Die neue (Lese-)Lust

Zur Inszenierung des weiblichen Begehrens in E. L. James „Shades of Grey“ – Trilogie

Von Daniela OttoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniela Otto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Harte Hiebe oder zarte Liebe? In „Shades of Grey“, dem Buch, das die Welt momentan bewegt wie kein zweites, dreht sich unter dem Deckmantel des Softpornografischen doch alles nur um das große Gefühl. Die Romantrilogie der englischen Autorin E. L. James um die junge Anastasia Steele und ihren abgründigen Geliebten Christian Grey ist weit davon entfernt, große oder gar großartige Literatur zu sein, ein weltweites Phänomen ist sie jedoch allemal. Neben der klassischen Liebesgeschichte steht vor allem eines im Fokus der Handlung: Die Herausbildung eines autonomen weiblichen Begehrens. Und dies bedarf der Beachtung.

Es ist eine Crux mit der weiblichen Lust. Sie ist geradezu fatal, legitimierte sie sich doch jahrhundertelang primär ex negativo. Wenn im viktorianischen England der Engel im Haus gefeiert wurde, so wurde damit auch ein Frauentypus beschworen, der sich durch das fundamentale Fehlen des subjektiven Begehrens auszeichnete. Eine Frau, die Lust empfand, wurde schnell zum gefallenen Mädchen. Die Literatur ist voll von diesen tragischen Protagonistinnen und drastischer als Bram Stokers Klassiker „Dracula“ kann wohl kein Roman zeigen, was mit der lüsternen Heldin geschehen musste, wollte man die gesellschaftliche Ordnung nicht gefährden: Lucy, von Dracula verführt und vom sexuellen Verlangen ergriffen, wird am Ende von den männlichen Helden phallussymbolisch gepfählt, die biedere Sexualmoral des 19. Jahrhunderts obsiegt. Eine Frau, die damals Sex wollte, war keine Frau im moralischen Sinne. So war das vor mehr als hundert Jahren. Alles längst Vergangenheit? Es scheint bei weitem nicht so. Auch E. L. James Muse Stephenie Meyer, die das „Twilight“-Imperium erschuf und damit an die Vampirromantradition anknüpfte, kreierte mit ihrer Heldin Bella Swan eine biedere Protagonistin ganz im Sinne der prüden amerikanischen Sexualmoral. In der „Biss“-Reihe gibt es erst nach der Ehe Geschlechtsverkehr. Davor wird nur geschmachtet. Aber wie.

Die begehrende Frau ist selbst heute noch allzu oft vom Hauch des Anrüchigen umgeben. Der (begehrende) männliche Blick hingegen ist legitimierte kulturelle Norm. Es ist daher bemerkenswert, dass die „Fifty Shades“-Trilogie, die weltweit die Belletristik-Bestsellerlisten anführt, einen Bruch mit dieser Tradition provoziert und eine Geschichte der weiblichen Lust aus der weiblichen Perspektive erzählt. Im Mittelpunkt der Handlung steht die unorthodoxe Liebesgeschichte zwischen der jungen Anastasia Steele und dem schwerreichen Christian Grey, der die College-Absolventin in einen Strudel aus obsessivem Begehren, sadomasochistischem Sex und vorsichtigen Gefühlen zieht. Der Plot allein ist nicht der Rede wert, es passiert viel Belangloses, Emails werden geschrieben und versendet, Musik wird gehört und im Auto gefahren. Auch die Dialoge, die irgendwo zwischen Liebesgesülze („Sieh nur, wie du von innen heraus leuchtest, Anastasia“) und dirty talk („Komm schon, Ana, gib’s mir“) oszillieren, sind klischeehaft und banal. Dabei hinkt die deutsche Übersetzung dem englischen Original deutlich hinterher. Gerade das Bettgeflüster des hormongeladenen Paares wirkt im Englischen dann immerhin doch lasziver, flüssiger, eingängiger. Und auch die obligatorische Verabschiedungsfloskel des Schönlings – „Laters, baby“ – die bei den Fans im Netz schon Kultcharakter angenommen hat – wird leider nur zu einem fahlen und machistischen „Ciao, ciao, Baby“.

Interessant ist jedoch, dass die beiden Protagonisten analog und konventionell im Sinne eines Bildungsromans konstruiert sind: Während die Literaturstudentin eine eigenständige Sexualität entwickelt, bildet der in seiner Kindheit traumatisierte Unternehmer eine gesunde Emotionalität heraus. Der Schönling Christian, der als Kind missbraucht wurde und dessen Wunden aus der Vergangenheit immer noch bluten, lernt zu lieben. Ana, so der Spitzname der Protagonistin, lernt, was es heißt, Lust zu empfinden, diese exzessiv auszuleben und selbst die Grenzen zu bestimmen. Dabei ist die ödipale Figurenkonstellation der beiden Hauptcharaktere auffallend: Ana sieht aus wie Christians leibliche Mutter, eine „Crackhure“, die ihn sträflich vernachlässigte, starb, als er vier war und ihrem Sohn ein tiefes Trauma verpasste. Im zweiten Band, der genau wie der dritte bislang nur auf Englisch vorliegt, wird es heißen, der „Rote Raum der Schmerzen“, das sexuelle Spielzimmer des Jungunternehmers, sei „womblike“, also einem Uterus gleich. All dies deutet auf Greys Regressionsbedürfnis hin, all dies bezeugt seine tiefe Sehnsucht nach der reinsten Liebe überhaupt, der bedingungslosen Mutterliebe, die er nie erfahren durfte. Für Ana hingegen ist Grey nicht nur Liebhaber, sondern auch Vaterfigur. Wenn er bestimmt, was sie zu tun und zu lassen hat; wenn er die Führung übernimmt, sie beschützt und gegenüber anderen Männern verteidigt; wenn er ihr einen Regelkatalog vorlegt, wenn er sie bevormundet, sie wie ein Kind behandelt. Doch all diese dominante Bestimmtheit macht den Reiz des Milliardärs aus. Das eigene Leben in diese väterlichen Hände zu legen, erscheint seltsam attraktiv. Ja, es steckt viel Freud in diesen Büchern.

Die „Fifty Shades“-Trilogie mag erotische Literatur sein, reine Pornografie ist sie keinesfalls. Gewiss, Ana lässt sich auf Christian und damit auf dessen Neigung für Sado-Maso-Spielchen ein und ja, es werden viele Sexszenen geschildert. Die wahren Machtkämpfe werden jedoch nicht im Bett ausgefochten, sondern im Alltag, zum Beispiel wenn Ana ihre berufliche Kariere eigenständig vorantreiben will. Sie ist keine schwache Heldin und keine unrealistisch starke. Sie hat das Potential, Identifikationsfigur für viele Frauen zu sein, die erst lernen müssen, was es heißt zu wissen, was man will, gerade in sexueller Hinsicht. „Shades of Grey“ beschreibt die Unsicherheiten weiblicher Sexualität plausibel und erzählt, wie eine Jungfrau den Weg zu sich, ihrem Körper und ihrer Sexualität sucht. Dabei wird offenkundig, dass dies nicht nur ein leichter Weg ist.

So ist die Problematisierung des Essens ein deutlicher Subtext der Romane, der den Leser mit einem unwohlen und enervierten Gefühl zurück lässt. Denn nicht nur aus psychologischer Hinsicht ist die Unlogik, dass eine zur Anorexie neigende Figur sexbesessen ist (die Ablehnung des eigenen Körpers wäre wahrscheinlicher), eklatant, sondern es ist auch ärgerlich, dass E. L. James ihre Heldin hier so ‚im Stich lässt‘. Im Sinne eines sprechenden Namens kann Ana auch als Abkürzung für Anorexia stehen – Ana verliert im Verlauf der sich über drei Bände erstreckenden Handlung ständig an Gewicht, will nicht essen, kann nicht essen, weigert sich zu essen. Wieder ist es Christian, der sie regelrecht dazu zwingt. Dabei ist gerade die sexuelle Lust eng verbunden mit der Lust an der Nahrungsaufnahme. Nicht ohne Grund beißen und saugen Vampire gerne Blut. Während Ana nicht isst, verschlingen jedoch Millionen von primär weiblichen Leserinnen dieses Buch. Der Lesehunger, die Lesegier greift um sich. Auch Lesen macht Lust. Die deutsche Ausgabe mag durch ihr handschmeichelndes Cover, das der samtweichen Haptik eines Blütenblattes nachempfunden ist, bestechen, doch sie enthält dem Leser das aufregende Rezeptionsversprechen vor, mit dem die englischen Bücher locken: „This is a novel that will obsess you, posess you, and stay with you forever“, heißt es auf dem Buchumschlag und diese Zeilen reflektieren die Beziehung Anas zu Christian. Was hat es mit diesem Versprechen also auf sich? Kann uns das Buch betören? Können wir der Lektüre verfallen, auf immer und ewig sogar? Während hohe Schreibkunst aus literaturkritischer Sicht anders aussieht, sprechen zumindest die Rekordverkaufszahlen für sich. Frauen weltweit schwärmen für diesen Roman, kaufen ihn, lieben ihn. Und Qualität hin oder her, es ist erfreulich, dass die Leserinnen dieses Buch, welches das weibliche Begehren so deutlich zur Schau stellt, selbstbewusst in der Hand halten, damit in Bahn oder Bus fahren und sich mit dieser erotischen Lektüre sehen lassen können. Ohne zu erröten. Wie sich das früher gehört hätte.

Titelbild

E L James: Fifty Shades Trilogy.
3-Volume Boxed Set.
Random House, München 2012.
20,95 EUR.
ISBN-13: 9780345804044

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

E L James: Shades of Grey. Befreite Lust. Band 3. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Andrea Brandl und Sonja Hauser.
Goldmann Verlag, München 2012.
667 Seiten, 12,99 EUR.
ISBN-13: 9783442478972

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E L James: Shades of Grey. Gefährliche Liebe. Band 2. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Andrea Brandl und Sonja Hauser.
Goldmann Verlag, München 2012.
603 Seiten, 12,99 EUR.
ISBN-13: 9783442478965

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

E L James: Shades of Grey. Geheimes Verlangen. Band 1. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Andrea Brandl und Sonja Hauser.
Goldmann Verlag, München 2012.
601 Seiten, 12,99 EUR.
ISBN-13: 9783442478958

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