Falsches Spiel unter falschen Freunden

Mit dem Geschichtslehrer Omar Yussuf nimmt in Matt Beynon Rees‘ Roman „Der Verräter von Bethlehem“ der erste palästinensische Ermittler der Literaturgeschichte seine Ermittlungen auf

Von Thomas HummitzschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Hummitzsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was gab es nicht schon alles für Schauplätze, an denen Kommissare das erste Mal den Ursprüngen und Motiven des Meuchelns und Mordens nachgegangen sind, um dann eine unaufhaltsame Karriere im literarischen Genre der Kriminalromane zu beginnen: das sündige Paris, London bei Nacht und Nebel, die Unterwelt von L.A., die feucht-warmen Gassen Bangkoks oder das heilige Jerusalem. Matt Beynon Rees ist jedoch ein besonderes Wagnis eingegangen. Mit dem palästinensischen Bethlehem wählte er ein nicht einfach zu beschreibendes Terrain für seinen Erstlingskriminalroman, stehen sich hier doch nicht nur Juden und Araber feindlich gegenüber, sondern auch die Christen erheben Ansprüche auf den Heiligenstatus der Stadt. Der Gefahr der sakral-geistigen und moralischen Überfrachtung scheint hier kaum Einhalt geboten. Dazu kommt, dass Bethlehem mit drei großen Flüchtlingslagern an seinen Stadtgrenzen gestraft ist. Die verschiedenen palästinensischen Fraktionen in der Stadt bekämpfen sich bis aufs Blut und produzieren eine Gesellschaft, in der jeder kampfesmüde Palästinenser automatisch zum Kollaborateur der Israelis erklärt wird.

Ein solcher soll es auch gewesen sein, der Luai Abdel Rahman den Israelis ans Messer geliefert haben soll. Kurz bevor er nachts das elterliche Haus betreten konnte, wurde der junge Brigadier hinterrücks erschossen. Aber wer hat Interesse an dem Tod des jungen Mannes: Waren es tatsächlich israelische Scharfschützen, die Luai niedergestreckt haben? Oder ist der junge Mann vielleicht einfach nur Opfer des alltäglichen Bandenkrieges? Hat er sich bei den Brigaden Feinde gemacht und muss nun Blutzoll zahlen? Oder ist er schlicht einer Familienfehde zum Opfer gefallen? Diese Fragen ziehen sich durch den gesamten Roman und werden bis zum Ende mit immer neuen Theorien untermauert.

Für die Märtyrerbrigaden steht schnell ein Schuldiger fest: George Saba, ein soeben aus Südamerika zurückgekehrter Christ, den die Faszination des Sakralen wieder nach Bethlehem geführt hat. In seinen Worten wird die verzweifelte Liebe zu dem heiligen Boden deutlich, der die Menschen im Nahen Osten am Leben erhält und selbst die einstmals Geflohenen zurückkehren lässt: „Aber irgendwann kommt der Tag, an dem man vom Geschmack echten Hummus, vom Anblick der in gleißendes Sonnenlicht getauchten Hügel, vom Klang der Kirchenglocken und den Rufen der Muezzins träumt. Man vermisst das alles so sehr, dass man die Sehnsucht regelrecht schmecken kann. Dann kommt man zurück, ganz gleich was man dafür aufgibt. Man kann einfach nichts dagegen machen.“

In „Der Verräter von Bethlehem“ gelingt es dem im walisischen Newport geborenen Matt Beynon Rees, der jahrelang für das New Yorker „Time Magazine“ als Bürochef in Jerusalem gearbeitet hat, das besondere und trotz aller Krisen doch irgendwie erhabene Lebensgefühl im Nahen Osten einzufangen: Die Mischung aus unbändigem Stolz und tief-trauriger Melancholie, die sich in den Augen der Menschen spiegelt. Die absurde Mixtur männlichen Chauvinismus und weiblicher Verantwortung. Die Verbitterung der Menschen, die selbst die süßesten Früchte nicht vertreiben können. Die permanenten inneren und äußeren Spannungen der palästinensischen Gesellschaft und die allgegenwärtigen religiösen (Schein-)Heiligkeiten der drei großen Religionen geraten dabei keinesfalls in den Hintergrund.

Mit der Verhaftung seines ehemaligen Schülers gibt es für Omar Jussuf, dem ersten palästinensischen Ermittler in der Geschichte der Kriminalliteratur, kein Zurück mehr. Bisher arbeitete er als Geschichtslehrer an einer UN-Mädchenschule. Sein Wissen und seine Lebenserfahrung vereinen das historische Erbe des Flüchtlingsdaseins seines Volkes. Er kennt die melancholischen Geschichten der Alten, die von ihren Olivenhainen im heutigen Israel träumen ebenso wie die militante Penetranz, mit der die Nachfolgegeneration diese Erzählungen missbraucht, um die palästinensische Jugend mit Hass und blinder Wut auf die Israelis zu infizieren. Als Lehrer sieht er seine Mission daher vor allem darin, seinen Schülern eine gesunde Portion Verstand mitzugeben, der sie davor behütet, der blinden Wut der Extremisten anheimzufallen.

Sowohl der nun beschuldigte George Saba als auch die hinterbliebene Witwe des jungen Mannes, Dima Abdel Rahman, gehörten zu seinen besten Schülern. Wenn es ein Vermächtnis von ihm geben sollte, dann war es die Hoffnung in George Saba und Dima Abdel Rahman. „Nach all den Jahren des Lehrens und Kämpfens, nach seinen Zweifeln, ob er in der Lage sein würde, etwas im Leben seiner Schüler zu bewegen, bewahrte ihn nur die Hoffnung, dass er tatsächlich in ihrem Leben Spuren hinterlassen hatte, ihnen Wissen, Lebensweisheit und Güte beigebracht hatte, vor völliger Verzweiflung.“ Als nur wenige Tage nach dem Tod des jungen Kämpfers auch noch dessen junge Witwe Dima geschändet und ermordet sowie daraufhin George Saba in einem Schauprozess ohne Beweise zum Tod verurteilt wird, steht Jussufs Entscheidung fest: Er muss bis zur Bestätigung des Urteils durch den Präsidenten die Hintergründe der beiden Morde an dem jungen Paar herausfinden und den wahren Täter identifizieren. Ansonsten endet sein Vermächtnis mit seinem ehemaligen Schüler und angeblichen Kollaborateur vor dem Erschießungskommando. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Dabei begibt er sich in eine skrupellose und machbesessene Welt, in der jedes Mittel recht ist, um die eigene Position zu verbessern. Einem Anschlag entgeht der private Ermittler nur knapp.

Geschickt hat Rees die palästinensischen Realitäten in seinen Roman eingesponnen. Er beschreibt, wie die gemäßigten Palästinenser den extremistischen Gruppierungen hilflos ausgeliefert sind. Wie diese ihre Kinder und Kindeskinder zu antijüdischen „Märtyrern“ aufstacheln und die palästinensischen Sicherheitskräfte nahezu machtlos sind gegenüber den einflussreichen Familienklans, Terrorgruppen und selbsternannten Freiheitskämpfern. Deren inoffizielle Beziehungen zur Regierung schützt sie vor Strafverfolgung und Ermittlung jeder Art und bindet den offiziellen Sicherheits- und Ordnungskräften die Hände. Unter den extremistischen Kämpfern selbst herrscht eine geheuchelte Verehrung der Anführer, während unter dem orientalischen Teppich der Brüderlichkeit ein Krieg um Macht und Einfluss tobt. Auch die Tiefpunkte der jüngeren palästinensischen Geschichte nimmt Rees geschickt mit auf und verarbeitet so literarisch die Erlebnisse, von denen er als Journalist noch sachlich berichtet hat. Neben den innerpalästinensischen Machtkämpfen finden vor allem zwei Ereignisse expliziten Eingang in sein Buch. Sowohl der Lynchmord an zwei israelischen Reservisten vom Oktober 2000 als auch der Rückzug von rund 200 Palästinensern in die Bethlehemer Geburtskirche im Frühjahr 2002 werden indirekt in den Fall um den „Verräter von Bethlehem“ aufgenommen. An Kritik an einer Gesellschaft, in der sich die Verbrecher „selbst zum Gesetz machen“, indem sie auf ein paar Soldaten schießen und damit zu unangreifbaren Widerstandskämpfern werden, lässt es Rees nicht mangeln. Und so findet auch die absurde Verehrung der sogenannten Helden, die sich mit einem Sprengstoffgürtel um den Hüften blindwütig in israelische Menschenansammlungen stürzen, in Rees‘ Debüt eine deutliche Verurteilung.

Mit seinem literarischen Auftakt gelingt Rees sogleich der Sprung in die Ehrenhalle der Krimiautoren. Die internationalen Kritiker verglichen seinen Debütroman nach Erscheinen mit den Arbeiten von Graham Greene, John Le Carré, Georges Simenon and Henning Mankell, der französische „L’Express“ bezeichnete Rees als „Dashiell Hammett von Jerusalem“. Im Magazin der amerikanischen „Library Association“ fand „Der Verräter von Bethlehem“ einen Platz unter den zehn besten Krimis 2007. Der Dramaturg und Filmemacher Sir David Hare kürte Omar Yussufs ersten Fall im englischen „Guardian“ sogar zum Buch des Jahres. Freizeitkommissar Omar Yussuf fand sogleich Aufnahme in die Spitzenriege internationaler Ermittler der Kriminalliteratur. Es finden sich Vergleiche mit Agatha Christies Miss Marple, mit Ian Rankins Kommissar John Rebus oder mit Andrea Camilleries Inspektor Montalbano.

In 16 verschiedenen Ländern und in insgesamt neun Sprachen ist Rees Kriminaldebüt inzwischen erschienen. Yussufs zweiter Fall ist bereits fertig und wird im Gazastreifen spielen. In diesem Jahr erschien bereits der dritte Band im englischsprachigen Original, in dem Omar Yussuf in Nablus ermittelt. Wenn die deutsche Übersetzung im nächsten Frühjahr erscheint, produziert Rees bereits den vierten Fall für Omar Yussuf. Mit „Der Verräter von Bethlehem“ legt der C.H.Beck-Verlag daher den Auftakt einer viel versprechenden Kriminalreihe auf, die nicht nur hochspannend ist, sondern dem Leser auch einen einmaligen Zugang zur palästinensischen Gesellschaft verschafft. Rees’ Buch ist ein kriminalistisches Glanzstück, welches journalistisches Faktenwissen mit literarischem Einfallsreichtum aufs Vortrefflichste miteinander verbindet. „Der Verräter von Bethlehem“ ist ein Muss für jeden Anhänger der Kriminalliteratur und zugleich höchst empfehlenswert für jeden Nahostinteressierten.

Titelbild

Matt Beynon Rees: Der Verräter von Bethlehem. Omar Jussufs erster Fall.
Übersetzt aus dem Englischen von Sigrid Langhaeuser.
Verlag C.H.Beck, München 2008.
327 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783406570353

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