Die leise Macht der Worte

Sechzehn Erzählungen von Nadine Gordimer

Von Christina LangnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Langner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Leser spürt es in jeder einzelnen Geschichte, in jedem Satz, fast in jedem einzelnen Wort des Erzählbandes "Livingstones Gefährten" von Nadine Gordimer: Die Erfahrungen, die die Autorin dieser Erzählungen mit den politischen Verhältnissen in ihrer Heimat Südafrika gemacht hat, haben ihr gesamtes Leben und auch ihr literarisches Werk geprägt. Ging sie doch in eine Schule, die den Weißen des Landes vorbehalten blieb, ging in ein Kino, in das nur Weiße Einlass fanden und verbrachte den größten Teil ihrer Freizeit in einer Bibliothek, aus der nur Weiße Bücher ausleihen durften und ohne die sie, wie sie selbst sagt, nie hätte Schriftstellerin werden können.

"Livingstones Gefährten" enthält Erzählungen, die die heute 77-Jährige Gordimer vor mehr als dreißig Jahren geschrieben hat, in einer Zeit also, in der das Apartheidregime in Südafrika noch das Sagen hatte, einer Zeit, in der sie vom südafrikanischen Establishment unter der weißen Regierung von Pieter Bothas zur Persona non grata erklärt wurde. Einige ihrer Bücher standen jahrelang auf der Zensurliste.

Gordimers Erzählungen werden getragen von der hoffnungsvollen Vision, an die sie ihr Leben lang geglaubt und für die sie sich lange eingesetzt hat: die Möglichkeit des gleichberechtigten Zusammenlebens von Schwarzen und Weißen. Dennoch hinterlassen die Geschichten eine rätselhafte Traurigkeit.

Gordimer schildert die Auswirkungen der Apartheidpolitik aus Sicht beider Seiten, der weißen und der schwarzen, und tut dies auf eine beeindruckend unvoreingenommene, gerechte und vor allem ehrliche Weise. Sie schildert alltägliche Situationen, kleine menschliche Konflikte, deren Bezug zum politischen Hintergrund auf unaufdringliche Weise aufscheint.

Besonders bemerkenswert ist, dass der Leser immer den Eindruck hat, die Autorin sei der gleichen Hautfarbe, sehe mit den gleichen Augen wie ihre Protagonisten. So gelingt es ihr, den Leser die Gefühle eines schwarzen Arbeiters nachfühlen zu lassen, der von seinem weißen Vorgesetzten nur "Boy" gerufen wird; gleichzeitig gelingt es ihr aber auch, eben diesen Vorgesetzten so zu charakterisieren, dass die Leser ihn nicht völlig verurteilen können. Gordimer besitzt eine eigene Art, eine Person oder eine Szene darzustellen. Sie legt viel Wert auf Feinheiten, auf präzise Beschreibungen. "Ich habe immer daran geglaubt und ich denke, das findet sich in meinem Werk wieder, dass erst in einer sehr detaillierten Art des Erzählens die Wahrheit gefunden werden kann", begründet die Autorin ihre Detailtreue.

Die Wahrheit, von der Gordimer hier spricht, führt sie dem Leser auf erschreckende und zugleich faszinierende Weise vor Augen. Die Worte, die sie dabei wählt, sind vorsichtig und leise. Sie klagen nie direkt an, doch die Macht dieser Worte wird dadurch umso größer. Ihrer privilegierten Stellung als Weiße ist sich die Autorin stets bewusst gewesen, aber sie hat sie als Ungerechtigkeit empfunden und deshalb gegen sie gekämpft und sich auf die Seite der Schwarzen gestellt. Sie zeigt dem Leser, dass "niemand als Herr und Meister geboren ist".

Wenn Nadine Gordimer gefragt wird, über was sie denn eigentlich schreibe, so antwortet sie in Anlehnung an Goethe: " Es geht darum, mit der Hand ganz tief in das Leben, das einen umgibt, zu greifen und alles, was man herausholt, wird ein Teil der Wahrheit sein".

Titelbild

Nadine Gordimer: Livingstones Gefährten. Erzählungen. Aus dem Englischen von Anne Steeb.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
383 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3100270266

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