Große Erwartungen

Über das „Festival des deutschen Films“ in Ludwigshafen

Von Katja WarstatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katja Warstat

Industriepark, Billigläden und kaum Bäume – so präsentiert sich die Stadt Ludwigshafen 347 Tage im Jahr. Die verbleibenden (unlängst auf 18 aufgestockten) Tage jedoch stehen im großen Gegensatz zu diesem Bild industrieller Kultur. Dann werden Zelte am Rhein aufgeschlagen, silberne Lampengebilde aufgehängt und der rote Teppich ausgerollt: Es beginnt das Festival des deutschen Films.

Dabei mag zwar das Ambiente eine Hollywood-Szenerie vorgaukeln, doch erscheint die Aufgabe, die sich die Veranstalter vor acht Jahren stellten, weitaus ambitionierter als eine bloße Integration amerikanischen Kulturguts in die deutsche Filmwelt. Hier geht es nicht um Glamour, hier geht es um Kunst. So zumindest hält es die 2005 eigens für das Festival erstellte und von 22 Schauspielern, Regisseuren und Produzenten unterzeichnete Ludwigshafener Position fest, die besagt: „Der deutsche Film wird Kunst sein oder er wird nicht sein.“

Über diese Haltung könnten das feine Essen, der Flussblick und ein Großteil der BesucherInnen leicht hinwegtäuschen, wenn da nicht die kritischen Gespräche mit den FilmemacherInnen und natürlich die Auswahl der Filme wären. Die Kategorien reichen von Wettbewerb (unter anderem wird ein Publikumspreis vergeben) bis hin zu Lichtblicke und werden vor jeder Vorführung mit einem Gongschlag und großer Seriosität angekündigt.

Erstaunlich ist, dass die darauffolgenden Filme – mögen sie auch nicht dem entsprechen, was man gemeinhin unter einem Kunstfilm verstehen könnte – eine so große Bandbreite abdecken und dabei oftmals Altes neu aufbereiten oder Neues vorstellen, dass man durchaus davon sprechen kann, das Kino hier sei „[…] der Ort […], an dem der Blick der Zuschauer aufgerissen und neu auf die Welt gerichtet wird.“ (Ludwigshafener Position 2005).

So sticht der Film „Lore“ von Cate Shortland nicht durch seine Handlung, die sich um die Flucht der Kinder eines hochrangigen Nazi-Offiziers durch Deutschland dreht, sondern durch die ungewöhnlich hohe Ästhetik, die in vielen Szenen an einen der Filme Lars von Triers erinnert, hervor. Dennoch ist „Lore“ kein Nazi-Horror-Schocker, sondern hinterlässt trotz Schwächen in der Dramaturgie den Eindruck eines sehr künstlerischen Films.

In der gleichen Zeit, knapp drei Jahre früher, spielt „Ende der Schonzeit“, ein Film von Franziska Schlotterer. Er erzählt von einem Juden, der bei einem deutschen Bauernpaar unterkommt und – halb auf Anregung des Bauern selbst – eine Affäre mit der Bauersfrau beginnt. Während der vorherige Film durch seine Ästhetik überraschte, ist es hier die Komik, die sich trotz der sehr ernsten Thematik durch den Film zieht und ihn so von anderen seiner Art abhebt. Den Zuschauer über die empfundene Komik einer ernsten Situation hin zum Nachdenken – auch über die eigene Reaktion – zu verführen, gelingt „Ende der Schonzeit“ jedoch leider nicht und so wirken einige ernste Szenen unpassend und oder gar gewaltsam eingefügt.

Ganz anders steht es um Kirsi Marie Liimatainens „Festung“, ein Film über häusliche Gewalt und den innerfamiliären Umgang mit derselben. Mit erschreckender Präzision und Eindringlichkeit fokussiert die Kamera die offensichtlichen körperlichen Verletzungen und zeigt die vergeblichen Versuche der Kinder, sich aus der Situation zu befreien. Besonders augenfällig ist jedoch die konsequente Ablehnung jedweder Hilfe von Außen, die erst einreißt, als die Mutter teilnahmslos und mit schweren Verletzungen tagelang im Bett verharrt. Angesichts der realistischen Darstellungen physischer und psychischer Gewalt, eingebettet in eine deutsche Kleinstadtidylle, kann sich der Zuschauer der offensichtlichen Botschaft (es ist nicht alles Gold, was glänzt) kaum entziehen.

Das Festival des deutschen Films bietet jedoch nicht nur schwere Kost. Neben Kartoffelcurry und Salaten finden sich in der Reihe Kinderfilme sowohl ältere Stücke der Augsburger Puppenkiste und Märchen als auch aktuelle Streifen wie zum Beispiel „Die Vampirschwestern“ von Wolfgang Groos. Den kindlichen Ansprüchen gerecht, in gelöster Atmosphäre und mit verspielten Bildern, schafft es der Film, ein Konzept von Toleranz zu erzeugen und die Erkenntnis zu vermitteln, dass jeder Mensch ein bisschen anders sein kann, aber dennoch ein Mensch (oder wie in diesem speziellen Fall Halbvampir) bleibt.

Die Kinderfilme bringen außerdem ein Gadget für die Eltern mit sich: während der regulären Vorstellungen kann der Nachwuchs nach der Kindervorstellung die Medienschule besuchen. In der Medienschule werden dann das zuvor Gesehene – pädagogisch aufbereitet – besprochen, Besonderheiten der Filme herausgearbeitet und interessante Szenen durch die Kinder nachgestellt, so dass nicht nur ein Bewusstsein für die Inhalte der Filme selber, sondern auch für das Medium Film und dessen Abstand zur Realität entstehen kann.

Leider kann das Festival nicht immer durch die Auswahl der Filme an seine ursprünglichen Ambitionen anknüpfen. Streifen wie „Drei Stunden“ von Boris Kunz erinnern zu stark an das Programm des privaten Free-TVs. „Drei Stunden“ präsentiert dem Zuschauer eine nette Liebesgeschichte – aber eben auch nicht mehr. Er erfüllt alle Erwartungen des Genres und traut sich nicht, Sehgewohnheiten oder gängige Klischees zu durchbrechen. So bleibt der Film rosa statt, wie programmatisch gefordert „[…] rot wie das Blut und die Liebe.“ (Ludwigshafener Position 2005).

Insgesamt erweckt das Festival in Ludwigshafen den Eindruck sowohl auf der Ebene der Kinotechnik als auch atmosphärisch, professionell umgesetzt worden zu sein. Und das, obwohl dieses Jahr nicht wie jedes ist. Denn was sich eigentlich auf der Parkinsel mitten im Rhein, eingekesselt von Ludwigshafen und Mannheim, abspielt, musste auf Grund des Hochwassers ans Ludwigshafener Ufer verlegt werden. Mit erstaunlichem Einsatz wurden innerhalb weniger Tage neue Zelte aufgebaut, und auch wenn man während der Vorführungen vielleicht ein wenig zu viel von seiner Außenwelt mitbekommt, wirkt die Filmübertragung doch kinoreif.

Jedoch hinkt das Festival an anderer Stelle, denn es wird nicht bei allen der ausgewählten Filme deutlich, wie sie den Ansprüchen der Ludwigshafener Position genügen können. Dennoch sorgt die Veranstaltung für gute, oft ungewöhnliche Unterhaltung, die in vielen Fällen ein intensiveres Auseinandersetzen mit dem Gesehenen und vielleicht auch mit dem Medium Film selbst nach sich ziehen kann. Ein Besuch lohnt sich.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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