Ganz grundsätzliche Gedanken über Gott

Peter Strassers etwas andere Einführung in die Religionsphilosophie verspricht zu viel

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine weitere Einführung in die Religionsphilosophie (man vergleiche auch die hier veröffentlichte Besprechung zur religionsphilosophischen Arbeit von Peter Fischer) wird von Peter Strasser unter dem Titel "Theorie der Erlösung" vorgelegt (einige Kapitel sind bereits als Aufsätze an anderer Stelle veröffentlicht).

Der Titel verspricht viel. Zu viel, wie sich bald herausstellt. Obwohl Strasser mit "Erlösung" schon das wesentliche Moment für die europäisch-aufgeklärte Patchwork-Religiosität von heute benannt hat, einer Religion jenseits von Konfession, der es nicht mehr primär um den Nutzen für die Gesellschaft, schon gar nicht um eine politische Theologie, die nach Macht strebt, geht, sondern um das persönliche Welteinverständnis und den privaten Umgang mit dem metaphysischen Überschuss der eigenen Erfahrungen, greift er mit "Theorie" etwas zu weit aus in einen akademischen Bereich der Gegenstandsbehandlung, in den sich der Text nicht einordnen lässt.

Vielleicht liegt es schon an der mangelnden Theoriefähigkeit des Begriffs Erlösung, vielleicht aber auch an der Art, wie sich Strasser des Themas annimmt: Eher essayistisch als streng analytisch, mehr von persönlichen Eindrücken, Erlebnissen und Erfahrungen durchsetzt als in streng argumentationsgeleiteter Abstraktion spricht Strasser Fragen an, die das Thema Religion durchziehen.

Gibt es Gott? Welche Eigenschaften schreiben religiöse Menschen ihm zu? Wie verhält sich Gott zur Welt? Wie lassen sich Widersprüche in (humanen / inhumanen) Gottesbildern erklären? Was macht ein religiöser Mensch anders als ein nichtreligiöser? Was erlebt er, was fühlt er? Was hofft er?

Strassers Buch entwickelt zu solchen Fragen keine Theorie mit wohldefiniertem Begriffsgerüst, sondern verbindet die eigene religiöse Haltung mit einigen passenden Texten. Der auf ein Minimum beschränkte Apparat enthält somit nur wenige Verweise auf "Klassiker", übliche Verzeichnisse fehlen.

Der Text entfaltet sich als Mischung aus Tagebuch und strukturiertem Selbstgespräch und hat als Ziel im Grunde nur, die Berechtigung und Attraktivität religiöser Fragen herauszustreichen, die von manchen metaphysikkritischen Autoren schon als obsolet bezeichnet wurden - und das in jüngster Zeit sogar mit wachsender Vehemenz, weil jene Fragen partout nicht verschwinden wollen.

Und genau hier liegt der Aufhänger von Strassers Zugang, in der Unhintergehbarkeit der religiösen Urerahnung, es gebe "mehr zwischen Himmel und Erde, als wir wissen können". Mit dieser Grunderfahrung im Gepäck beschreibt der Autor religiöse Territorien, und der Leser kann ihm problemlos folgen, weil die Reise - abgesehen von dem Rucksack voller Fragen - voraussetzungslos und unterhaltsam ist. Unterwegs beantwortet er auch einige dieser Fragen, immer im Plauderton, dem die analytische Strenge anderer religionsphilosophischer Abhandlungen fehlt. Das ist erfrischend anders und auf sympathische Weise offen, weil es auf keine Apologie und keine Kritik zusteuert. Zugleich erweitert es den Horizont, weil es die klassischen Verhandlungskategorien, an denen sich Religionsanalysen abarbeiten (Religiosität, Konfession, Kirche; Transzendenz, Offenbarung, Ritus), sprengt, um zu ganz grundsätzlichen Gedanken zu gelangen.

Unter Strassers niedrigschwelligem Ansatz leidet jedoch manchmal die Bestimmtheit der Aussage. So sei das Streben nach dem guten Leben ein moralisches Streben, das gute Leben sei indes im Grenzfall der Transzendenz gerade jene Erlösung, die allein Religion bieten kann, so dass Moral letztlich immer auf Religion hinausläuft, wenn sie ernst gemeint ist. So weit, so erstaunlich - aus konfessionell vorgeprägter Sicht auch erfreulich, doch wird dieser Vorstoß den Ethikern zuliebe, "die im Übrigen Agnostiker sein mögen", gleich dadurch eingeholt, dass "religiös" als Platzhalter für alles stehen soll, als ein "Etikett", auf das es nicht wirklich ankommt: "Also würde ich für's erste vorschlagen, auf das Etikett zu verzichten. Mein Appell: Nennt doch das Problem, um das es hier geht, wie ihr wollt", um dann jedoch mahnend hinzuzufügen: "nur verliert es nicht aus den Augen, denn sonst kommt euch das Wesentliche am Phänomen des Moralischen abhanden!". Strasser will keinen seiner Weggefährten zurücklassen, verliert darüber aber an entscheidenden Stellen (wie der Moralbegründung) die klare Linie. Das ist wohl ein Grundproblem für eine religiöse Haltung ohne konfessionelle Verankerung: dass man den Standort beliebig wechseln kann. Strasser selbst sagt, dass er nicht zur Religion verführen will und daher keinen "rhetorischen Schleiertanz" bieten möchte. Doch die Position zu Religion und Moral ist, mit Verlaub, ein "Eiertanz".

Nun ist ein derartig offenes, fast beliebiges Religionsverständnis bei Strasser nicht etwa eine willkürliche Basis für Überlegungen zur Bestimmung des kleinsten gemeinsamen Nenners in der offenen Gesellschaft, sondern wird historisch begründet: Im Laufe der Menschheits- und damit der Religionsgeschichte kulminiere die Gottesvorstellung von mehreren personalen Göttern über den einen personalen Gott zur unpersönlichen Gottheit als Zentrum religiösen Erlebens, genauer: einer "Art religiöser Haltung" (Strassers Beschreibung gelungener Religionsausübung und zugleich die Position, von der aus er zu sprechen beabsichtigt - was immer das heißen mag). Damit korrespondiert die schwammige Rede vom "Gott aller Menschen", den es allzu billig zu haben gibt als "Schöpfer, der zugleich Schöpfung" ist, als "guter Anfang". Strasser beschreibt treffend die Religiosität des postmodernen Westlers, der zwischen zwei Projekten sein Sinnvakuum zu füllen versucht, stiftet damit jedoch kaum einen bezug zur Befindlichkeitssphäre derer, die für die Rückkehr der Religionen in erster Linie verantwortlich zeichnen, denn ihr Gott ist ein ins Geschehen eingreifender Bezugspartner prädestinierter Menschengruppen mit exklusivem Weltdeutungsanspruch, eine Vorstellung, die ein "böses Ende" nehmen kann.

Dieser Umstand wird nicht ignoriert, aber auch nicht tiefgehend zu durchdringen versucht. So endet das Buch wie es begann: mit einer Anekdote. Eine von Schülern mit dem Terror-Vorwurf konfrontierte Muslima lüftet zum Zeichen der Verständigungsbereitschaft ihr Kopftuch und beschämt die rotzigen Pennäler, die um Entschuldigung bitten; eine konkrete Beobachtung zum Friedensschluss im Kleinen, die nicht verallgemeinerbar ist, statt des großen Wurfs einer theologischen Toleranz-Theorie, die nicht in den Alltag durchdringt. Hier erweist sich der persönliche Ansatz auf der Beschreibungsebene als bestens geeignet, weil er auf der Handlungsebene der einzig wirksame zu sein scheint. Der Autor fällt mit eigenem Erleben passend in die Beschreibung exemplarisch-sinnbildlicher Zeugnisse von toleranter Religiosität ein und hebt so die Subjekt-Objekt-Differenz nahezu auf, die einer religionsphilosophischen Analyse sonst anhaftet. Um den Preis mangelnder Wissenschaftlichkeit werden auf diese Weise Einblicke gewonnen, die als Ergebnis des strasserschen Philosophierens über Religion durchaus lesenswert sind. Also: Wer eine historisch-systematische Abhandlung zur Religionsphilosophie sucht, ist hier falsch; wer eine unterhaltsame philosophische Reaktivierung religiöser Fragen sucht, um Anregungen für die Ausgestaltung der eigenen "Art religiöser Haltung" zu bekommen, ist hier richtig.


Titelbild

Peter Strasser: Theorie der Erlösung. Eine Einführung in die Religionsphilosophie.
Wilhelm Fink Verlag, München 2006.
173 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 377054238X
ISBN-13: 9783770542383

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