Die Juden unter Gajus Kaligula (37-41 n. Chr.)
(7) Herodias aber, Agrippas Schwester und Gattin des Tetrarchen Herodes-Antipas, beneidete ihren Bruder, weil er, der früher seiner Schulden wegen hatte fliehen müssen, jetzt mit so hohen Ehren zurückgekehrt war. Besonders wenn sie ihn im königlichen Schmuck unter dem Volke einherfahren sah, konnte sie ihren Neid nicht verbergen, sondern stachelte ihren Gatten an, nach Rom zu reisen und sich um die gleiche Würde zu bewerben. Herodes sträubte sich zwar anfänglich gegen den Plan, weil er Ruhe und Bequemlichkeit liebte, gab aber schließlich nach, weil er überhaupt nicht leicht dem widerstehn konnte, was seine Gattin einmal beschlossen hatte. Nachdem er die glänzendsten Vorbereitungen getroffen, schiffte er sich in Herodias’ Begleitung nach Italien ein. Agrippa aber, der von ihrer Absicht Wind bekommen hatte, schickte sofort einen Freigelassenen an den Kaiser mit Geschenken und einer Anklageschrift, in der er Herodes beschuldigte, sich mit dem Partherkönig gegen Gajus verschworen zu haben; zum Beweise hierfür gab er an, Herodes bewahre in seinen Zeughäusern Waffen für siebzigtausend Mann auf. Herodes und Agrippas Bote kamen ungefähr gleichzeitig in Puteoli an und begaben sich von da nach dem nahe gelegenen Bade Bajä, wo der Kaiser zur Sommerfrische weilte. Als dieser die Anklageschrift gelesen, fragte er Herodes, ob es sich mit den Waffen so verhalte. Herodes konnte das nicht leugnen; und so glaubte der Kaiser auch das für wahr halten zu müssen, was ihm von der Verschwörung gesagt war. Er entzog daher Herodes seine Tetrarchie und vereinigte sie mit dem Reiche Agrippas. Auch verurteilte er Herodes zu dauernder Verbannung und wies ihm Lugdunum in Gallien an. Als er später erfuhr, Herodias sei Agrippas Schwester, wollte er sie im Besitz ihres Vermögens lassen und sie dem Schutz ihres Bruders unterstellen. Herodias aber erwiderte: „Von deiner Gnade Gebrauch zu machen, hindert mich die Liebe zu meinem Gatten, den ich im Unglück nicht verlassen kann, nachdem ich sein Glück geteilt habe.“ Über so viel Seelengröße erbittert, verbannte der Kaiser auch sie und schenkte ihr Vermögen dem Agrippa. So strafte Gott Herodias für den Neid gegen ihren Bruder, Herodes aber für die Nachgiebigkeit gegen die leichtsinnigen Reden seiner Frau.
Gajus Kaligula regierte übrigens im ersten und zweiten Jahre großmütig und maßvoll; später aber verwirrte ihm die Größe seines Reiches derart den Kopf, daß er in seiner Überhebung sich zum Gott machte.
(8) Darüber kam es in Alexandria zwischen den dort wohnenden Juden und Griechen zu Streitigkeiten; und von beiden Seiten erschienen Gesandte vor Gajus. Sprecher der Griechen war ein gewisser Apion, der die Juden mit Schmähungen überhäufte und ihnen unter anderm vorwarf, sie vernachlässigten die Verehrung des Kaisers; denn während alle übrigen Untertanen des Römischen Reiches dem Gajus zu Ehren Altäre und Tempel errichteten und ihn als Gott verehrten, hielten allein die Juden es für schimpflich, ihm Standbilder zu weihen und bei seinem Namen zu schwören. Als aber der Führer der jüdischen Gesandtschaft, der wegen seiner filosofischen Bildung hochberühmte Filo[1], sich anschickte, die Beschuldigungen Apions zu widerlegen, hinderte ihn Gajus daran und befahl ihm wütend, sich zu entfernen.
Darauf sandte der Kaiser den Legaten Petronius als Nachfolger des Vitellius nach Syrien und befahl ihm, mit großer Heeresmacht in Judäa einzurücken und sein, des Kaisers, Bild, wenn nötig mit Gewalt, im Tempel Gottes aufzustellen. Petronius beeilte sich, diesen Befehl zu vollziehen. Da zogen ihm die Juden zu vielen Tausenden nach Tiberias entgegen und baten ihn flehentlich, nicht durch Aufstellung des Stansbildes ihre Hauptstadt zu entweihen; sie wollten lieber sterben als die Übertretung ihres Gesetzes mit ansehen. Auch eine Abordnung der vornehmsten Juden unter Führung eines Bruders des Königs Agrippa erschien und warnte Petronius, das Volk zur Verzweiflung zu treiben; schon hätten die Bauern die Bestellung der Felder eingestellt; er möge bedenken, welche Folgen der Fortfall der Ernte für das Steueraufkommen und die allgemeine Sicherheit haben werde, und deshalb den Kaiser bitten, seinen Befehl zurückzunehmen. Als nun im gleichen Augenblick, von Gott gesandt, nach langer Dürre ein heftiger Platzregen niederprasselte, wagte es Petronius, der von Anfang an das Vorgehn des Kaisers mißbilligt hatte, an diesen ein entsprechendes Gesuch zu richten. Schon eh dies Gesuch in Rom eintraf, hatte auch König Agrippa den Kaiser bei einem üppigen Mahle, zu dem dieser ihn geladen, gebeten, auf die Errichtung seines Standbildes im Tempel der Juden zu verzichten. Und so zog der Kaiser den Befehl, den er gegeben, zurück. Bald darauf wurde er ermordet.
(9) Um diese Zeit wurde unter den in Mesopotamien und besonders den bei Babylonien wohnenden Juden ein Blutbad angerichtet, wie die Geschichte kein ähnliches kennt. In Babylonien liegen zwei Städte, Naarda und Nisibis, die so vom Eufrat umflossen sind, daß sie nicht eingenommen werden können. Die Juden betrachteten diese Städte als ihre Schatzkammern und verwahrten hier die Doppeldrachme, die nach altem Brauch jeder Jude Gott entrichten mußte, und alle sonstigen Weihgaben. Von hier aus wurde das Geld dann von Zeit zu Zeit nach Jerusalem geschafft, und zwar aus Furcht vor den Räubereien der Parther, denen Babylonien zinspflichtig war, unter Bedeckung von mehreren tausend Mann. Nun waren zwei jüdische Brüder aus Naarda, die dort das Weben lernten, ihrem Meister, der sie geschlagen hatte, entlaufen und hatten eine Räuberbande gebildet, mit der sie überall Furcht und Schrecken verbreiteten, bis der Partherkönig ihnen den Schutz Babyloniens übertrug. Fünfzehn Jahre lang erfreuten sie sich so einer fürstlichen Stellung; da wurde der eine von ihnen von einer Frau vergiftet, und fand der andre mit vielen Tausenden seiner Männer im Kampfe den Tod. Nun fielen die Babylonier, deren Haß gegen die Juden die Furcht vor den beiden Brüdern in Schranken gehalten hatte, über die Juden her. So wanderte denn ein Teil von diesen nach Seleukia aus, der von Seleukus gegründeten Hauptstadt Babyloniens. Hier bildeten sie mit den Syrern eine Mehrheit gegen die Griechen, bis es diesen gelang, sich mit den Syrern zu verständigen. Jetzt fielen Griechen und Syrer vereint über die Juden her und machten mehr als fünfzigtausend von ihnen nieder. Keiner blieb am Leben als die, denen das Mitleid ihrer Freunde und Nachbarn die Flucht ermöglichte. Auch überall sonst im Lande erhoben sich die Syrer zur Vernichtung der Juden; daher zogen sich die meisten von diesen nach Naarda und Nisibis zurück, deren feste und geschützte Lage ihnen die nötige Sicherheit gewährte.
Erklärungen
[1] Filo war ein Bruder des in XX 5 erwähnten Alabarchen Alexander und somit Chein des Renegaten Tiberius Julius Alexander, der es in römischen Diensten zum Prokurator Palästinas, dann zum Statthalter Ägyptens und schließlich zum Generalstabschef des Titus bei der Belagerung Jerusalems brachte. Filo gehörte also einer der vornehmsten Familien der alexandrinischen Judenschaft an. Er war unter den Juden seiner Zeit der beste Kenner der griechischen Filosofie und bemühte sich in zahlreichen Schriften, die Filosofie des Plato und des Aristoteles mit dem Mosaischen Gesetz durch allegorische Umdeutung des letzteren in Übereinstimmung zu bringen. Von den „Streitigkeiten“ der alexandrinischen Juden und Griechen erhalten wir aus Filos Anklageschrift gegen den Statthalter Flackus und aus seinem Bericht über seine Gesandtschaft an Gajus folgendes Bild: Die Weigerung der Juden, dem Kaiser göttliche Verehrung erweisen, bot der nichtjüdischen Bevölkerung Alexandrias willkommene Gelegenheit, ihrem Judenhaß freien Lauf zu lassen. Den äußeren Anlaß zum Beginn der Ausschreitungen gab die Anwesenheit des jüdischen Königs Agrippa I. i. J. 38. Obwohl er nach Filos Versicherung jedes herausfordernde Auftreten vermied, war doch der bloße Anblick eines jüdischen Königs für den Pöbel Alexandrias ein Ärgernis. Agrippa wurde zuerst im Gymnasium mit Spottreden verhöhnt, dann durch Aufführung einer Pantomime lächerlich gemacht: „Es war da in Alexandria ein Verrückter namens Karabas: den griffen sie, setzten ihm statt eines Diadems einen Papyruskranz auf den Kopf, kleideten ihn statt mit einem Purpurmantel mit einer Matte und gaben ihm statt eines Szepters ein Papyrusrohr in die Hand. Nachdem er so, wie in Theaterpossen, die Abzeichen der königlichen Würde empfangen und junge Männer mit Stöcken auf der Schulter sich links und rechts von ihm als seine Leibwache aufgestellt hatten, traten viele an ihn heran, die einen um ihn zu begrüßen, andere um bei ihm Recht zu suchen, wieder andere um mit ihm die öffentlichen Angelegenheiten zu besprechen. Dann ertönte aus der ihn umgebenden Menge der Ruf: Marin (d. i. aramäisch = Herr).“ Der so in Erregung gebrachte Pöbel war aber damit nicht zufrieden: man verlangte, dass in den jüdischen Synagogen Standbilder des Kaisers aufgestellt würden. Der Statthalter Flackus, der schon beim Kaiser in Ungnade stand, wagte nicht zu widersprechen, er ging vielmehr auf alle Forderungen der Judenfeinde ein. Und diese wurden, je nachgiebiger er sich zeigte, desto frecher. Nach einander gestattete Flackus die Aufstellung der Standbilder in den Synagogen, erklärte die Juden durch ein Edikt für Nichtbürger und gestattete schließlich ihre allgemeine Verfolgung. Furchtbare Leiden brachen jetzt über die Juden Alexandrias herein: ihre Häuser und Läden wurden geplündert, sie selbst misshandelt, ermordet, ihre Leichen verstümmelt, andere öffentlich verbrannt, wieder andere durch die Straßen zu Tode geschleift. Die Synagogen wurden teils zerstört, teils durch Aufstellung des Kaiserbildes geschändet. Achtunddreißig Mitglieder der jüdischen Ältestenschaft ließ Flackus gefesselt ins Theater schleppen und hier vor den Augen ihrer Feinde so geißeln, dass ein Teil unter den Geißelhieben starb, andere in Siechtum verfielen. Min Centurio erhielt Befehl, die Häuser der Juden nach Waffen zu durchsuchen. Jüdische Frauen wurden gezwungen, vor der im Theater versammelten Menge Schweinefleisch zu essen. Als sich dann eine Gesandtschaft der Juden unter Filos Führung nach Rom begab, um dem Kaiser eine schriftliche Beschwerde zu überreichen, wurde sie zunächst vom Kaiser hingehalten und schließlich in Gegenwart der gegnerischen Gesandtschaft verhöhnt und mit dem Bescheid entlassen, sie seien mehr törichte als bösartige Menschen, da sie nicht an seine Gottheit glauben wollten.