Begriffsstutzige Polizisten und neue Frauen in alten Zeiten

Eine jüdische Anwaltstochter geht auf Mörderjagd

Von Christiane HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christiane Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Roman soll diese Geschichte sein, eigentlich eher ein Krimi. Tatsächlich will sie aber mehr und ist dadurch zugleich leider weniger. Die junge deutsch-türkische Verfasserin Hilal Sezgin legt ihr Erstlingswerk vor, und das merkt man dem gut gemeinten Buch an.

Woran? Beispielsweise daran, dass die Erzählhaltung uneinheitlich ist. Das allerdings offenbar nicht aus stilistischen oder dramaturgischen Gründen, denn es führt die Story in keiner Hinsicht weiter und irritiert nur: Allzu oft wechselt mitten im Erzählfluss die Perspektive. Mehrmals mischt sich unvermittelt und ganz unnötig ein zuvor nicht dagewesener auktorialer Erzähler ein, der meist genau so plötzlich wieder verschwindet. In indirekter Rede erzählte Passagen werden vorübergehend Dialoge. Solche Brüche sind einfach ärgerlich.

Vor allem aber: Die Autorin hat zu viel in diesen Roman hineingepackt. Er spielt am Ende des neunzehnten Jahrhundert in Frankfurt am Main. Die junge jüdische Anwaltstochter Karoline Stern mischt sich aus lauter Langeweile in die Ermittlungen eines Mordfalls ein und löst ihn schließlich auch. Die gut geschilderte Kulisse des historischen Frankfurt stattet die Autorin mit den Anfängen weiblicher Emanzipation, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüchen, dem Aufkommen des Sozialismus oder den Vorbehalten der Frankfurter Bürger gegenüber "jüdischer Geschäftemacherei", aus. Das sprengt den Rahmen, zumal die im Einzelnen sicher lohnenden Themen nur oberflächlich angerissen werden und daher wie willkürlich aufgereihte Accessoires wirken. Eine Funktion für den Roman haben sie überwiegend nicht. Besser wäre es gewesen, sich auf nur einen oder zwei Bereiche zu konzentrieren.

Karolines Dilemma etwa, als heiratsunlustige junge Frau keine Aufgabe zu haben, hätte viel Stoff geboten. Diese Chance wurde nicht genutzt. Die Probandin soll offensichtlich das überholte weibliche Rollenbild vor über hundert Jahren in Frage stellen. Sie wird ausstaffiert mit Attributen wie "tapfer", "neugierig" und "aus Prinzip nicht zufriedenzustellen". Doch letztlich ist und bleibt sie brav und angepasst. Am Ende steht nur ihr diffuses Gefühl, "irgend etwas" tun zu wollen, ohne dass sie wirkliche Interessen entwickelt. Als sie mit sozialistischen Frauen in Kontakt kommt, bleibt dieses isolierte Ereignis ohne jede Auswirkung auf sie. Als sie ihre verheiratete Schwester nach der Sexualität in der Ehe fragt, gibt sie sich sofort mit der schwer nachvollziehbaren Auskunft zufrieden, es sei "so wie Spazierengehen". Entsprechend geschlechtslos wirkt Karoline. Als ihr erstaunlich fortschrittlicher Vater ihr eine Ausbildung oder ein Studium anbietet, winkt sie ab. Die ihr unterstellten Eigenschaften werden weder durch ihre Gedanken noch durch ihre Handlungen glaubhaft belegt. Es bleibt damit offen, welche Eigenschaften die junge Frau eigentlich in die Lage versetzen, den rätselhaften Mordfall zu lösen.

Der Kommissar Philipp Staben, dessen Job genau das gewesen wäre, ist dazu jedenfalls etwas zu dumm. Nicht nur, dass es ihm trotz seiner "eisernen Prinzipien" von "Unvoreingenommenheit und Sorgfalt" an Scharfsinn und Kombinationsgabe fehlt, er lässt sich widerspruchslos von seinem Kollegen Rauch und dem Polizeipräsidenten gängeln, lächerlich machen und hintergehen und schließlich willig von Karoline die Fäden aus der Hand nehmen. Sie ist es, die Ordnung ins Chaos bringt und die er demütig um Rat fragt, als sie das Rätsel längst gelöst hat und er noch immer im Dunkeln tappt. Sollen wir wirklich glauben, Ende des neunzehnten Jahrhunderts seien bei der Polizei solche Trottel herum gelaufen?

Nachdem der vorschnell eingesperrte "Sozi" wieder entlassen werden musste, schleppt sich die Suche nach dem Mörder lange hin, zumal die Charaktere durchweg eher blass bleiben. Zudem werden Konflikte, die die Handlung hätten vorantreiben können, nur angestoßen und nie ausgetragen. Letztlich ist in diesem Buch doch alles eitel Sonnenschein: Karoline begehrt zwar ein wenig auf, bleibt aber trotzdem ein liebes Mädchen. Ihr Vater ärgert sich darüber, dass Frau und Töchter den Haushalt vernachlässigen, gibt seinen Protest jedoch schnell auf. Kommissar Staben wird zwar schändlich ausgenutzt, fügt sich aber seinem Schicksal ohne Aufbegehren.

Schade eigentlich, denn Hilal Sezgin erzählt passagenweise durchaus unterhaltsam, dann ist ihr Stil frisch und amüsant. Sehr schön sind die Szenen, in denen sie das "alte" Frankfurt mit seiner "guten Luft" schildert, uns Einblicke in den Waschtag einer längst vergangenen Zeit gewährt und an den Schwierigkeiten einer Fahrt mit der Pferdetram teilhaben lässt. Es gelingt ihr, uns mit lebendig geschilderten Details mitten in den Familienausflug an einem Sonntagnachmittag zu versetzen oder plastisch miterleben zu lassen, wie "aus dem angrenzenden Raum die dazugehörigen Kinder hereinkullern". Solche Passagen halten uns trotz allem bei der Stange. Vielleicht sollte die Autorin daher noch einen zweiten Versuch wagen.

Titelbild

Hilal Sezgin: Der Tod des Maßschneiders.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1999.
366 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3455103928

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