Rezensionen von Online-Abonnenten zum Buch

Informationen zu dem Forum

Das Floß der Medusa

Roman

Von Franzobel

Neue Rezension zum Buch veröffentlichen (nur für Online-Abonnenten)

Karl-Josef Müller schrieb uns am 16.03.2018
Thema: Franzobel: Das Floß der Medusa - Der Jude hat Verstopfung

Der Jude hat Verstopfung


Der Roman „Das Floß der Medusa“ des österreichischen Schriftstellers Franzobel war nominiert für den Deutschen Buchpreis 2017 und hatte es in die Endauswahl, die sogenannte ‚Shortlist‘ der sechs besten Bücher, geschafft. Bereits im August wurde dem Autor der Nicolas-Born-Preis des Landes Niedersachsen verliehen, nicht zuletzt als Anerkennung für „Das Floß der Medusa“. Dabei spielt Franzobel in diesem Roman ohne Bedenken mit antisemitischen Klischees.


Gewalt, Ekel und Sex, häufig kaum voneinander zu trennen, kennzeichnen die Atmosphäre in Franzobels Roman „Das Floß der Medusa“. Ordinär soll und muss es zugehen, kaum eine Zote, und sei sie noch so abgegriffen, wird vermieden: „Außerdem gab es eine Kompassrose um den Nabel oder einen flötenspielenden Fakir – man kann sich denken, welche Schlange der zum Stehen brachte. (…) Da kam Maiwetter, Jean-Pierre, schwuler Name, und bat um eine vertrauliche Unterredung.“
Kimmelblatt, einer der Soldaten auf der Medusa, hat Verstopfung. Alle Mittel, das Leiden zu beheben, sind gescheitert. „Dann hilft nur ein Klistier, verkündete Savigny.“ Savigny ist Schiffsarzt auf der Medusa und einer der beiden Autoren des dokumentarischen Romans „Der Schiffbruch der Fregatte Medusa“. Franzobels Roman basiert auf diesem zeitgenössischen Text aus dem Jahr 1817, das Geschehen selbst ereignete sich im Sommer des Jahres 1816.
„Gepfählt, von der eigenen Scheiße aufgespießt.“ So beschreibt Franzobel den körperlichen Zustand von Menachim Kimmelblatt kurz vor der Verabreichung des Klistiers. Um anschließend, geradezu genüsslich, seinen Lesern das Ergebnis zu präsentieren: „Dann hörte man ein Glucksen in diesem aufgeblähten Leib, der wie ein Vulkan kurz vorm Ausbruch stand, und wenig später, kein Geräusch, doch der Körper explodierte wie der indonesische Vulkan Tambora, schoss eine braune Fontäne aus ihm heraus, spuckte dieser kleine muskulöse Hintern eine jaucheartige mit Brocken angereicherte Flüssigkeit, ein Fäkalgeysir, um eine Klimakatastrophe anzurichten.“
Doch Kimmelblatt ist nicht nur Soldat, sondern vor allen Dingen Jude: „Der Jude Kimmelblatt trug einen roten Fez und erzählte Witze“. Sein Jiddisch klingt wie die Verballhornung dieser Sprache: „‘Ist der Jiddn Kimmelblatt meschugge! Auf diesen Tinnef geht er nicht. Floß? Das ist nicht koscher! Das ist trefe!‘“
Neben Kimmelblatt lässt der österreichische Autor einen weiteren Juden auftreten. Anders als im Falle Menachim Kimmelblatt, handelt  es sich bei der Romanfigur Kummer um einen historisch verbürgten Passagier der Medusa, der in dem dokumentarischen Roman von Savigny und Corréard in seiner Eigenschaft als Naturforscher mehrfach erwähnt wird. Von einer jüdischen Herkunft des Forschers ist nicht die Rede, keine einziger Passagier der Medusa wird als Jude bezeichnet.
Franzobel hingegen unterstreicht die jüdischen Rassemerkmale des Forschers:  „Der bärtige Wissenschaftler hatte eine lustige Nase und eine sanfte Stimme. Die Karikatur eines Juden, nur dass er nicht mehr an die Thora glaubte, keine Gebetsschnüre um die Hüfte und auch keinen Schtreimel trug, sich um den Sabbat wenig scherte, stattdessen an die Wissenschaft glaubte, an Fakten und nicht an das Goldene Tor in Jerusalem.“ Kummer erscheint als Klischee des assimilierten Juden, bei Franzobel muss dieses „Mitglied der Philanthropischen Gesellschaft von Kap Verde“, eine Äquatortaufe über sich ergehen lassen. Dieses Ereignis schildern J.B. Heinrich Savigny und Alexander Corréard in ihrem dokumentarischen Roman in wenigen Worten: „Während wir das Kap-Barbas umsegelten, sah Herr von Chaumareys mit sorgloser Gutmütigkeit der Wendekreisposse zu“. Die beiläufige Beobachtung der Augenzeugen nimmt Franzobel zum Anlass, Kummer einem zutiefst demütigenden und schmerzhaften Ritual zu unterziehen. Dem Wissenschaftler werden Haare und Bart geschoren, außerdem muss er den Rüssel eines geschlachteten Schweines küssen.
Die antisemitischen Hintergründe dieses Rituals sind offensichtlich, auch vor 76 Jahren bedienten sich Soldaten der deutschen Wehrmacht der Schere, um die jüdische Bevölkerung zu demütigen. Mehrere Fotos der „Propagandakompanien der Wehrmacht - Heer und Luftwaffe“, zugänglich auf der Internetseite des Bundesarchivs Koblenz, tragen den Titel „Sowjetunion, Ukraine.- Deutsche Soldaten beim Abschneiden des Bartes eines alten jüdischen Mannes (Rasur)“. In einer Bilderfolge zeigen die Fotos vom Juli 1941 die Demütigung eines Mannes, dem Kopfhaar und Bart abgeschnitten werden, umringt von den grinsenden Gesichter deutscher Soldaten.
Franzobel schildert Kummer nicht als orthodoxen Juden, für den die Rasur von Haupt- und Barthaar oder die Taufe mehr als nur eine tiefe Kränkung bedeuten würden. Allerdings wird Kummer auch in dieser Szene vom Autor explizit als Jude kenntlich gemacht: „Als man ihm jedoch die Hose hinunterzog und Mama Neptun, ein mit üppigem Busen ausgestopfter Matrose, seinen beschnittenen Penis lobte, ‚da hat sich der Rabbi angestrengt‘, ihm dann aber an die Nüsse fasste und zukniff, fest wie ein Nussknacker, so dass dem armen Kummer der stechende Schmerz bis unter die Zähne, nein, weiter, bis in den Schädel fuhr, verging es ihm.“ Erneut weidet sich Franzobel am Leid seiner Figur, das Mitleid mit „dem armen Kummer“ klingt hämisch.
Muss noch darauf hingewiesen werden, was die erzwungene Taufe für einen gläubigen Juden bedeutet und welchen historischen Hintergrund Franzobel damit ins Bild rückt?
Den Höhepunkt der Geschmacklosigkeit erreicht der österreichische Autor mit einem Vergleich zwischen der Schlachtung des Schweines, dessen Rüssel Kummer anschließend küssen muss, und der sich lösenden Verstopfung von Menachim Kimmelblatt: „Während ihn die Schweinsäuglein entsetzt anstarrten, der mächtige Allesfresserkörper zuckte und die paarhufigen Beine zitterten wie bei einem Stromschlag, schoss (ähnlich dem Kimmelblatt‘schen Fäkalgeysir) ein Schwall Blut in die Schüssel.“

„eine Parabel auf menschliche Schwäche und Gewaltbereitschaft“
Franzobel bevorzugt das Teleobjektiv. Er rückt seinen Figuren so nah wie irgend möglich, er folgt ihnen, wenn sie ihre Notdurft verrichten, er weiß, was sie denken und was in ihnen vorgeht. Er ist ein wahrlich allwissender Erzähler, der seinen Lesern suggeriert, mit der Lektüre zum Augenzeugen eines historischen Geschehens zu werden.
Eines Geschehens, das sich einreiht in die Abfolge der „großen Katastrophen“, die „oft im Verborgenen“ geschehen, so Franzobel in seinem Roman. Und weiter: „Wie bei den Konzentrationslagern, Völkermorden, Foltergefängnissen oder Tragödien um die Flüchtlingsschiffe im Mittelmeer bekam die Öffentlichkeit auch vom Unglück der Fregatte Medusa zunächst nichts mit.“ Franzobel spannt einen Bogen vom systematischen und industriell betriebenen Massenmord an den europäischen Juden über die Völkermorde allgemein bis hin zu den Flüchtlingsschiffen auf dem Mittelmeer. Hier wird nebeneinandergestellt, was streng voneinander zu unterscheiden wäre.
Die Rezensentin Mareike Ilsemann argumentiert in gleicher Weise:  „Die Kunst inszeniert Grauen oder rekonstruiert es nachträglich. Auf dem Floß der Medusa war es Realität. So wie auch in Konzentrationslagern, Foltergefängnissen und bei Völkermorden, auf die der Erzähler verweist. Franzobels ‚Floß der Medusa‘ ist ein Meisterwerk, das uns mit der unbequemen Wahrheit konfrontiert: Unter bestimmten Bedingungen ist die Spezies Mensch zu allem fähig.“ Dem Roman von Franzobel wird bescheinigt, er liefere eine wahrheitsgemäße Schilderung dessen, was sich zunächst auf den Schiffen und später dann auf dem Floß zugetragen hat. Und auch Ilsemann sieht kein Problem darin, die Konzentrationslager, Völkermorde und Foltergefängnisse quasi gleichberechtigt nebeneinander zu stellen.
„Der Autor bedient sich eines rustikalen, teilweise sehr derben Stils, der im ersten Moment abstoßend wirkt. Aber er demonstriert mit diesem Jargon lediglich, wie brutal und rau es unter den Matrosen und Soldaten zuging.“ Wie Ulf Heise, betonen die meisten Rezensenten des Romans dessen Realismus, der ja nur zeige, „wie brutal und rau es unter Matrosen und Soldaten zuging“. Genau dieser Realismus, der einher geht mit dem Versprechen, hier werde die Wirklichkeit auf dem Floß geschildert, führt zu der Frage, warum Franzobel die beiden jüdischen Figuren auftreten lässt.
Die überwiegend positiven Besprechungen des Romans verwechseln das bloß Gemachte des Romans mit der Wirklichkeit dessen, was sich historisch zugetragen hat. Und selbst eine der wenigen kritischen Stimmen verkennt den Unterschied zwischen Fiktion und Realität: „Nahe an Trash- und Splatter-Elementen, schwelgt Franzobel geradezu in amputierten Gliedern, abgeschlagenen Köpfen, schwärenden Wunden oder Körperflüssigkeiten aller Art, in Wahnsinn, Raserei und Selbstmord. Gnadenlos zeigt er den Verfall des Menschlichen, den Kampf ums Überleben bis zum Allerletzten.“ Zunächst betont Karsten Herrmann völlig zu Recht die Schwächen des Romans, um dann doch zu behaupten, das Machwerk zeige „den Verfall des Menschlichen, den Kampf ums Überleben bis zum Allerletzten.“ Seinem Fazit wiederum kann man nur zustimmen: „Doch bleiben seine Charaktere weitgehend plakativ, und mit zunehmender Länge überstrapaziert er sein Theater der Grausamkeit. So läuft sich das ‚Floß der Medusa‘ in der schier endlosen Wiederholung des Provokanten und Schockanten tot und bietet kaum Zwischentöne.“ Besser lassen sich die Defizite des Romans kaum benennen. Franzobel will dem Leser eine Augenzeugenschaft suggerieren, die doch nur auf dem Prinzip der grenzenlosen Überbietung basiert. Was sein Roman zeigt, sind seine, des Autors, Phantasien. An keiner Stelle reflektiert der Text den unvermeidlichen Abstand zwischen den historischen Geschehnissen selbst und dem nachträglichen Versuch, diese im Bild wie Théodore Géricault oder in einem dokumentarischen Roman wie die Autoren und Augenzeugen Corréard und Savigny darzustellen.
Der Versuch einer Annäherung an das Geschehen wird ersetzt durch einen Voyeurismus, der sich die Objekte seiner Begierde selbst erschafft. Die beiden jüdischen Figuren Kimmelblatt und Kummer verkörpern dieses Verfahren besonders deutlich.  
In seinem Text „Über Zwang und Unmöglichkeit, Jude zu sein“ spricht Jean Améry davon, dass er sich selbst nie als Jude gefühlt oder definiert hat. Zum Juden gestempelt wird er trotzdem und gegen seinen Willen: „Die Gesellschaft, sinnfällig im nationalsozialistischen deutschen Staat (…) hatte mich soeben in aller Form um mit aller Deutlichkeit zum Juden gemacht“. Man könne sich zu seinem Judentum bekennen, zur jüdischen Religion oder Kultur, so Améry, etwas anderes hingegen sei es, „durch den Antisemiten (...) in eine Situation gedrängt“ zu werden, „in der er sich das Bild seiner selbst vom Feinde habe aufdrängen lassen.“ Améry zitiert hier zustimmend Jean Paul Sartre.
Untrennbar verbunden ist diese Fremdzuweisung seiner selbst als Jude mit dem Entzug der Würde, so Jean Améry. Denn erst nachdem der nationalsozialistische Staat in den Nürnberger Gesetzen definiert hatte, wer, Jude sei, konnte die Entrechtung, Entwürdigung und schließlich Vernichtung der Menschen beginnen, die der damalige deutsche Staat und große Teile der deutschen Bevölkerung als Juden definiert hatte.
In seinem Roman beraubt Franzobel zwei Figuren auf besonders drastische Art und Weise ihrer Würde, beide, sowohl der erfundene Kimmelblatt als auch der historisch verbürgte Kummer, sind Juden. Nein, sie sind nicht Juden, Franzobel ist es, der sich, aus welchen Beweggründen auch immer, dafür entscheidet, diese beiden Figuren wiederholt als Juden zu bezeichnen. Er macht sie zu Juden, vor ihm, dem allwissenden Erzähler, können sie ihre wahre Identität, nämlich Jude zu sein, nicht verbergen. Kummer kann sich noch so sehr als Freigeist gerieren, seine Physiognomie zeigt deutlich, wer er ist, nämlich ein Jude.
Was auf Kummer zutrifft, gilt auch für Kimmelblatt. Dieser muss auf einem französischen Schiff unter Franzosen ein verballhorntes Jiddisch sprechen, das nicht dazu dient, ihm eine eigene kulturelle Identität und Würde zuzuschreiben. Das Jiddisch, das Franzobel seinem Kimmelblatt in den Mund legt, dient einzig und allein dazu, ihn zu karikieren und so zum typischen Muster eines Juden zu degradieren.
Bleibt die Frage nach Franzobels Beweggründen für seine Entscheidung für Kimmelblatt und Kummer. Vielleicht gibt es darauf keine Antwort, aber möglicherweise gilt für die beiden Romanfiguren, was Ernst Gombrich über seine jüdische Herkunft gesagt hat: „Wenn es nach dem geht, was vielleicht fromme Juden einen Juden nennen würden, wäre ich kein Jude. Aber wenn man heute gefragt wird, sagt man selbstverständlich: Ja, ich bin Jude. Die richtige Antwort wäre: Ich bin das, was der Hitler einen Juden genannt hat. Das bin ich.“
Ersveröffentlichung in: hagalil, 30. Oktober 2017 http://www.hagalil.com/2017/10/franzobel/

Aufrufe: 211




Bories vom Berg schrieb uns am 22.02.2022
Thema: Franzobel: Das Floß der Medusa

Mich fragt ja niemand

«Der Mensch ist zu allem fähig», so das nicht gerade verblüffende Fazit von Franzobels neuem Roman «Das Floß der Medusa». Franz Stefan Griebl, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, hat damit ein Kabinettstück geschaffen innerhalb seines breit gefächerten literarischen Œuvres, er thematisiert eine seit zweihundert Jahren weitgehend ignorierte Schiffskatastrophe, die in ihrer verstörenden Ungeheuerlichkeit ihresgleichen sucht. Der österreichische Autor hat die als Handlungsgerüst dienenden historischen Fakten fiktional sehr originell ergänzt und dabei allzu Splatterhaftes geschickt vermieden, seine nautische Geschichte hat mich streckenweise eher an «Der Seewolf» und Ähnliches erinnert, nicht an Horror. Es ist sein überbordendes Erzähltalent, das den dafür empfänglichen Leser derart in Bann zieht, dass er die viehischen und am Ende sogar kannibalischen Szenen als ganz normal empfindet innerhalb der spannenden Geschichte. Spannend deshalb, weil man zwar weiß, wie es ausgeht, aber nicht, wie genau es denn dazu gekommen ist. Und mit seinem Figurenensemble gibt er der Historie ein Gesicht, personifiziert er das unglaubliche Geschehen und schafft damit reichlich Raum für Emotionen.

1816 war die französische Fregatte «Medusa» mit 400 Menschen an Bord auf eine Sandbank gelaufen. Das Schiff musste aufgegeben werden, die vorhandenen Rettungsboote reichten nicht aus für alle Passagiere und die Mannschaft, 147 Menschen konnten sich nur auf ein aus Holzteilen der Fregatte gebautes Floß retten, das aber wegen der Meeresströmung nicht wie geplant in Schlepp genommen werden konnte, man überließ es schließlich kurzerhand seinem Schicksal. Nur 15 Schiffbrüchige hatten überlebt, als das manövrierunfähige Floß nach 13 Tagen gefunden wurde, und von denen starben bald darauf dann noch mal fünf.

Mit viel Recherchearbeit hat der Autor das tragische Geschehen detailliert und plausibel beschrieben, es dramaturgisch überformt und seinen oft grotesken Figuren Leben eingehaucht, wobei er ebenso kreativ wie nonchalant Anleihen beim Film nimmt und einzelne seiner Charaktere mit Schauspielern wie Alain Delon oder Lino Ventura typisiert. Oft hat er für mein Empfinden allerdings zu dick aufgetragen, denn bis auf einige Wenige ist sein Personal weder physisch noch psychisch als Sympathieträger angelegt. Es sind zumeist rohe, gemeine, gefühllose, rabiate Mannsbilder, die auch körperlich abstoßend wirken, die hässlich sind mit allerlei Handicaps. Was übrigens auch für die wenigen Frauen an Bord gilt, denn selbst die wunderschöne Tochter des Gouverneurs ist durch ein großes Feuermal im Gesicht abstoßend entstellt.

Franzobel entlarvt mit viel Gespür für das Skurrile lächerliche Hierarchien, barbarische Rituale der christlichen Seefahrt, rücksichtslose politische Ränkespiele, groteskes Unvermögen, er weist auf menschliches Elend hin, vor allem aber auf den rasanten moralischen Verfall in existentiellen Ausnahmesituationen. In seiner monströsen Geschichte erzählt er, wie seine Schiffbrüchigen den eigenen Urin trinken, gierig das Fleisch der täglich neu anfallenden Leichen verschlingen, ohne Skrupel Schwache und Verletzte umbringen, die kaum eine Überlebenschance haben, um dadurch selbst mit den wenigen Vorräten noch so lange leben zu können, bis womöglich Rettung kommt. All das ist temporeich erzählt, mit ständigen Perspektivwechseln, direkter und erlebter Rede, kursiv gesetzten Bewusstseinsströmen, Geisterreden und kassandrahaft mystischem Raunen der Fregatte selbst. «Nichts für frankophile, Rotwein trinkende, Käse degustierende Modefuzzis» schreibt Franzobel im einleitenden Kapitel über seine potentiellen Leser. Zugegeben, ich hätte den Roman seiner Thematik wegen bestimmt nicht gelesen, wäre er nicht unter den Buchpreis-Finalisten, die ich mir nun mal vorgenommen hatte, alle zu lesen. Und siehe da, jetzt nach der Lektüre dieser sechs Romane würde ich Franzobel den Preis zuerkennen und nicht Robert Menasse, - aber mich fragt ja niemand!

Fazit: erfreulich
Meine Website: http://ortaia.de

Aufrufe: 124




Neue Rezension zum Buch veröffentlichen (nur für Online-Abonnenten)