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Die Manns

Geschichte einer Familie

Von Tilmann Lahme


Dieter Kaltwasser schrieb uns am 20.01.2017
Thema: Tilmann Lahme: Die Manns

Und immer wieder Neues
Über Tilmann Lahmes brillante Geschichte der Manns
Einige werden sich fragen: Warum und zu welchem Zwecke noch eine weitere Familiengeschichte der Manns? Sind nicht in den letzten vierzig Jahren genügend Porträts über sie erschienen? Es muss wirklich gute Gründe dafür geben, warum der Leser sein Interesse auch auf diese neue Familienbiographie richten soll.
Lahme nimmt dabei eine distanzierte, zuweilen ironische Beobachterposition ein, die gerade bei dieser viel zu oft idealisierten Familie vonnöten ist. Er beschäftigt sich seit Jahren mit den Manns und hat 2009 eine hochgelobte Golo-Mann-Biographie publiziert. Für das vorliegende Buch hat er die gesamte, in vielen Teilen unbekannte Familienkorrespondenz der Manns gesichtet. Darüber hinaus hat er Notizen und Tagebücher ausgewertet und stellt uns eine profund geschriebene Familiengeschichte vor, die wir so noch nicht kannten. Lahmes Chronik beginnt in den frühen 1920er Jahren und endet am 8. Februar 2002 mit dem Tode Elisabeth Mann Borgeses, der jüngsten Tochter. Aus acht Blickwinkeln der einzelnen Mitglieder wird die Familienkonstellation gespiegelt und in die Geschichte der Familie chronologisch eingewoben. Neues erfährt man vor allem von den Kindern, sodass wir achtzig Jahre lang an den Schicksalen der gesegneten wie auch geplagten Familie teilnehmen. Thomas Mann lässt Goethe in seinem Roman „Lotte in Weimar“ das von Nietzsche vermittelte chinesische Sprichwort zitieren: "Der große Mann ist ein öffentliches Unglück". Damit charakterisiert er nicht nur Goethe, sondern sich selbst und seine fatalen Wirkungen aufs Trefflichste.
Thomas Manns Werk überragte zu seinen Lebzeiten das der Konkurrenz – und es beherrschte sein Familienleben. Katia Mann hielt ihrem Ehemann, im Kreise der „amazing family“ der „Zauberer“ genannt, den Rücken frei, so dass er sich in Ruhe seinem literarischen Werk widmen konnte, zu seinem Wohle und dem seiner Kinder, denn einige von ihnen blieben lange von den finanziellen Zuwendungen des Vaters abhängig.
Das Zentralgestirn der Familie überstrahlt naturgemäß alle anderen. „Er siegt, wo er hinkommt,“ schreibt sein Sohn Klaus voller Bitterkeit in sein Tagebuch, als die Familie vor dem „Dritten Reich“ in die USA flieht. Klaus Mann wollte selbst ein erfolgreicher Schriftsteller werden, und muss sich doch nur immer am übergroßen Maß seines Vaters messen lassen, dessen Imitat er immer bleiben wird. Andererseits werden die Kabarett-Auftritte von Erika und Klaus, vor allem in Amerika, immer als die der Kinder des „größten lebenden Schriftstellers“ beworben, ein Segen und Fluch zugleich.
Klaus nimmt sich 42jährig in Cannes das Leben. Zwei Jahrzehnte extensiver Drogenkonsum haben seinen Organismus zermürbt. "Er hätte es ihnen (Erika und Katia) nicht antun dürfen", notiert Thomas Mann eisig in seinem Tagebuch. Wie erfolgreich kann man denn überhaupt noch werden, wenn der eigene Vater Nobelpreisträger ist? So stellt sich die Frage für die sechs Kinder Erika, Klaus, Golo, Monika, Elisabeth und Michael. Die älteste Tochter Erika ist die große Stütze des „Zauberers“, der lange Zeit leider auch zauderte, und sich erst nach jahrelangem Drängen der Familie – vor allem von Klaus, Erika und Golo - zum Exil bekennt. Davon abgesehen würde es Golo Mann schon ausreichen, wenn man ihn mit seiner Familie in Ruhe ließe. Die Mutter zweifelt, ob Historiker zu sein (wie Golo) schon ein anständiger Beruf sei. Reicht es aus ein hochbegabter Violinist und Bratschist zu sein (wie Michael)? Später erfolgt dann ein vollständiger beruflicher Bruch bei ihm. Er wird Professor für Germanistik, stirbt mit siebenundfünfzig Jahren an einer Alkohol- und Schlafmittelvergiftung. Die mittlere Tochter Monika, auch „Mondkalb“ genannt, wurde von der ganzen Familie abgelehnt. Das „Mönchen“ sei so nutzlos wie die Ziervasen der Urgroßmutter, sagt die schrecklich nette Schwester Erika über sie.
Von familiären Abgründen und Weltliteratur, vom Kampf gegen Hitler und politischen Fehlern der Familie wird erzählt, vom persönlichem Unglück der Kinder, von Liebe und Eifersucht, von der Drogensucht Einzelner ist die Rede, vom Glanz und Erfolg der „amazing family“ und der Legende von der harmonischen Familie, die der „Zauberer“ höchstselbst der Welt aufgetischt hat. Die Geschichte der Familie Mann, die sich heldenhaft dem Nationalsozialismus in den Weg gestellt hat, ist nur die eine Seite der Medaille; der Preis, den jeder Einzelne aus der Familie dafür entrichtet hat, ist hoch. Auch über die Finanzen der Manns weiß der Biograph genauestens Bescheid. Als Thomas Mann im August 1955 stirbt, hinterlässt er fünf Kinder in materieller Sicherheit.  
Tilmann Lahme hat ein aussergewöhnliches, ironisch distanziertes, stilistisch bestechendes und brillantes Familienportrait verfasst, das uns die Manns in einem neuen, anderen, klareren Licht sehen lässt. Es wird Bestand haben in der Literatur über Thomas Mann und die Seinen.
Tilmann Lahme: Die Manns. Geschichte einer Familie, S. Fischer 2015, 480 Seiten, 24,99 EUR, ISBN: 978-3-10-043209-4

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