Hesekiels Berufung

HESEKIEL[1] VOR DER ZERSTÖRUNG JERUSALEMS

Hesekiels Berufung

(Hesekiel I 1-3) Am 5. Tage des 4. Monats des 5. Jahres seit der Wegführung des Königs Jojachin, als ich mich bei den Verschleppten am Flusse Chebar befand, tat sich der Himmel auf, und ich sah göttliche Geschichte.

(4) Ich sah einen Sturmwind kommen von Norden her mit einer gewaltigen Wolke; ein Strahlenkranz von flammendem Feuer umgab ihn. (5) In seiner Mitte erschienen vier lebende Wesen, die sahen aus wie Menschen. (6) Jedes hatte vier Gesichter und vier Flügel. (10) Ihre Gesichter aber sahen so aus: alle vier hatten vorn ein Menschengesicht, rechts ein Löwengesicht, links ein Stiergesicht und hinten ein Adlergesicht.[2] (13) Zwischen den Wesen sah es aus, als ob brennende Fackeln hin und her führen; und von dem Feuer gingen Blitze aus. (15) Auf dem Boden neben der vier Wesen standen Räder. (22) Über den Häuptern der Wesen aber war eine Art kristallnes Gewölbe; (26) und über dem Gewölbe etwas wie ein Thron aus Safir. Darauf saß jemand, der aussah wie ein Mensch; (27) ein Strahlenkranz umgab ihn (28) gleich dem Bogen, der am Regentage in den Wolken erscheint. So sah das Abbild der Herrlichkeit Jahwes aus. Ich fiel auf mein Angesicht und hörte eine Stimmt, (II 1) die sprach: „Menschensohn, steh auf! ich will mit dir reden.“ (2) Da fuhr ein Geist in mich und richtete mich auf; und ich hörte wie er zu mir sprach: (3) „Menschensohn, ich sende dich zu den Söhnen Israels, die sich gegen mich aufgelehnt haben, sie wie ihre Väter.“ (9) Und ich sah eine Hand gegen mich ausgestreckt, die hielt eine Schriftrolle. (10) Er breitete sie vor mir aus; sie war beschrieben auf beiden Seiten mit Klagen Seufzern und Jammer. (III 1) Und er sprach zu mir: „Menschensohn, iß diese Rolle und dann geh hin und predige dem Hause Israel!“ (2) Ich öffnete meinen Mund, und er gab mir die Rolle zu essen. (3) Ich aß sie, und sie schmeckte mir so süß wie Honig. (4) Da sprach er: (7) „Die Israeliten werden nicht auf dich hören wollen, denn sie haben eine harte Stirn und einen starren Sinn; (8) aber ich will deine Stirn ebenso hart machen, (9) hart wie Diamant.“ (12) Jetzt erhob sich die Herrlichkeit Jahwes von ihrem Platz mit dem Getöse eines gewaltigen Erdbebens; (14) mich aber hob der Geist empor, (15) und ich kam zu den Verschleppten nach Tel-Abib am Chebarfluß und saß sieben Tage lang bei ihnen wie betäubt.

(16) Nach Ablauf der sieben Tage aber erging an mich das Wort Jahwes: (17) „Menschensohn, ich hab dich zum Wächter gemacht über das Haus Israel. Wenn du ein Wort aus meinem Munde hörst, so sollst du sie warnen in meinem Namen. (18) Sag ich nun zu einem Frevler: Du mußt sterben! und du warnst ihn nicht, so wird jener Frevler um seiner Schuld willen sterben; doch sein Blut fordre ich von dir. (19) Warnst du aber den Frevler und läßt er sich trotzdem nicht abbringen von seinem bösen Wandel, so wird er zwar um seiner Schuld willen sterben, du aber hast deine Seele gerettet.“

Erklärungen

[1] Vulgata: Ezechiel, Sohn eines Priesters und wahrscheinlich selbst Priester am Tempel zu Jerusalem (vgl. XLIV 30!) gehörte zu den Verschleppten des Jahres 597 (vgl. 2. Könige XXIV 15!). Nicht weit von Babel fand er in Tel-Abib (= Ährenhügel) eine neue Heimat. Seit 592 fühlte er sich zum Profeten berufen und trat den Hoffnungen seiner Leidensgefährten auf baldige Heimkehr ähnlich wie sein älterer Zeitgenosse Jeremia entgegen mit der Verkündung des völliges Zusammenbruchs des Staates Juda (Kapitel I – XXIV). Als dann aber sechs Jahre später Jerusalem gefallen war, wurde er zum Tröster seines zerschmetterten Volkes. Er gab ihm neue Hoffnung und zeigte ihm den Weg zum Wiederaufbau im Rahmen nicht eines neu zu errichtenden nationalen Staates – dazu fehlte jede Voraussetzung –, sondern einer Kultgemeinschaft unter priesterlicher Leitung. So wurde er zum Vater des Judentums.

[2] Mensch (bzw. Engel), Löwe, Stier und Adler, hier Sinnbilder der göttlichen Eigenschaften Weisheit, Macht, Allwissenheit und Schöpferkraft, wurden bei den Christen Sinnbilder der vier Evangelisten.