Verhaftung des Paulus in Jerusalem

Verhaftung des Paulus in Jerusalem

(Apg XXI 10) Als wir schon mehrere Tage bei Filippus waren, kam ein Profet namens Agabus aus Judäa herab, (11) suchte uns auf, nahm Paulus’ Gürtel, band sich damit Füße und Hände und sprach: „So spricht der heilige Geist: Den Mann, dem dieser Gürtel gehört, werden die Juden in Jerusalem also binden und in die Hände der Heiden liefern.“ (12) Als wir das hörten, baten wir und die Einheimischen Paulus, nicht nach Jerusalem hinaufzuziehen. (13) Er aber erwiderte: „Was weint ihr und macht mir das Herz schwer? Ich bin bereit, in Jerusalem für den Namen des Herrn Jesus nicht nur mich binden zu lassen sondern auch zu sterben.“ (14) Da er sich nicht davon abbringen ließ, gaben wir nach und sagten: „Des Herrn Wille geschehe!“ (15) Danach machten wir uns fertig und zogen nach Jerusalem hinauf. (16) Einige Jünger aus Cäsarea begleiteten uns und führten uns zu einem alten Jünger aus Cypern namens Mnason, dessen Gäste wir sein sollten.

(17) In Jerusalem nahmen uns die Brüder freundlich auf. (18) Am folgenden Tage ging Paulus mit uns zu Jakobus[1], wo auch alle Ältesten sind einfanden. (19) Paulus begrüßte sie und berichtete ihnen im einzelnen was Gott unter den Heiden durch seinen Dienst gewirkt hatte. (20) Als sie das hörten, priesen sie Gott, sagten aber: „Du siehst, Bruder, wieviel Tausende unter den Juden hier gläubig geworden sind. Sie alle aber sind Eiferer für das Gesetz. (21) Nun hat man ihnen von dir erzählt, du fordertest alle Juden unter den Heiden auf, von Mose abzufallen, ihre Kinder nicht mehr beschneiden zu lassen und nicht mehr nach dem Gesetz zu leben.[2] (22) Was ist da zu tun? Auf jeden Fall werden sie erfahren daß du gekommen bist. (23) Darum tu was wir dir raten! Vier Männer unter uns haben ein Gelübde auf sich genommen; (24) schließ dich ihnen an, weihe dich mit ihnen und trage für sie die Kosten des Haarscherens[3]! so werden alle erkennen daß nichts Wahres ist an dem was man ihnen über dich berichtet hat, sondern daß auch du das Gesetz beobachtest.“ (26) Da schloß sich Paulus den Männern an, weihte sich mit ihnen am nächsten Tage, ging in den Tempel, meldete das Ende der Weihezeit an und wartete, bis für jeden von ihnen das Opfer dargebracht würde.

(27) Als die sieben Tage fast zu Ende waren, erblickten ihn Juden aus Asien im Tempel[4], ergriffen ihn (28) und schrien: „Zu Hilfe, Israeliten! Dies ist der Mensch der alle Welt gegen unser Volk, unser Gesetz und diese Stätte aufhetzt. Überdies hat er jetzt Heiden in den Tempel geführt und die heilige Stätte entweiht.“ (29) Sie hatten nämlich Trofimus aus Efesus mit ihm zusammen in der Stadt gesehen und meinten, er hätte ihn in den Tempel mitgenommen. (30) Die ganze Stadt geriet in Bewegung und rottete sich zusammen; sie zerrten ihn aus dem Tempel, und sofort wurden die Tore geschlossen[5]. (31) Aber als sie ihn nun töten wollten, wurde dem Tribunen der Kohorte[6] gemeldet, ganz Jerusalem habe sich zusammengerottet. (32) Da eilte er sofort mit seinen Soldaten und Centurionen dorthin. Als die Juden ihn kommen sahen, hörten sie auf, Paulus zu schlagen. (33) Der Tribun ließ ihm zwei Ketten anlegen und fragte, wer er sei und was er getan habe. (34) Da aber in der Menge alle durcheinander schrien und er bei dem Lärms nichts Sicheres erfahren konnte, so befahl er, ihn auf die Burg zu bringen. (35) Als Paulus zu der Treppe gekommen war, mußten ihn die Soldaten tragen wegen des Ansturms der Menge, (36) die mit dem Rufe: „Fort mit ihm!“ nachdrängte. (37) Als man ihn nun in die Burg führen wollte, fragte er den Tribunen: „Darf ich etwas sagen?“ Der antwortete: „Sprichst du griechisch? (38) bist du nicht der Ägypter der neulich einen Aufstand gemacht und viertausend Sikarier in die Wüste geführt hat?“[7] (39) Paulus erwiderte: „Ich bin ein Jude aus Tarsus in Cilicien, Bürger einer nicht unbedeutenden Stadt. Bitte, laß mich zu den Leuten reden!“ (40) Der Tribun gestattete es. Nun trat Paulus auf die Stufen, winkte mit der Hand und hielt, nachdem tiefe Stille eingetreten war, auf hebräisch folgende Ansprache: (XXII 1) „Brüder und Väter, hört was ich zu meiner Verteidigung zu sagen habe!“ (2) Als sie hörten, daß er hebräisch zu ihnen sprach, wurden sie noch ruhiger. (3) „Ich bin ein Jude aus Tarsus in Cilicien, Bürger einer nicht unbedeutenden Stadt. Bitte, laß mich mit den Leuten reden!“ (40) Der Tribun gestattete es.

Nun trat Paulus auf die Stufen, winkte mit der Hand und hielt, nachdem tiefe Stille eingetreten war, auf hebräisch[8] folgende Ansprache: (XXII 1) „Brüder und Väter, hört was ich zu meiner Verteidigung zu sagen habe!“ (2) Als sie hörten daß er hebräisch zu ihnen sprach, wurden sie noch ruhiger. (3) „Ich bin Jude, geboren zu Tarsus in Cicilien, aufgewachsen aber in dieser Stadt und zu Gamaliels[9] Füßen genau unterwiesen im väterlichen Gesetz, ein Eiferer für Gott wie ihr heute. (4) Ich habe die neue Lehre verfolgt bis in den Tod, Männer und Frauen gefesselt und ins Gefängnis geworfen. (5) Das können mir der Hohepriester und die Ältesten bezeugen. Mit Briefen von diesen bin ich sogar nach Damaskus gereist, um auch die dort wohnenden gefesselt zur Bestrafung nach Jerusalem zu bringen. (6) Aber als ich mich schon Damaskus näherte, umzuckte mich plötzlich um Mittag vom Himmel her ein helles Licht. (7) Ich stürzte zu Boden und vernahm eine Stimme, die rief: „Saul Saul, warum verfolgst du mich?“ (8) Ich antwortete: „Wer bist du, Herr?“ Er sprach: „Ich bin Jesus der Nazoräer, den du verfolgst.“ (9) Auch meine Begleiter sahen das Licht, hörten aber nicht die Stimme dessen der mit mir redete. (10) Ich fragte nun: „Was soll ich tun, Herr?“ Da sprach der Herr zu mir: „Steh auf und geh nach Damaskus! dort wird man dir alles sagen was du tun sollst.“ (11) Vom Glanze jenes Lichtes geblendet, konnte ich nicht sehen; so nahmen mich meine Gefährten an der Hand und führten mich nach Damaskus. (12.13) Dort suchte mich ein gesetzestreuer Mann namens Ananias auf, der bei allen Juden dort in bestem Rufe stand, und sprach zu mir: „Bruder Saul, sei wieder sehend!“  Im selben Augenblick sah ich ihn. (14) Er sagte mir: „Der Gott unsrer Väter hat dich erwählt, seinen Willen zu erkennen, den Gerechten zu sehen und seine Stimme zu hören; (15) denn du sollst sein Zeuge sein vor allen Menschen für das was du gesehen und gehört hast. (16) Und nun, was zögerst du? Ruf seinen Namen an, laß dich taufen und wasch ab deine Sünden!“ (17) Als ich dann nach Jerusalem zurückgekehrt war und im Tempel betete, geriet ich in Verzückung (18) und sah ihn. Er sprach zu mir: „Verlaß sofort Jerusalem! denn sie werden dein Zeugnis über mich nicht annehmen.“ (19) Ich erwiderte: „Herr, sie wissen doch daß ich deine Gläubigen ins Gefängnis werfen und in den Synagogen schlagen ließ (20) und, als man das Blut deines Zeugen Stefanus vergoß, wohlgefällig dabei stand und die Kleider seiner Mörder verwahrte.“ (21) Doch sprach er: „Geh! ich will dich in die Ferne zu den Heiden senden.“

(22) Bis hierher hatten sie ihn angehört; nun aber schrien sie: „Fort mit ihm von der Erde! er darf nicht länger leben.“ (23) Als sie so schrien, ihre Mäntel abwarfen und Staub in die Luft schleuderten, (24) ließ der Tribun ihn in die Burg führen und befahl, ihn unter Geißelhieben zu verhören, um herauszubringen, weshalb sie so gegen ihn tobten. (25) Schon hatten sie ihn für die Geißelung ausgestreckt, da rief er dem dabei stehnden Centurio zu: „Dürft ihr einen Römer, noch dazu ohne Urteil, geißeln?“ (26) Der Centurio meldete das dem Tribunen. (27) Da kam dieser und fragte ihn: „Bist du wirklich ein Römer?“ Er antwortete: „Ja.“ (28) Der Tribun sagte: „Ich habe dies Bürgerrecht für teures Geld erworben.“ Paulus erwiderte: „Ich bin als römischer Bürger geboren.“ (29) Sofort ließen die, die ihn verhören wollten, von ihm ab. Der Tribun aber bekam einen Schrecken, als er hörte daß der, den er hatte fesseln lassen, ein römischer Bürger war.

(30) Um sicher zu erfahren was die Juden ihm zur Last legten, berief der Tribun am nächsten Tage die Hohenpriester und den Hohen Rat, ließ Paulus hinabführen und stellte ihn vor sie. (XXIII 1) Unerschrocken sah Paulus den Hohen Rat an und sprach: „Brüder, ich bin mit bestem Gewissen bis zum heutigen Tage vor Gott gewandelt.“ (2) Da befahl der Hohepriester Ananias den um ihn Stehnden, ihn auf den Mund zu schlagen. (3) Paulus aber sagte zu ihm: „Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand! Du sitzt da, um mich nach dem Gesetz zu richten, und läßt mich schlagen dem Gesetz zuwider?“ (4) Da sagten die Umstehnden: „Du schmähst den Hohenpriester Gottes?“ (5) Paulus erwiderte: „Ich wußte nicht, Brüder, daß er der Hohepriester ist.“ (6) Da er aber wußte daß ein Teil des Hohen Rates aus Sadducäern, der andre aus Farisäern bestand, so rief er: „Brüder, ich bin Farisäer und Farisäersohn; der Hoffnung und der Totenauferstehung wegen steh ich vor Gericht.“ (7) Sofort brach zwischen den Farisäern und Sadducäern Streit aus, und die Versammlung spaltete sich. (8) Denn die Sadducäer sagen, es gebe keine Auferstehung, auch keine Engel oder Geister; die Farisäer aber bekennen sich zu beidem.[10] (9) Es gab ein großes Geschrei; und einige Schriftgelehrte der Farisäerpartei erklärten: „Wir haben an diesem Manne nichts auszusetzen; vielleicht hat ein Geist oder Engel mit ihm gesprochen.“ (10) Als der Streit immer heftiger wurde, fürchtete der Tribun, sie könnten Paulus in Stücke reißen. Er ließ daher die Wache kommen und ihn mit Gewalt aus ihrer Mitte holen und wieder in die Burg führen.

(11) In der folgenden Nacht aber erschien ihm der Herr und sprach: „Sei guten Muts! wie du in Jerusalem für mich Zeugnis abgelegt hast, so sollst du auch in Rom mein Zeuge sein.“

Erklärungen

[1] Vgl. Kapitel „Apostelkonzil“, Fußnote 3!

[2] Mit allem Nachdruck hat Paulus die Freiheit der Heidenchristen vom Mosaischen Gesetz gefordert. Aber dass er die Juden der Diaspora zum Abfall davon aufgefordert habe, wird böswillige Erfindung oder mindestens Übertreibung sein. Vgl. Kapitel „Zweite Missionsreise des Paulus“, Fußnote 1!

[3] Es handelt sich um ein Nasirgelübde (4. Mose VI 13 ff.), während dessen Dauer man das Haar wachsen ließ, das dann nach Ablauf der Weihezeit und nach Darbringung eines beträchtlichen Opfers (zwei Lämmer, ein Ziegenbock usw.) von einem Priester geschoren wurde.

[4] Gemeint ist hier der innere Vorhof  des Tempels, dessen Betreten Nichtjuden bei Todesstrafe verboten war (vgl. Josefus Krieg V 5).

[5] Damit der heilige Bezirk nicht durch Blutvergießen entweiht würde.

[6] Die ständige römische Besatzung Jerusalems bestand aus einer von einem Tribunen befehligten Kohorte (500 oder 1000 Mann), der eine Reiterabteilung beigegeben war; sie lag in der an der Nordwestecke des Tempelbezirks errichteten Burg Antonia, die durch zwei Treppen mit dem äußeren Vorhof des Tempels in Verbindung stand.

[7] Vgl. Josefus Altertümer XX 8 !

[8] Aramäisch.

[9] Vgl. V 34!

[10] Vgl. Josefus Altertümer XVII 13 !