abner kein Wort zu entgegnen, so fürchtete er sich vor ihm.

(12) Alsbald sandte Abner Boten an Dawid nach Hebron und ließ ihm sagen: „Schließ einen Vertrag mit mir! dann will ich dir helfen, ganz Israel auf deine Seite zu bringen.“ (13) Dawid antwortete: „Gut! ich will einen Vertrag mit dir schließen, aber nur unter der Bedingung, daß du nicht vor mir erscheinst, ohne mir Sauls Tochter Michal mitzubringen.“[2] (14) Zugleich forderte Dawid Esbaal auf: „Gib mir meine Frau Michal heraus, die ich für hundert Filistervorhäute erworben habe!“ (15) Esbaal ließ sie ihrem Manne wegnehmen; (16) der folgte ihr weinend, bis Abner ihn heimschickte.

(17) Abner verhandelte nun mit den Ältesten Israels: „Schon längst,“ sagte er, „habt ihr euch Dawid zum König gewünscht; (18) so führt es nun aus!  hat doch Jahwe von Dawid gesagt: Durch meinen Knecht Dawid will ich mein Volk Israel von den Filistern und all seinen Feinden befreien.“ (19) Ebenso redete Abner zu den Benjaminiten. Dann ging er nach Hebron, um Dawid zu berichten was Israel und Benjamin beschlossen hatten. (20) Als nun Abner mit zwanzig Mann zu Dawid nach Hebron kam, gab Dawid für ihn und seine Begleiter ein Festessen. (21) Und Abner sagte zu Dawid: „Ich will ganz Israel um meinen Herrn König sammeln, damit sie einen Vertrag mit dir schließen und du überall als König anerkannt wirst.“ Darauf ließ Dawid Abner in Frieden ziehen.

(22) In diesem Augenblick kam Joab mit den Kriegern Dawids, reich mit Beute beladen, von einem Streifzug zurück. (23) Als man Joab berichtete: „Abner ist beim König gewesen, der hat ihn in Frieden ziehen lassen“, (24) ging er zum König hinein und sagte: „Was hast du getan! Abner ist zu dir gekommen und du hast ihn in Frieden ziehen lassen! (25) Hast du nicht gemerkt daß er nur gekommen ist, dein Tun und Lassen zu erkunden und zu erfahren was du vorhast? (26) Damit verließ Joab Dawid. Dann sandte er Abner Boten nach; die holten ihn zurück, ohne daß Dawid davon wußte. (27)Als Abner nach Hebron zurückkam, nahm ihn Joab beiseite in einen Winkel des Tores, als wolle er heimlich mit ihm reden; dort stach er ihn in den Bauch, um den Tod seines Bruders Asahel zu rächen.[3]

(28) Als Dawid das erfuhr, sagte er: „Ich und mein Reich sind ewig unschuldig vor Jahwe am Blute Abners. (29) Es komme über Joabs Haupt und seine ganze Sippe! Möge es in Joabs Hause nie an solchen fehlen, die an Fluß und Aussatz kranken, an Krücken gehen, durchs Schwert fallen und Hunger leiden!“ (31) Dann befahl Dawid Joab und allen die bei ihm waren: „Zerreißt eure Kleider, zieht Trauergewänder an und erhebt die Totenklage vor Abner her!“ Er selbst aber folgte der Bahre. (32) Und als man ihn begrub, weinte der König laut vor seinem Grabe, und alle weinten mit. (33) Auch sang der König auf ihn das Klagelied: „Mußte Abner sterben wie ein Gottloser stirbt? (34) Wie ein Ruchloser fällt bist du gefallen.“ Da weinten alle noch viel mehr. (35) Als es noch Tag war, wollte man Dawid zum Essen nötigen; aber Dawid schwur: „Gott strafe mich, wenn ich vor Sonnenuntergang etwas genieße!“  (36) All dies machte einen guten Eindruck; (37) und ganz Israel erkannte daß die Ermordung Abners nicht vom König ausgegangen war. (38) Der König aber sagte zu seinen Dienern: „Wißt ihr wohl, daß heute ein großer Feldherr in Israel gefallen ist? (39) Möge Jahwe dem, der die Untat getan, nach seiner Untat vergelten!“[4]

Erklärungen

[1] Dem Esball werden die Beziehungen Abners zu Sauls Kebsweihe politisch verdächtig gewesen sein; vgl. III 14 und 1. Könige II 22! Rizpa hatte zwei Söhne von Saul (XXI 8).

[2] Der Besitz Michals gab Dawid, mindestens nach Esbaals Tode, größeren Anspruch auf Sauls Nachfolge.

[3] Neben der Pflicht der Blutrache (II 23) werden ihn persönlicher Ehrgeiz (wie bei der Ermordung Amasas XX 8-10) und vielleicht auch Besorgnis um Dawids künftige Sicherheit (25) oder kluge Voraussicht dessen, was nach Abners Ermordung eintrat (IV – V 3), zur Ermordung Abners veranlaßt haben.

[4] Wie in der Klage um Saul und Jonatan (I 19-27) so mögen sich auch in der Klage um Abner bei Dawid warmes Gefühl mit politischer Berechnung verbunden haben (37! XXI 14). Joabs Stellung als Feldhauptmann Dawids ist durch die Ermordung Abners nicht erschüttert worden; s. XI 1!