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Leere Herzen

Roman

Von Juli Zeh

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Karsten Herrmann schrieb uns am 04.02.2018
Thema: Juli Zeh: Leere Herzen

Agonie der Demokratie

Mit „Unterleuten“ hat Julie Zeh im vergangenen Jahr ein großes gesellschaftliches Kaleidoskop der deutschen Nachwende-Gesellschaft vorgelegt und dabei auf gelungene Weise die Befindlichkeiten einer Epoche eingefangen. In „Leere Herzen“ projiziert die immer wieder auch politisch aktive Schriftstellerin unsere Gesellschaft nun in eine vielleicht gar nicht so ferne Zukunft hinein, in der die Werte verfallen und unsere Demokratie auf dem Spiel steht.

Im Zentrum des Romans stehen Britta Söldner – ein sprechender Nachname – und ihr Geschäftspartner Babak Hamwi. Ihre Firma „Die Brücke“ therapiert offiziell potenzielle Selbstmörder, die der Superrechner „Lassie“ mit komplizierten Algorithmen aus dem Netz fischt. Die hoffnungslosen Fälle vermittelt die Firma im Hintergrund an terroristische Vereinigungen aller Art für medienwirksame und dosiert geregelte Selbstmordanschlägen. Der Terror als Dienstleitung.

Privat lebt Britta Söldner mit ihrem Mann, einem Start up-Unternehmer und ihrer Tochter in einem gesichtslosen und blitzsauberen Reihenhaus in Braunschweig, denn die Großstadt ist out, die Provinz „kein Heilmittel für den abgerockten Metropolenwahn“ und dem 21. Jahrhundert entsprechen jetzt aufgeräumte Mittelstädte.

Brittas Familie und ihre Freunde, die sich zum frühen Essen und Prosecco trinken treffen, leben in einer Zeit der „Leeren Herzen“, in der keine Werte, Träume oder Utopien mehr Orientierung geben: „Die Wahrheit ist, dass seit vielen Jahren niemand mehr weiß, was er denken soll.“ Politik erscheint ihnen wie das Wetter: „Sie findet statt, ganz egal, ob man zusieht oder nicht.“ Und so in diesem Deutschland der nahen Zukunft auch die „Besorgten Bürger“ an der Macht, die Stück für Stück demokratische Errungenschaften abbauen.

Doch das ist nicht das Problem von Britta und Babak – ihr Problem ist vielmehr, dass sie plötzlich Konkurrenz zu ihrem solitären Geschäftsmodell bekommen und verfolgt werden. Zusammen mit der toughen und schönen Julietta, die auf ihren Einsatz als Selbstmordattentäterin brennt, fliehen sie auf das Land und decken ein Komplott auf.

Juli Zeh entwirft in ihrem Roman eine nahe liegenden und manchmal dennoch etwas plakative Gesellschaftsdystopie, in der politisches oder soziales Engagement durch soziale Medien und den sonstigen Rückzug in das Private ersetzt worden ist. In der zweiten Hälfte des Buches steht dann ein handlungsgetriebener Politthriller im Vordergrund, an dessen Ende sich die Frage stellt, ob die Demokratie mit undemokratischen Mitteln geschützt werden darf.

Julie Zeh erweist sich in „Leere Herzen“ einmal mehr als eine souveräne Erzählerin, die auch kleinere konzeptionelle Schwächen und Leerläufe in ihrem Roman souverän überbrückt und ihre Heldin am Schluss ein Stück weit zu sich selber zurückfinden lässt – mit überraschenden Konsequenzen.

    Julie Zeh: Leere Herzen. München: Luchterhand 2017, 352 S., 20 Euro. Verlagsinformationen zum Buch

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Connie Ruoff schrieb uns am 30.05.2018
Thema: Juli Zeh: Leere Herzen

„LEERE HERZEN“ VON JULI ZEH
2. ZUM INHALT
Stell dir vor, du lebst immer noch in Deutschland, aber es sind schon ein paar Jahre vergangen: Du hast die Wahl, dein Kind im Sinne der Silicon Valley Pädagogik zu erziehen oder du meldest es in einem musischen Kinderkolleg mit Klavierzwang an. Wir alle erhalten ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Dies sind Konzepte der neuen Welt, in der du lebst. Angela Merkel ist zurückgetreten. Was geschieht mit Menschen, die in diesem Lebensmodell keinen Platz haben möchten? Juli Zeh erschafft in ihrem Buch „Leere Herzen“ ein beklemmendes Szenario. Die Demokratie hat sich selbst abgeschafft. Die Menschen kennen die Welt, die sie umgibt, sie stellen sie nicht in Frage, sondern stellen nur die Frage: Cui Bono? Wem nützt es? Sie richten es sich behaglich in ihrem Habitat nein und machen es, zu ihrer Wohlfühlzone. Es gibt keinen öffentlichen Diskurs mehr. Wir passen uns an.


Juli Zeh warnt uns! Die politisch passive Haltung des Einzelnen birgt Gefahren.

“Deutschland war das glücklichste Land der Welt, ohne das auch nur im Ansatz selbst zu merken.”

Leere Herzen

„Die Bewegung besorgter Bürger“, die man keineswegs demokratisch nennen kann, regiert Deutschland. Rutschen wir immer weiter nach rechts?

Juli Zeh stellt uns in diesem Buch ein Geschäftsmodell vor, das so zynisch, unethisch und dennoch letztendlich genial ist. Es ist ein Geschäft mit dem Tod und dem Terrorismus. Anscheinend macht es den Terrorismus berechenbarer. Es gibt weniger Kollateralschaden. Im Buch spielen Kinder mit Mega-Super-Figuren gewaltsame Szenarien durch und schreien erfreut auf, sobald K o l l a t e r a l s c h a d e n entsteht. Diese Figuren sind ein Verkaufsschlager.

Wir alle wollen eine Welt, die berechenbar ist! Aber doch nicht durch solche oder ähnliche Geschäftsmodelle. Wenn man sich die Logik dahinter durchdenkt, fragt man sich: Gibt es solche Modelle schon in unserer Welt und wir wissen es nicht?

5/5 Punkten

3. PROTAGONISTEN
Britta ist eine Geschäftsfrau, die ihr angenehmes luxuriöses Leben liebt. Dennoch gefällt ihr auch der Kitzel des Gefährlichen und Unmoralischen. Sie geht für ihr Geschäft weit über ihre Grenzen.

Für Britta ist es auch wichtig, dass sie der Motor des Geschehens ist. Sie finanziert Familie und wenn es nötig ist, auch mal Freunde.

Ein Kontrahent bedroht nicht nur Babaks und Brittas Unternehmen, sondern auch deren Leben. Britta zerbricht fast an dieser Ausnahmesituation.

5/5 Punkten

4. SPRACHLICHE GESTALTUNG
Juli Zeh nimmt den Leser gleich mit ins Geschehen. Ein wenig Sarkasmus, gewürzt mit zynischen Worten schaffen schnell die richtige Atmosphäre für diese beängstigende Vision. Die Kapitellänge ist lesefreundlich.

5/5 Punkten

5. COVER UND ÄUSSERE ERSCHEINUNG
„Leere Herzen“ von Juli Zeh hat 320 Seiten, einen festen Einband und ist am 13.11.2017 unter der ISBN 9783630875231 bei Luchterhand im Genre Romane erschienen.

5/5 Punkten

6. LINKS ZUM BUCH
Juli Zeh spricht mit Denis Scheck über ihren Roman “Leere Herzen”ARD / “Druckfrisch” (30.10.17)

Beitrag zum Buch und Gespräch mit Juli Zeh in der SendungZDF / “aspekte” (10.11.17)

Beitrag zum Buch und Interview mit der AutorinNDR / “Kulturjournal” (13.11.17)

Buchpräsentation von “Leere Herzen” in Berlin im Großen Sendesaal des rbbmeinbrandenburg.tv (14.11.17)

Lesungen Termine

7.FAZIT
Das Buch hat mich hervorragend unterhalten. Es bleibt bis zur letzten Seite spannend. Juli Zeh hat die Schwachstellen unseres Menschseins hervorgelockt. Wir gewöhnen uns an alles. Und wir nutzen alles für unsere Zwecke. Ist der Mensch unserer Zeit tatsächlich jenseits von Gut und Böse?

Liegt es daran, dass der Mensch über seine Welt die Kontrolle haben will? Wo sind unsere Werte? Was ist mit unserer Ethik?

Ein lukratives Geschäft mit dem Tod? Klingt das wirklich so abwegig? Das macht die Waffenindustrie seit Jahrzehnten. Warum sollte es dieses fiktive Modell nicht schon in der Realität geben? Ein verstörender Gedanke!

L E S E E M P F E H L U N G gegen Politikverdrossenheit

@Luchterhand
Vielen Dank für das schöne Rezensionsexemplar!

Ich vergebe insgesamt 5/5 Punkten.

Connie’s Schreibblogg https://schreibblogg.de

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Bories vom Berg schrieb uns am 08.04.2022
Thema: Juli Zeh: Leere Herzen

Gescheit gescheitert

Auch in ihrem neuen Roman «Leere Herzen» finden sich erzählerische Elemente, welche typisch sind für die politisch engagierte Juli Zeh, die seit 2017, aus Trotz, wie sie erklärt hat, Mitglied der SPD ist, eine vehemente Kritikerin des demokratiemüden Zeitgeistes ist. Und so sei denn auch ihr dystopischer Roman, ursprünglich ein reines Gedankenspiel, wie sie im Interview erklärte, in den zwei Jahren seines Entstehens - zum Teil zumindest - bereits von der Wirklichkeit eingeholt worden, - als Prognose allerdings sei er trotzdem nicht anzusehen. Insoweit kann man das Buch aber, neben seinem zweifellos im Vordergrund stehenden Unterhaltungswert, auch als einen Weckruf zu politischer Teilhabe verstehen, zur Abkehr von einer um sich greifenden Politikverdrossenheit in Deutschland, mit all den fatalen Folgen für das jahrzehntelang stabile Parteiengefüge. Das Timing für diesen Roman hätte jedenfalls besser kaum sein können!

Im Jahre 2025, nach Angela Merkels Rücktritt (sic!), regiert in Deutschland die BBB, die populistische «Besorgte-Bürger-Bewegung», und breite Schichten Politikverdrossener sind mangels eigener Überzeugungen einfach in die innere Emigration abgetaucht. Als die toughe, aber ebenfalls völlig desillusionierte Britta auf den scheinbar lebensmüden Babak trifft, ein Nerd durch und durch, entsteht spontan die Idee für ein gemeinsames Unternehmen, das aktiv und wirksam in das desaströse politische Geschehen eingreifen kann. Jemand, der Suizid begehen will, so die Überlegung, könne seinen geplanten Tod doch zusätzlich auch noch zu einer wirkungsvollen politischen Aktion nutzen im Kampf gegen die verhasste BBB. Klar, die mit ihren Sprengstoffgürteln Tod und Verderben verbreitenden, islamistischen Selbstmordattentäter standen Pate bei dieser radikalen Geschäftsidee.

Und tatsächlich, der von Babak entwickelte, geniale Algorithmus fischt potentielle Kandidaten aus dem Internet, mit denen die Firma dann diskret Kontakt aufnimmt, um sie später, - nach allerstrengsten Auslesekriterien, versteht sich -, mit ausgeklügelten Trainingsmethoden auf ihren Einsatz vorzubereiten. Diese suizidalen lebenden Bomben werden als Attentäter anschließend ebenso diskret verschiedenen «Organisationen», die sehr hohe Summen dafür zu zahlen bereit sind, für robuste Einsätze angeboten. «Die Brücke» hat sich in Folge zu einer hochprofitablen Firma entwickelt und Britta und Babak sehr schnell sehr reich gemacht. Ihr todbringendes Geschäft bekommt aber plötzlich Konkurrenz, der als Politthriller apostrophierte Roman handelt im Wesentlichen von dem erbitterten Kampf gegen unbekannte Trittbrettfahrer, die unter dem Namen «Leere Herzen» einen dilettantischen Anschlag verübt haben. Anscheinend ist ihnen jedes Mittel recht, «Die Brücke» auszubooten.

Dieser lebensgefährliche Machtkampf mit seinen Thrillerelementen wird von einem auktorialen Erzähler in einer anspruchslosen, uninspirierten Sprache erzählt, zumeist in langen Dialogen. Die Charaktere sind wenig überzeugend angelegt, sie wirken blutleer und sind merkwürdig emotionslos. Bis auf die junge Julietta mit ihrer unbeirrbaren Todessehnsucht, die als einzige Empathie zu erzeugen vermag und den Erlös aus ihrem Selbstmordattentat dem Tierschutz vermachen will. Was da aber, einer wohl zeitbedingt vorherrschenden, narrativen Mode folgend, - also im Präsens -, geschildert wird, ist allerdings so abstrus, dass man als vernunftbegabter Leser sehr schnell die Lust verliert an dieser sich schlau dünkenden Dystopie. Der Plot ist grotesk überfrachtet, lässt kaum eines der gängigen Klischees aus und verbreitet, anbiedernd geradezu, seine vor Moral triefende Botschaft, - aufdringlich und plump nach der Holzhammer-Methode. Eskapistisch orientierte Leser sehen sich womöglich bestätigt in diesem desaströsen politischen Lehrstück, andere aber staunen, wie eine so gescheite Schriftstellerin so grandios scheitern kann mit dem Versuch, politische Horrorvisionen in Romanform zu verarbeiten.

Fazit: miserabel
Meine Website: ortaia.de

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