Apologie eines Minderbelasteten

Wovon die Erinnerungen des NSDAP-Mannes Friedrich Lodemann schweigen

Von Armin NolzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Armin Nolzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jürgen Lodemann ist ein Schwergewicht des öffentlich-rechtlichen Literaturbetriebs. Seitdem er 1964 freier Mitarbeiter des Bereichs Kultur im Südwestfunk wurde, hat er in vielfältigen Funktionen versucht, Literatur einem Massenpublikum näher zu bringen. Im Baden-Badener Fernsehsender leitete er zwischen 1972 und 1982 das "Literaturmagazin", danach bis 1988 die Sendung "Café Größenwahn". Gleichzeitig wandte er sich selbst der Arbeit als Schriftsteller und Filmemacher zu. 1980 publizierte Lodemann den autobiografischen Roman "Der Solljunge", in dem er das offenbar sehr gespannte Verhältnis zu seinem Vater aufarbeitet, der ein Nationalsozialist aus der dritten Reihe gewesen war. Lodemanns literarische Arbeiten, für die er viele renommierte Preise erhalten hat, kreisen um die Themen Familie und deutsche Geschichte. Im Mittelpunkt steht immer wieder die Vaterfigur, sei es in Lodemanns Biografie über den Komponisten Albert Lortzing oder in dem im August 2008 erschienenen Roman "Paradies, irisch".

Jürgen Lodemann wurde am 28. März 1936 als dritter Sohn des Diplom-Ingenieurs Friedrich Lodemann in Essen im Ruhrgebiet geboren. Sein Vater arbeitete in der dortigen Niederlassung des AEG-Konzerns und war im April 1931, nachdem er eine Rede Hitlers gehört hatte, der NSDAP beigetreten. Nach deren Machtübernahme am 30. Januar 1933 bekleidete Friedrich Lodemann nacheinander einige ehrenamtliche Funktionärsposten. In der NSDAP war er Schulungsleiter in einer Ortsgruppe und Zellenleiter, und für die nach der "Gleichschaltung" der Freien Gewerkschaften neu gegründete Deutsche Arbeitsfront (DAF) agierte er als Betriebsobmann bei der Essener AEG. Während des Zweiten Weltkriegs war Lodemann als Blockleiter der NSDAP tätig und musste sich nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reichs" einem Entnazifizierungsverfahren unterziehen. Die zuständige Spruchkammer ordnete ihn in die Kategorie III ein, so dass Lodemann von nun an als "Minderbelasteter" galt. Die Essener AEG stellte ihn nicht wieder ein; eine Betriebsrente bekam er wegen seiner Tätigkeiten in NSDAP und DAF nicht. Seither schlug sich Lodemann als Handelsvertreter durch und zog 1966 in seine Heimat nahe Celle zurück, wo er 1973 starb.

Mehr als 30 Jahre nach dem Tod seines Vaters hat sich Jürgen Lodemann nun dazu entschlossen, dessen Rechtfertigungsschrift "Der große Irrtum" herauszugeben. 1965 verfasst und seither im Privatbesitz der Familie zirkulierend, ist diese Schrift ein Zeugnis ganz besonderer Art. Sie zeigt uns einen auf sich selbst fixierten, immer noch an einem sozialdarwinistischen Weltbild klebenden Mann, dessen offenbar ehemals radikaler Antisemitismus in spezifischen antijüdischen Stereotypen fortlebt und der kein echtes Mitgefühl mit den Opfern des NS-Regimes empfindet. Gleich zu Beginn erfährt der Leser, wohin die Reise auf den nächsten 150 Seiten geht: "Ich brauche keine Rechtfertigung, ich besitze genug Zeugnisse, die mich von Schuld freisprechen". Ein Großteil dieser "Erinnerungen", die besser als Apologie zu bezeichnen sind, besteht aus wortwörtlichen Zitaten oder Paraphrasen zeitgenössischer Dokumente aus Privatbesitz, mit denen Lodemann seine angeblich tadellose Haltung in der NS-Zeit belegen will. Beflissen gesteht er seinen "großen Irrtum" ein, dem Nationalsozialismus stets die Treue gehalten zu haben. Abgesehen von "gelegentlichen Schimpfereien im damals üblichen Wortgebrauch" habe er keinem Juden jemals persönlich Leid zugefügt und ein fast schon freundschaftliches Verhältnis zu seinen jüdischen Nachbarn gepflegt. Darüber hinaus sei er stets darum bemüht gewesen, den ihm anvertrauten "Volksgenossen" und Mitarbeitern der Essener AEG zu helfen, und habe außerdem die Parteioberen fortgesetzt kritisiert. Dies trug ihm 1943/44 ein Parteigerichtsverfahren ein, weil er einen Stimmungsbericht verfasst hatte, der zu allerlei Fehldeutungen Anlass gab. Eine Amtsenthebung zog diese Affäre freilich nicht nach sich.

Es ist im Wesentlichen ein Argument, das Lodemann in unzähligen Variationen zu seiner Entlastung bemüht: Es sei das Streben nach einer "klassenlosen Volksgemeinschaft" und das daraus resultierende reale Gemeinschaftserlebnis gewesen, das ihn wie auch die übergroße Mehrheit der Deutschen an den Nationalsozialismus gebunden habe. Vom verbrecherischen Charakter des NS-Regimes habe man erst nach 1945 erfahren, und dieser sei in erster Linie den "Parteibonzen" anzulasten gewesen, die er ja schon während der NS-Zeit so heftig bekämpft habe. Seine Erzählung von einer durch den Nationalsozialismus missbrauchten Opferbereitschaft vieler Deutscher ist alles andere als neu, wurde sie doch gleich nach der Kapitulation am 8. und 9. Mai 1945 allerorten intoniert. Interessant ist, dass die historische Forschung der Utopie der "Volksgemeinschaft" mittlerweile in der Tat ein beträchtliches Mobilisierungspotenzial im Hinblick auf die deutsche Bevölkerung zuschreibt. Dabei betont sie jedoch die aktive Beteiligung von Männern wie Friedrich Lodemann an den NS-Verbrechen. Die Etablierung einer "Zustimmungsdiktatur" (Götz Aly) nach 1933 resultierte nicht nur aus den angeblichen Erfolgen des Nationalsozialismus, etwa bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, sondern auch aus der bereitwilligen Mitwirkung vieler "ganz normaler Deutscher" an dessen verbrecherischer Politik.

In diesem Zusammenhang ist auch symptomatisch, dass Friedrich Lodemann immer nur die "positiven" Seiten derjenigen Aufgaben erwähnt, die er als Funktionär von NSDAP und DAF zu erfüllen hatte. Es fehlen alle Aktivitäten, die mit "Gegnerverfolgung" und sozialer Disziplinierung zusammenhingen: Die institutionelle Zusammenarbeit eines Betriebsobmannes der DAF mit der Geheimen Staatspolizei beim Aufspüren so genannter Arbeitsbummelanten, die Denunziation "defätistischer Volksgenossen" auf dem Parteidienstweg durch untere NSDAP-Funktionäre und die vielfältigen alltäglichen Kontrollmaßnahmen der Zellen- und Blockleiter, die sich in einer ausgedehnten Karteiführung manifestierten. Auf den Listen dieser Funktionäre basierte ein Gutteil der antijüdischen Maßnahmen und die permanente Mobilisierung personeller Ressourcen im Zweiten Weltkrieg, so zur Schadensbekämpfung nach Bombenangriffen oder zum Einsatz in paramilitärischen Formationen. In den letzten Jahren hat die NS-Forschung viele weitere Repressionsmaßnahmen unterer NSDAP-Chargen herausgearbeitet, die Lodemann allesamt übergeht.

Derartige Apologien eines Minderbelasteten, wie sie hier präsentiert werden, lagern zu Hunderten in den deutschen Stadtarchiven. Sie sind bislang unveröffentlicht geblieben, weil ihr inhaltlicher Ertrag umgekehrt proportional zum nicht unbeträchtlichen Editionsaufwand ist. Ohne wissenschaftlichen Begleitapparat ist eine Publikation dieser Dokumente nämlich sinnlos, wenn nicht gar fahrlässig. Eine kritische Edition der "Erinnerungen" Friedrich Lodemanns hätte es zumindest erfordert, Begriffe, Ereignisse und Dokumente, auf die er sich bezieht, in einem Fußnotenapparat zu annotieren und seine oft unerträglichen Auslassungen zu korrigieren. Sein Sohn Jürgen Lodemann, dem ein ehrliches Bemühen um die kritische Aufarbeitung seiner Familiengeschichte nicht abzusprechen ist, beschränkt sich hingegen auf Einschübe, die wenig mit den Ausführungen seines Vaters zu tun haben beziehungsweise diese nur bestätigen sollen. Dadurch entsteht eine Aura von Authentizität, die Lodemanns Erinnerungen nicht zukommt und die ein völlig verzerrtes Bild vom NS-Regime vermittelt. Die Beweggründe eines Nationalsozialisten verstehen zu wollen, bleibt eine gefährliche Gratwanderung, wenn dies auf der Basis einer Rechtfertigungsschrift aus der Nachkriegszeit geschieht. Vielleicht sollte man eine solche Art der "Einfühlung" unterlassen und sich auf das geflügelte Wort der Madame de Staël besinnen: "Tout comprendre c'est tout pardonner".


Titelbild

Jürgen Lodemann (Hg.): Der grosse Irrtum. Die Erinnerungen des NSDAP-Mannes Friedrich Lodemann.
Berlin University Press, Berlin 2009.
160 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783940432483

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