Die Geschichte vom toten Kind

Michael Collins hat einen verstörend unprätentiösen Krimi vorgelegt

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein ganz unscheinbares Buch, das übliche Taschenbuchcover, das schnell knickt und gelesen aussieht, eine unscheinbare Geschichte, die ganz normal anfängt: ein abgehalfteter Cop, den seine Frau abgeschoben hat, der vor Depressionen morgens kaum aus dem Bett kommt, dem das Geld nicht reicht, das er verdient, der auch mit seiner Freundin kaum spricht, und der jeden faulen Deal eingeht, wenn ihn Bürgermeister und Polizeichef darum bitten.

Was ist passiert? Eines Abends (Halloween) verschwindet das dreijährige Kind einer jungen, alleinstehenden Frau aus der Wohnung und wird später von Lawrence, unserem Polizisten, aufgefunden. Tot. Von einem Auto überfahren, dessen Fahrer offensichtlich aus Übermut Schlangenlinien gefahren ist - Halloween, der Sturm hat die Laubsäcke überallhin verweht, und kann man denn ahnen, dass sich eine Dreijährige ausgerechnet an die Straße legt, um einzuschlafen? Aus dem Fall wird aber kein Fall, weil der einzige Verdächtige, dessen Wagen am Unfallort gesehen worden ist, der Jungstar der örtlichen Football-Mannschaft ist, der Quarterback, das Herz der Mannschaft. Gerade jetzt steht ein wichtiges Spiel vor der Tür. Und das Letzte, was man im Ort brauchen kann, der endlich wieder einmal die Chance hat, in die nationalen Schlagzeilen zu kommen, ist ein Quarterback, der wegen Fahrerflucht in den Knast muss.

Also bekommt Lawrence vom Bürgermeister und vom Chief nahe gelegt, das Ganze nicht allzu sorgfältig zu untersuchen und den jungen Kyle Johnson ungeschoren davon kommen zu lassen. Als Lawrence die Familie Johnson aufsucht, um den Pickup Kyles zu untersuchen, ist der Wagen gründlich gereinigt. Alle sind darauf aus, die Sache unter den Teppich zu kehren, Lawrence ist sehr verständnisvoll, die Eltern Johnson leugnen alles, und wenn, dann ist alles nur Kyles Freundin Schuld - nur Kyle will sich die Sache von der Seele reden. Aber Lawrence hält ihn davon ab: Alles nur ein unglückseliger Zufall, verhängnisvoll, nicht zu vermeiden, und wem würde es nutzen, wenn Kyle ins Gefängnis ginge, gerade jetzt. Lieber solle er sich das eine Lehre sein lassen und später einmal, wenn er zu Geld gekommen sein würde, irgendeine arme Seele unterstützen und fördern. Als Lawrence an diesem Abend die Johnsons verlässt, scheint alles geregelt zu sein. Er schreibt einen Bericht (in dem er Kyles Geständnis unterschlägt) und will nicht weiter über die Sache nachdenken (was ihm natürlich nicht gelingt, immerhin fehlen noch 300 Seiten Text).

Aber kurze Zeit später wird Kyles Freundin ermordet, Kyle läuft Amok und kommt dabei um, Lawrence' Hütte wird niedergebrannt und sein Hund wird malträtiert. Offensichtlich ist hier irgendetwas nicht in Ordnung. Zum Beispiel gibt es noch eine zweite Autospur auf der Straße, die das Kind - bereits tot oder noch lebend - überrollt hat. Und was hat der Bürgermeister mit der jungen Frau zu tun, deren Kind so zu Tode gekommen ist? Und wieso war die Frau am fraglichen Abend derart betrunken, dass sie nicht bemerkt hat, dass das Kind verschwand? Warum nur ist sie jetzt verschwunden, kaum dass die Kleine beerdigt ist?

Je länger der Text dauert, desto unangenehmer werden die Fragen, die sich Lawrence stellt, um sie am Ende doch nicht alle lösen zu können. Und desto unangenehmer rücken ihm seine früheren Auftraggeber auf den Pelz und wollen ihn zum Sündenbock stempeln. Aus den Freunden werden Feinde, ein Ermittler, der wegen der Todesfälle in die Stadt kommt, nimmt Lawrence zudem ins Visier.

Einmal ins Rollen gekommen, ist von Lawrence' alter Korruptheit nichts mehr zu spüren. Er nagt sich durch den Fall mit einer Hartnäckigkeit, die jedem Spillane-, Chandler- oder Hammett-Held gut angestanden hätte. Und natürlich ist nicht alles so, wie es zu sein scheint. Selbstverständlich wird der Lohn für Lawrence nicht auf den Fuß folgen, nachdem er sich einmal auf das Spiel um die Macht eingelassen hat. Er wird seine anfängliche Gedankenlosigkeit büßen müssen. Ein Anti-Held also, wie er im Krimi sein muss.

Aber das ist es nicht allein, was Collins Buch so anregend macht. Obwohl die Atmosphäre düster bis niedergedrückt ist, lässt das Buch nicht los und will in einem durchgelesen werden. Obwohl seine Struktur, die Anlage, der Plot intelligent aber eben nicht einmalig sind, macht Collins' Roman den Eindruck etwas ganz Neues zu sein. Vielleicht ist es ja seine quasi neusachliche Lakonie, die diesen Anti-Helden zu einem Sympathieträger macht, wenigstens für knapp 350 Seiten.


Titelbild

Michael Collins: Schlafende Engel. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Eva Bonné.
btb Verlag, München 2007.
350 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783442736539

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