Wenn Materialien kommunizieren

Christoph Kleinschmidts Dissertation „Intermaterialität. Zum Verhältnis von Schrift, Bild, Film und Bühne im Expressionismus“ bereichert die Literaturwissenschaft mit einer neuen interdisziplinären Kategorie

Von Isabel FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Isabel Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die literaturwissenschaftliche Methoden- und Theoriediskussion der letzten zwanzig Jahre ist geprägt von einem rasanten Wechsel neuer Forschungsansätze. Dabei ist ein wachsendes Interesse an interdisziplinären Fragen auszumachen. Für die Beschreibung der Wechselwirkungen zwischen den Künsten hat sich insbesondere der Begriff der Intermedialität durchgesetzt. Christoph Kleinschmidts Dissertation knüpft an diesen Diskurs an – nicht ohne ihn auf erfrischende Weise zu erweitern und das Hauptaugenmerk zu verlagern. Nicht dem Großbegriff „Medien“, sondern dem spezifischem Material gilt seine Aufmerksamkeit.

Davon ausgehend, dass sich der gängige Intermedialitätsbegriff innerhalb der Forschung durch seine immer breitere Verwendung zusehends abgenutzt und gleichzeitig die spezifische Materialität der Künste vernachlässigt hat, führt Kleinschmidt die Spezifizierung Intermaterialität ein. Seine Grundthese lautet, dass dieser Begriff immer dann verwendet werden sollte, „wenn direkt oder indirekt auf die materialen Bedingungen einer anderen Kunst oder eines anderen Kunstgebildes Bezug genommen wird“. Der literaturwissenschaftlichen Herkunft Rechnung tragend, betrifft dies nicht nur die Verbindung von Dingmaterialien sondern auch die materiale Qualität von Zeichen selbst.

Kleinschmidt entwickelt und vertieft den Begriff Intermaterialität in zweifacher Weise: Zum einen begibt er sich in dezidierter Weise in den theoretischen Diskurs rund um die Themen Intermedialität und Materialität und lässt dabei sowohl historische als auch aktuelle Forschungsergebnisse einfließen. Zum anderen erprobt er die Kategorie anhand theoretischer und künstlerischer Erzeugnisse des Expressionismus.

Kaum eine andere Epoche wäre für die Ausarbeitung eines Intermaterialitätskonzeptes dankbarer gewesen. Mit dem Expressionismus nähert sich Kleinschmidt einer der am stärksten kunstübergreifend arbeitenden Bewegungen des frühen 20. Jahrhunderts. Obwohl zum expressionistischen Kunstverständnis eine Vielzahl an Arbeiten existiert, ist die Auswahl an  Studien, die speziell die expressionistische Konvergenz der Künste analysieren, überschaubar. Dass gerade in jüngster Zeit aber das Interesse an diesem Aspekt des Expressionismus gewachsen ist, beweist nicht zuletzt die Ausstellung „Gesamtkunstwerk Expressionismus. Kunst, Film, Literatur, Theater, Tanz und Architektur 1905-1925“, die 2011 auf der Mathildenhöhe in Darmstadt gezeigt wurde. Auch die literaturwissenschaftliche Forschung ist sich der Konvergenz der Medien und Materialien in dieser Epoche bewusst. Bislang wurden von ihr in diesem Zusammenhang jedoch fast ausschließlich die Text-Bild-Bezüge in den Blick genommen.

Kleinschmidts Dissertation geht weit darüber hinaus: Neben den intermaterialen Text-Bild-Bezügen behandelt sie das Verhältnis von Literatur, Schrift und Film und – was besonders erfreulich ist – das intermateriale Zusammenspiel der Künste in expressionistischen Bühnenkompositionen. Der Ausgangspunkt für die Analysen, programmatische Schriften aus dem Umfeld des Expressionismus, ist schlüssig gewählt. Auf die Verortung der Intermaterialität im Kontext der Intermedialitätsforschung, somit auf die reine Theorie, folgt mit den kunsttheoretischen Schriften des Expressionismus die Verbindung von Theorie und Praxis um letztendlich zur Anwendung der Theorie auf die künstlerische Praxis zu gelangen.

Die Arbeit überzeugt sowohl durch die übersichtliche Gliederung als auch durch die Auswahl der Literaten und Künstler. Neben bekannten Namen wie Paul Klee, Wassily Kandinsky, Lothar Schreyer oder Georg Heym werden in der Dissertation auch die Werke unbekannterer Vertreter, wie beispielsweise Alfred Brusts Drama „Das Spiel Jenseits“, diskutiert. Dadurch gelingt es Kleinschmidt, die Vielschichtigkeit des expressionistischen kunstübergreifenden Schaffens aufzuzeigen. Doch nicht nur die Analyse der von der Forschung wenig beachteten Künstler liefert neue Erkenntnisse, auch die Abschnitte zu vermeintlich bekannten Expressionisten laden zu spannenden Neuentdeckungen ein.

Ist man als Leser anfangs von der Dichte an theoretischer Information und der Herleitung des Begriffes bisweilen überfordert, so sind die Einzelanalysen dennoch so anschaulich, dass die meisten Unklarheiten bei der weiteren Lektüre beseitigt werden.

Von den Analysekapiteln sticht besonders das zu dem Thema Bühnenkompositionen hervor. Es bildet mehr oder weniger das Finale der ganzen Publikation: Zum einen rein faktisch dadurch, dass es am Schluss steht; zum anderen inhaltlich, da bei Bühnenkompositionen so gut wie alle künstlerischen Materialien beteiligt sind, und wir es insofern mit der Form der Intermaterialität par excellence zu tun haben. Gegenstand wie auch Einzelanalysen überzeugen hier in besonderem Maße und bilden zusammen mit den Analysen zur künstlerischen Programmatik des Expressionismus, die am Anfang der Publikation stehen, einen schönen Rahmen.

Insgesamt leistet Christian Kleinschmidts Dissertation sowohl zur theoretischen Debatte um Intermedialität und Materialität als auch zur Expressionismusforschung einen innovativen und wegweisenden Beitrag. Dabei ist nicht nur die Fülle an Material, die er für seine Analysen heranzieht, sondern auch sein versierter Umgang mit der Theorie beachtlich.

Titelbild

Christoph Kleinschmidt: Intermaterialität. Zum Verhältnis von Schrift, Bild, Film und Bühne im Expressionismus.
Transcript Verlag, Bielefeld 2012.
400 Seiten, 36,80 EUR.
ISBN-13: 9783837619676

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