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Spitzentitel

Von Antonio Manzini


Bories vom Berg schrieb uns am 01.03.2022
Thema: Antonio Manzini: Spitzentitel

Nestbeschmutzer

Mit «Spitzentitel» weist der italienische Schriftsteller Antonio Manzini in seiner gleichnamigen Novelle auf ein in der Branche beliebtes Schlagwort hin, das den Verlagen in ihrer Werbung für Neuerscheinungen dazu dient, ein Buch schon vor seinem Erscheinen hochzupushen. Dabei stehen jeweils die Starautoren im Fokus, Schriftsteller also, die eine Art Markenstatus besitzen aufgrund ihres Renommees und der bisherigen Verkaufserfolge, ihre Bücher selbst rücken dadurch immer mehr in den Hintergrund. Sie werden zu Bestsellern allein durch den Namen des Autors, egal wie es um ihre literarische Qualität bestellt ist. Der Fachhandel spricht von ‹Selbstläufern›, Bücher also, die problemlos ohne verkäuferisches Zutun über die Theke gehen.

Ein solcher Bestsellerautor ist der italienische Schriftsteller Giorgio Volpe, einer der bedeutendsten Autoren seines Lande, der nach zweieinhalb Jahren harter Arbeit das Wort ‹Ende› unter sein achthundertseitiges Manuskript schreibt. Es ist die Geschichte seiner Familie, und er schätzt, «dass ihn dieses Buch entweder ins Grab bringen oder heiligsprechen würde». Er hat niemanden in sein neues Buch schauen lassen, nicht einmal seinen Freund Maurizio, der «ein ebenso beeindruckender Listenerklimmer und Preiseinheimser war wie er selbst». Auch seiner Lektorin beim größten Verlag des Landes hat er keinen Einblick gewährt, obwohl sie schon seit fünfundzwanzig Jahren mit ihm bestens zusammenarbeitet. Er überrascht sie also am nächsten Morgen damit, dass sein neues Buch fertig ist, und schickt es ihr als PDF-Datei. In den Nachrichten ist die Fusion der drei größten Verlage Italiens das Hauptthema, Giorgio aber packt seine Koffer, um endlich mal eine Woche Urlaub mit seiner Frau zu machen, - das Handy bleibt ausgeschaltet, hat er ihr versprochen. Als er zurückkommt, beglückwünscht ihn seine Lektorin telefonisch, sein Buch sei ein Meisterwerk, das sie in zwei Tagen ausgelesen habe. Frohgemut fährt er nach Mailand zu einem Treffen beim Verlag, wo ihn der Big Boss und alle an der Veröffentlichung beteiligten Mitarbeiter als ihren wichtigsten Autor feiern.

Statt seiner Lektorin, die für drei Tage zu ihm kommen wollte, um an letzten Feinheiten des Romans zu feilen, suchen ihn zwei merkwürdige Typen auf. Sie seien in dem neu entstandenen Großverlag nun für ihn zuständig und wollen die erforderlichen Korrekturen mit ihm besprechen, - einer der beiden ist Russe und beherrscht kaum die Landessprache. Es wehe nun ein neuer Wind in dem Großverlag, erklären sie ihm ungerührt. Zum Beispiel würde Tolstois «Krieg und Frieden», um die ja nur negativen Kriegsszenen gekürzt, unter dem Titel «Frieden» neu herausgebracht, «Oblomow» ist in der neuen Fassung ein umtriebiger Unternehmer, und «Anna Karenina» landet nicht vor dem Zug. Die Neuübersetzung von Alessandro Manzonis berühmtem Roman «Die Verlobten» würde radikal modernisiert in einem massentauglichen Neusprech erscheinen, und aus dem «Zauberberg» würde alles gestrichen, was mit Tuberkulose zu tun hat und nur die Stimmung vermiest. Giorgio Volpe fühlt sich, als sei er ein Opfer der TV-Sendung «Versteckte Kamera».

Diese dystopische Satire auf die Buchbranche weist mit ihren scharfen Seitenhieben auf das radikal profitorientierte Marketing der Konzerne einen erschreckend hohen Realitätsgehalt auf, auch wenn sie zum Teil so grob überzeichnet ist, dass sie ins Lächerliche abgleitet. Gleichwohl stimmt es, dass Autoren letztendlich, wie hier in dieser amüsanten Novelle, gute Miene zum bösen Spiel machen müssen, die heraufbeschworene Banalisierung ist längst bittere Realität geworden. Der Roman übrigens, den der tragische Protagonist geschrieben hat, trägt den bezeichnenden Titel «Am Rande des Abgrunds», und so fühlt sich sein gedemütigter Autor auch. Gott sei dank aber gibt es heute und in der Realität noch engagierte Verlage, die ein amüsantes Buch wie dieses frei von Bestsellererwartungen herausbringen, ganz ohne Angst, als Nestbeschmutzer zu gelten.

Fazit: lesenswert
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