Mindestens so glaubhaft wie ein Geschichtsbuch

Robert Bracks Roman „Unter dem Schatten des Todes“ erzählt vom Reichstagsbrand 1933

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Hamburger Schriftsteller und Journalist Robert Brack hat in den Jahren 2008 und 2010 Bücher veröffentlicht, deren Inhalte stark historisch geprägt sind und die in den frühen 1930er-Jahren spielen. „Und das Meer gab seine Toten wieder“ erzählt von der Suche nach den Hintergründen zweier toter Polizistinnen, die bei der Weiblichen Kriminalpolizei (WPK) in Hamburg gearbeitet hatten und deren Leichen 1931 auf der Insel Pellworm auftauchten. In „Blutsonntag“ geht es um den 17. Juli 1932, den sogenannten Altonaer Blutsonntag, dem 18 Menschen zum Opfer fielen, als es aufgrund eines SA-Aufmarsches zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam.

Nun, zwei Jahre später, hat Robert Brack sich erneut mit einem historischen Datum und Ereignis beschäftigt und seine Chronologie fortgeschrieben: In „Unter dem Schatten des Todes“ lässt er den Leser an seiner Version des Reichstagsbrandes vom 27. Februar 1933 teilhaben, einer Version, die mindestens ebenso glaubhaft ist, wie die nach wie vor strittigen und unterschiedlichen Meinungen der Historiker (siehe auch Bracks Film auf www.youtube.com).

Das Buch beginnt in Dänemark, wo sich die kommunistische Journalistin Klara Schindler aufhält, weil sie nach einer Aktion am Blutsonntag untertauchen musste. Dieses Exil muss sie nun verlassen, weil die Kommunistische Internationale sie beauftragt, als „The Times“-Journalistin getarnt, die wahren Hintergründe des Brandes herauszufinden. Bei ihren Recherchen stößt sie auf die unterschiedlichsten Personen, sie trifft Mitläufer der Nazis, ultralinke Aktivisten, Pseudo-Bohèmiens und natürlich jede Menge Braunhemden.

Einmal gerät sie auf einer ihrer Fragetouren in eine SA-Razzia und muss miterleben, wie grausam und menschenverachtend die selbsternannten Herrenmenschen auftreten. Doch Klara Schindler findet auch Unterstützer, triftt auf alte Bekannte und bahnt sich ihren krummen und beschwerlichen Weg mit viel Courage. Und immer näher kommt sie dem von den Nazis als angeblichem Alleintäter verhafteten Holländer Marinus van der Lubbe, der ein über vier Meter hoch gelegenes Fenster am Reichstagsgebäude erklommen und mit ein paar Kohlenanzündern den ganzen Reichstag in Brand gesteckt haben soll.

Klaras Recherchen dokumentieren in gewisser Weise auch die des Autors, der manchmal den Fakten, Hintergründen und Details zu viel Raum gibt und dadurch die Lektüre etwas trocken werden lässt. Doch schnell ist der erfahrene und mit dem Deutschen Krimipreis dekorierte Robert Brack wieder auf der Spannungsebene, die er souverän bedient und somit den Leser für seine Mühen entschädigt. Ein angehängtes Glossar führt en détail die Organisationen und Publikationen jener Tage auf, warum auf ein Personenverzeichnis verzichtet wurde, ist nicht nachvollziehbar.

Und noch ein paar Worte zur Gestaltung der Hauptfigur: Das hat Brack sehr geschickt gemacht, denn Klara Schindler, diese kantige lesbische junge Frau, tritt in „Und das Meer gab seine Toten wieder“ noch als Nebenfigur auf, in die sich die Hauptfigur, die englische Kriminalbeamtin Jennifer Stevenson, verliebt. In „Blutsonntag“ ist sie dann die zentrale Figur, ebenso wie im vorliegenden Buch. Ob man Klara grundsätzlich sympathisch findet, muss der Leser für sich selbst herausfinden. Robert Brack hat sie recht widersprüchlich angelegt, ihre manchmal fast schon trotzigen Provokationen wirken spätpubertär, etwa wenn sie vornehmlich Männern ihren Zigarettenrauch absichtlich ins Gesicht bläst. Dann wieder ist sie mutig und furchtlos, meist sehr klar im Denken und in ihrer Argumentation, Brack lässt sie gegen Ende in einer großartigen und atemlosen Szene sogar auf Hermann Göring treffen. Wo es mit ihr hingehen wird, lässt „Unter dem Schatten des Todes“ offen, das in einem wahrhaft freiheitsliebenden und hoch pathetischen Akt gipfelt.

Robert Brack hat eine erstaunliche Entwicklung als Autor genommen. In den späten 1980er-Jahren hat er seine ersten Kriminalromane um die Journalisten Tolonen und Kreissberg verfasst, dann das bis heute nicht vollendete Gangsterbüro erschaffen (siehe auch seine Webseite), um dann unter dem Pseudonym Virginia Doyle zwölf weitere Romane zu schreiben, darunter die großartige historische St. Pauli-Trilogie. Mit der jungen ungestümen Lenina Rabe ist er in Form dreier Romane wieder in die Altonaer Gegenwart zurückgekehrt. Mit den hier vorgestellten Romanen um Klara Schindler hat er sich nun erneut der Vergangenheit, explizit der politischen Geschichte angenommen.

Titelbild

Robert Brack: Unter dem Schatten des Todes. Roman.
Edition Nautilus, Hamburg 2012.
223 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783894017521

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