Geschichten aus Dunkelheit
Der siebte Band von Frank Millers "Sin City" ist auf Deutsch erschienen
Von Fabian Kettner
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Sin City" ist ein Universum verschiedener Figuren, Orte und Erzählstränge, die sich mitunter zufällig überschneiden. Bekannt über die Gemeinde der Comic-Leser hinaus wurde diese Erfindung Frank Millers durch die Verfilmung einiger seiner Komponenten. Miller produziert "graphic novels": er erzählt in Bildern. Seine ganz spezifischen Bilder, ihre Statik, die eingefrorene Action, machen seine Kunst aus. Deswegen konnte die Verfilmung nur misslingen; deswegen sei hier auch zur eigentlichen Geschichte von "Einmal Hölle und zurück" nichts gesagt, denn der Handlungsstrang ist zweitrangig. Von Bedeutung sind die sparsam eingesetzte lakonische Erzählweise und die Bilder. Miller erzählt durchgehend in Schwarz/Weiß-Zeichnungen, manchmal bestehen sie nur aus Licht und Schatten oder es sind nur Umrisse zu erkennen, die sich aus der Dunkelheit schälen, die nicht nur im visuellen Sinne in Sin City herrscht. Für diese Art der Graphik bietet sich an, was besonders prägnante Konturen hat: kantige Männergesichter und -körper und kurvenreiche Frauensilhouetten.
Man kann sagen, "Sin City" besteht aus diversen sozialen Orten und Rollen: Das Verbrechen ist bestens organisiert. Die Polizei ist brutal und korrupt. Die Grenzen zum Verbrechen verschwimmen: entweder stehen die Polizisten auf dessen Gehaltsliste, auf der von Macht missbrauchenden Politikern oder Vorgesetzte spielen ihr eigenes Spiel. Nur wenige Aufrechte ragen heraus, Ausnahmen, die aber so nah am Sumpf leben, dass sie aus ihrer Ausnahmeerscheinung keinen moralischen Profit mehr ziehen können. Ein großer Teil der Frauen ist in "Old Town" ansässig, ein autonomes Amüsierviertel, in dem die Prostituierten sich mit Waffengewalt gegen Einflussnahmen sowohl des organisierten Verbrechens wie der Staatssgewalt verteidigen. Es gibt die schmierigen niedrigen Handlanger, zwielichtig zwischen Gut und Böse. Und es gibt die Protagonisten der jeweiligen Geschichte. Sie sind immer Männer, die definitiv sehr männlich sind, aber eben keine 'Macker'. Ein wesentlicher Bestandteil falscher Männlichkeit, die Homophobie, fehlt, wird jedoch im siebten Band auf Seiten der Bösen verortet - und dies überrascht, erleichtert aber eine Annäherung an "Sin City".
Mann und Frau sind in Sin City voneinander getrennt; das Tischtuch ist zerschnitten. Die Frauen sind schön und ebenso verlockend gefährlich wie gefährlich verlockend, erreichbar aber nur auf käuflichem Wege. Mann und Frau begegnen sich als Gleichberechtigte nur in einem Gleichgewicht der Bedrohung und der Gewalt. Eine Frau erreichen kann nur, wer genauso stark ist wie sie, aber nicht so frauenfeindlich wie seine übrigen Geschlechtsgenossen; wer vermag, ihre überdeutliche Körperlichkeit, ihre Geschlechtlichkeit zwar als Reiz, aber nicht als Erlaubnis zum Angriff anzusehen und ihre Prostitution nicht als Makel.
Die Protagonisten sind groß, stark und muskulös - Kämpfer. Immer haben sie eine dunkle Vergangenheit, auf die nur Andeutungen gemacht werden: es gibt da was. "Just look at his eyes. He's seen death", bescheinigt eine abgetakelte Schönheit Dwight in "Family Values". Aber was genau war da? Schlimme Taten? Meist waren sie beim Militär, auch in Kampfeinsätzen. Was immer da auch war - es ermöglicht ihnen eine Brutalität und Rohheit, die sie in der Gegenwart einsetzen können, um zu versuchen, wenn schon nicht etwas Gutes (denn das ist in Sin City fast umöglich), dann zumindest etwas Besseres zu tun. Aber sie alle fürchten ihre eigene Gewalt, bemühen sich um Selbstbeherrschung. "Never lose control. Not for one second. Ever. Never let the monster out", ermahnt sich Dwight in "A dame to kill for". Marve in "Sin City", dem ersten Band, muss Tabletten nehmen, Wallace, im neuesten Band, hat gelernt zu meditieren, um sich zu kontrollieren.
Auch wenn der siebte Band wie alle Geschichten aus Sin City roh, gewalttätig und brutal, finster und schmutzig ist, so kann man doch vielleicht paradoxerweise eine langsame Pazifizierung feststellen. Waren die Protagonisten vorher überwiegend von militärischem Design, so sind in Band 7 die Gesichter runder, die Augen größer und die Haare lang. Gab es vorher, besonders in "That yellow Bastard", ganzseitige Bilder, auf denen der Held - metallen, zackig und starr - einem Standbild aus dem ästhetischen Repertoire des Faschismus oder des Realsozialismus glich, so gibt es nun überraschenderweise einige wenige Bilder, auf denen die Proportionen der Figuren und die Perspektive auf sie diese fast niedlich erscheinen lassen. Es gibt sogar eine farbige Bilderstrecke, bei der Miller Ironie und Humor beweist.
Die deutsche Ausgabe weist im Vergleich zum amerikanischen Original leider einige Mängel auf. Teilweise gibt es einige Patzer bei der Übersetzung. "It's a good thing one of us was wearing her thinking cap, eh?" mit "Gut, dass wenigstens einer von uns die Denkkappe auf hatte, hm?" zu übersetzen, ist schlicht ein Resultat von Schlamperei. Jedes nur etwas dickere Wörterbuch kann einen belehren, dass "to put on" resp. "to wear a thinking cap" ein Idiom ist, das einfach nur "scharf nachdenken" oder "genau aufpassen" bedeutet. Aber dies sind nur sprachliche Probleme. Richtig ärgerlich wird es, wenn die Stimmung der Szene liquidiert wird. "Ich möchte entblößt sein", so spricht keine männermordende Verführerin, die Wallace mit ihrem Körper von seinem Weg abbringen will. "Entblößt" - das ist ein rein technischer Terminus, sachlich kalt, mag es im Englischen auch "exposed" geheißen haben. Phantasie und Einfühlungsvermögen gehen den Übersetzern leider immer wieder ab. "Go ahead. Do your worst", spricht der brutale Polizist in einer der dichtesten Szenen, der Wallace mit drei weiteren Kollegen zusammenschlagen sollte, von diesem aber überwältigt wurde und nun unter dessen Schlagstock liegt. Wallaces Antwort "You don't want to see my worst" ist zugegeben schwer zu übersetzen, aber macht man daraus in forscher Flucht nach vorne ein "Wünschen Sie sich das lieber nicht", dann geht die für Miller typische Anspielung auf den großen dunklen Bereich seines Protagonisten verloren, von dem dieser betrübt weiß, an den er aber auf keinen Fall rühren möchte.
Dass ein Comic-Verlag keine Sensibilität für die Graphik hat, empört. Das Format wurde von den ca. 17 cm x 26 cm im Original auf ca. 14 cm x 21 cm (jeweils Breite x Höhe) verringert. Das mag den Ordentlichkeitsfanatiker freuen, weil so alle Bände der "Sin City"-Ausgabe von "Cross Cult" einheitlich ins Regal neben aberdutzende Manga-Bände passen - ist aber bei einem visuellen Medium gravierend und besonders bei Frank Millers Werk ein Verlust, weil dieser nicht wenige Bilder gemäldeartig hervorhebt. Auch der Druck schmälert den optischen Eindruck. Ist das Schwarz des Originals ein mattes, trockenes, stumpfes Schwarz, so wie bei Tonpappe, so ist bei der deutschen Ausgabe das Weiß heller und das Schwarz schwärzer, weil ein glänzendes, fettes Papier verwendet wurde, so dass das Schwarz nun aussieht wie auf der Rückseite von Teerpappe. Das sind nicht nur farblich-technische Fragen der Authentizität. Beim Original liegen Schwarz und Weiß näher beieinander - farblich, wie in Sin City überhaupt. Weil sie näher beieinander liegen, wird ein grauer Schimmer erzeugt, der Sin City noch düsterer erscheinen lässt. Die mangelnde Treue zum Original bringt die deutsche Ausgabe jedoch um dieses Mittel.
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