Sensibel und drastisch

Lucy Frickes Romandebüt "Durst ist schlimmer als Heimweh"

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Judith ist erst sechzehn, trotzdem ist ihre Jugend schon lange vorbei: Vom gewalttätigen Stiefvater unter Duldung der Mutter jahrelang missbraucht, flüchtet sie sich in Selbstverstümmelung und Drogen und landet schließlich ohne Schulabschluss auf der Straße. Dass sie dort nicht ganz ins Bodenlose stürzt, verdankt sie Ella, die in einer betreuten Wohngemeinschaft für Jugendliche lebt. Für Judith ist die WG wenig verlockend, verabscheut sie doch alle Gruppen zutiefst: "Das Wort Gruppe klang für sie nach dem Befund einer tödlichen Krankheit".

Dennoch zieht sie dort ein, hin- und hergerissen zwischen der vagen Chance, das Leben in andere Bahnen zu lenken und dem alten Selbsthass, der die Selbstzerstörung als letzten Ausweg erscheinen lässt. Zu schmerzhaft sind Judiths Erinnerungen, als dass sie sich ihnen stellen möchte, und so flüchtet sie sich weiterhin ohne Hoffnung und Perspektive in stumpfe Jobs, Wutausbrüche und ständiges Zugedröhntsein. Im Lauf der Zeit entwickeln sich trotzdem zaghafte Beziehungen zu den Mitbewohnern, deren Lebensläufe von den gleichen Gewaltmustern geprägt sind wie der ihrige. Allein Bernd, der Betreuer, bietet in der Ansammlung von Gestrandeten ein wenig Halt und das Versprechen, dass es doch noch etwas gibt, für das es sich lohnt, nüchtern und am Leben zu bleiben. Aber auch er kann nicht verhindern, dass einige der Bewohner letztendlich aufgeben. Und auch ob Judith es schaffen wird, bleibt offen.

Was auf den ersten Blick einen konstruierten Roman über gelangweilte Mittelstandskids befürchten lässt, die ihre Sattheit in vorübergehendem Lebensüberdruss ersticken, entpuppt sich bereits nach wenigen Zeilen als eine drastische Konfrontation mit Lebensläufen, die schon am Ende angelangt sind, noch ehe sie die Möglichkeit zu einem Beginn hatten. Unsentimental und mit einem guten Schuss Situationskomik nimmt Fricke den Leser in ihrem Debütroman mit in das Grauen, das alltäglich in Kinderzimmern und Wohnstuben lauert. Eine beklemmendes Psychogramm, das auf weitere Veröffentlichungen der Absolventin des Leipziger Literaturinstituts gespannt sein lässt.


Titelbild

Lucy Fricke: Durst ist schlimmer als Heimweh. Roman.
Piper Verlag, München 2007.
184 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783492051415

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