Unterlebensgroß

Martin Mandlers Debütroman „23 Tage“ erzählt von überhöhten Erwartungen an das Leben, Minderwertigkeitsgefühlen und dem Wunsch einer Generation, etwas darzustellen

Von Antonia FéretRSS-Newsfeed neuer Artikel von Antonia Féret

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„23 Tage“ heißt der Debütroman des Tiroler Autors mit dem alliterierend wohlklingenden Namen Martin Mandler. Das schmale Buch erzählt und wird erzählt von einem jungen Mann, der an seinem Anspruch auf Bedeutung vor sich und der Welt beinahe ebenso zerbricht wie seine Beziehung zu Laura. Der namenlose Protagonist ist von manifestierter Lebensverzweiflung gezeichnet weit vor einer Midlifecrisis. Seine Freundin ist für den Zeitraum von dreiundzwanzig Tagen nach London zu einem anderen, einem erfolgreicheren, berühmteren Mann gefahren und hat ihn mit der Angst um ihre Beziehung allein gelassen. Er ergeht sich nun in alltäglichen kleinen Beobachtungen und Erinnerungen, seiner Einsamkeit und dem Scheitern an den Marginalien des Lebens, weil sie nicht bedeutsam genug sind, ihn nicht bedeutsam genug erscheinen lassen. Immer wieder spielen Suizidgedanken eine Rolle. Mandler schafft so eine melancholische, von Angst und Traurigkeit dominierte Atmosphäre für sein Thema, die Überzeugung des Protagonisten von seiner eigenen Minderwertigkeit und Unfähigkeit, das Leben in vermeintlich angemessener Weise zu gestalten. Das Scheitern am Anspruch, bedeutungsvoll zu leben, wo die eigentliche Herausforderung schlicht überleben heißt. Es ist auch eine Sehnsucht nach Liebe, Nähe oder auch einfach nach menschlicher Gesellschaft und Vertrautheit, nach dem Wahrgenommenwerden, die den jungen Mann umtreibt. Mit dieser Thematisierung der Vereinsamung und Vereinzelung ist das Buch hochaktuell.

Mandler zeichnet seinen Protagonisten sensibel und verletzlich. Dieser ist sich seiner Selbstmitleidigkeit schmerzlich bewusst und schämt sich ihrer. Ein einziges Mal trifft er jemanden, der ihn und seinen Schmerz versteht: Jane, die nur Imagination ist. Über die Kraft, seinem Leben eine entscheidende Wendung zu geben, verfügt er nicht.

Mandlers Sprache ist feinsinnig, intelligent und ihrem Sujet angepasst. Mit ihrer emotionalisierenden Wirkung transportiert sie die Stimmung. Trotzdem gibt es etwas zu viel Redundanz, die unnötige Seiten füllt, und eine umständliche Syntax, über die man immer wieder stolpert. Einige unvollständige Sätze, die vielleicht einen inneren Monolog des Erzählers anzeigen sollen, irritieren beim Lesen eher, als dass sie die Aufmerksamkeit fördern. Es gibt ein paar offensichtlich (gewollt? ungewollt?) falsche Sätze wie: „Es ist eines der Lieder, die ich schon seit Jahren mit mir herumtrage, die ich seit jenem Abend, an dem mir Laura über den Weg gelaufen ist.“ Da es aber auch sonst einige Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler gibt, sollte man solche Stellen vielleicht nicht überinterpretieren. Es handelt sich wohl schlicht um Fehler.

Ebenfalls etwas ungeschickt sind die zu häufig verwendeten Anaphern und Epiphern. Der Leser begreift, die Wiederholungen der Satzanfänge oder -enden sollen Aussagen und Gedanken intensivieren, aber ab einer gewissen Anzahl von Repetitionen wirkt das nicht mehr originell sondern einfallslos, und Mandler wendet diese Technik so oft an, dass das Ganze letztendlich recht plump daherkommt. Vielleicht hat der Autor das selbst bemerkt, denn im Verlauf des Buches reduziert er seine Wortwiederholungen auf ein angenehmeres Maß.

Seine Darstellungen von Alltagsszenen, von denen es gerade am Anfang des Buches viele gibt, streifen immer wieder die Trivialität. Aber schließlich erzählt er genau davon: Dass das Leben eben manchmal, die meiste Zeit sogar, trivial ist. Und die Poesie des Alltäglichen zu erfassen, gehört ohnehin zum Schwersten, was das Schriftstellerhandwerk zu bieten hat. Zu leicht driftet man in oberflächliche Beschreibungen ab, die zu Worthülsen werden.

Ebenso ist es eine Gratwanderung, einem Buch weitgehend die Handlung zu entziehen. Mandler gelingt diese Gratwanderung zwischen Aktionismus und Langeweile. Bereits das ist eine Leistung. Mandlers Stärke ist außerdem seine Ehrlichkeit. So ein Buch verfasst niemand, der nicht versteht, wovon er schreibt. Und auch seinem Protagonisten gibt er diese Ehrlichkeit mit, indem er ihn immer wieder die eigene Situation, die eigene Armseligkeit erkennen und analysieren lässt. In wenigen Sätzen verstreut fasst er die Essenz seines Romanes zusammen: Das Ankämpfen gegen das eigene Verschwinden. Das Festhalten an einer Beziehung, die einem Menschen, der keinen anderen Halt hat, als Einziges Bedeutung verleiht. Sei es auch nur vor sich selbst. Die Ohnmacht gegenüber der eigenen Angst, der eigenen Sehnsucht. Der Geltungsdrang, für etwas stehen zu wollen, einen Platz im Leben zu haben. Der Rest der über hundertvierzig Seiten ist Beiwerk, das nur die Stimmung trägt, kaum aber die Entwicklung, die sich erst auf den letzten Seiten konkretisiert: die Befreiung.

Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass der Autor sich scharfsichtig eines aktuellen und bedeutsamen Themas angenommen hat und damit einen anerkennenswerten Beitrag zur zeitgenössischen Literatur leistet. So ist ein Roman entstanden, der zu berühren weiß, ein ehrliches Buch über einen Abnabelungsprozess – todtraurig, nachdenklich und tiefgründig.

Titelbild

Martin Mandler: 23 Tage. Roman.
Luftschacht Verlag, Wien 2011.
144 Seiten, 18,50 EUR.
ISBN-13: 9783902373656

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