Kochen als Revolution

Über Lawrence Norfolks Roman „Das Festmahl des John Saturnall“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Hauptfigur des neuen Romans von Lawrence Norfolk, bekannt durch den Bestseller „Lemprière’s Wörterbuch“ (1992), ist keine Person, sondern ein Ereignis: Das Festmahl. Dieses Festmahl ist eine Metapher, die sich im Laufe der Geschichte nach und nach für den Leser entschlüsselt. Handlungstragende Hauptperson, aus deren Perspektive der Erzähler berichtet, ist der Koch John Saturnall. John wächst im England des 17. Jahrhunderts auf. Er verliert seine Mutter, als diese in den Verdacht gerät, eine Hexe zu sein. Er flieht in das Herrenhaus von Buckland, das er aus den Erzählungen seiner Mutter kennt, die dort vor seiner Geburt gearbeitet hat. Versehen mit einem geheimen Wissen von Pflanzen, Kräuter und der Natur steigt er in der Hierarchie der Küche des Herrenhauses langsam zum Koch auf, gefördert durch den Meisterkoch des Herrenhauses. Nebenbei verliebt er sich noch in Lucretia, die Tochter des Hauses. Entsprechend wird eine seiner Bestrebungen sein, Lucretia mit seinen Küchenkünsten von seiner Zuneigung zu ihr zu überzeugen. Erläuterungen zu seiner Taktik findet man in seinem – fiktiven – „Buch des John Saturnall“, aus dem in Auszügen immer an den Kapitelanfängen zitiert wird.

Jedes Kapitel beginnt mit einer Bildtafel, auf der zeitgenössische Gegenstände aus der Küche abgebildet sind. Dann folgt ein Auszug aus „Das Buch des John Saturnall“, dem persönlichen Kochbuch des Protagonisten. Über die betörende Wirkung des Essen lässt er sich detailliert aus: „Wie man mir sagte, bieten die Spanier einander im traulichen Beisammensein das Lendenstück eines frischgeborenen Ferkels, und dieses Fleisch wird in Öl geröstet, gewürzt und zerteilt. Die Franzosen halten einander vor ihre Leckermäuler jene Vögel, die wir Feigenfresser nennen, gebraten und mit Zucker bestäubt und oftmals nicht einmal gerupfte. Die Liebenden des Herzogtums Bayern verzehren süße Knödel aus Schweinefleisch, und jene aus Preußen knuspern kleine Kekse, die sie nach den Brustwarzen ihrer ersten Herrscherin Widewuta benennen. Die Römer essen fleißig Knoblauch und die Ungarn gar noch mehr, und auf den Märkten von Sidon zahlen liebeskranke Männer jeden Preis für ein zuckerbestäubtes Gelee, aus dem Rosenduft aufsteigt und das keine verhüllte Jungfrau kosten kann, ohne sich hinzugeben.“

Dabei ist die Metapher des Festmahls immer präsent. Ob als Hochzeitsmahl für seine Angebetete oder als Speisung der ganzen Belegschaft des Herrenhauses in schwierigen Zeiten. Sogar, oder besonders, in Kriegszeiten ist das Festmahl, nach dem sich der Koch sehnt, ein Symbol für Frieden und Freiheit. Vor allem wird dies deutlich, wenn er sich an die Erzählungen von seiner Mutter erinnert, die sich noch an einen paradiesähnlichen Gesellschaftszustand erinnern kann: „Die anderen Gärten, erinnerte sich John. Saturnus’ vor langer Zeit verstorbenes Volk in seinem längst vergangenen Garten. Doch was war mit ihrem eigenen Fest? Mit seinem Fest und dem seiner Mutter? / ‚Doch dann kamen ihre Feinde‘, fuhr seine Mutter fort. ‚Sie verehrten einen anderen Gott. Einen eifersüchtigen Gott. Seine Priester nannten ihn Jehova. Sie schmähten Saturnus als eitlen Götzen, der sein Volk zur Sünde verführt habe. Ihre Eintracht sei Sinneslust, sagten die Priester. Ihr Behagen sei Faulheit. Ihr Fest sei Gier.‘“

Aber Religion und Habgier, Neid und Missgunst sind die Feinde solcher Ideen. Die Herrscherwechsel in England und vor allem die Regierungszeit von Oliver Cromwell (1599-1658) bieten keine gute Grundlage für die Ideen des Kochs, die an die freiheitlichen Vorstellungen der „Leveller“ im England des 17. Jahrhunderts erinnern. Der zeitweilige Purismus und die rigiden Religionskonzepte waren den Ideen eines „üppigen Festmahls von Gleichen unter Gleichen“ diametral entgegengesetzt.

Norfolk lässt eine lebendige Welt des 17. Jahrhunderts vor seinen Lesern entstehen. Er lotet die Küche als Kosmos und Paradigma für eine Welt im Umbruch aus und belebt diese eigentlich theoretischen Überlegungen mit lebendigen Charakteren und Romanfiguren. Und die Motivation von John Saturnall wird immer dann besonders deutlich, wenn er nicht an den äußeren Widrigkeiten seines Lebens verzweifelt und sein Ziel im Auge behält: „Holzscheite stießen in Körben dumpf aneinander. Feuer prasselten in den Herden. Unter dem Gewölbe der Küche wogte eine Wolke aus Aromen. John schlief unruhig, lag auf seiner Bettstatt und starrte zur Zimmerdecke, nicht anderes als das Festmahl im Sinn.“

Das Festmahl ist der Ort, an dem alle beieinander sitzen, gemeinsam essen und einen Ort finden, an dem man sich auf gleicher Höhe begegnen kann. In einem Resümee zieht John seine Erkenntnisse in zwei Sätzen zusammen, die man auch als Motto dem Buch hätte voranstellen können: „Ein Koch ist nicht allein, obwohl man das einst zu mir gesagt hatte. Und das Fest gehört nicht ihm allein, obwohl ich das einst glaubte.“ Norfolk hat ein wirklich großartiges und unterhaltsamen Buch geschrieben, dem in diesem Fall auch noch eine kompetente und wortgewandte Übersetzung in die deutsche Sprache von Melanie Walz zuteil wurde. Mehr kann man kaum erwarten. So macht man Leser glücklich!

Titelbild

Lawrence Norfolk: Das Festmahl des John Saturnall. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Melanie Walz.
Knaus Verlag, München 2012.
448 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783813503661

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch